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Ullrich (CSU) nach EU-Gipfel
"Die Koalition war niemals in Gefahr"

Nach der Einigung beim EU-Gipfel zur Migration zeigte sich CSU-Politiker Volker Ullrich zuversichtlich im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der CDU. "Die CSU war immer für eine europäische Lösung", betonte er im Dlf. Die Signale des Gipfels bildeten die Grundlage für einen Kompromiss in der Flüchtlingspolitik.

Volker Ullrich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 29.06.2018
    07.06.2018, Berlin: Volker Ullrich,CSU, spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.
    Volker Ullrich,CSU, zeigte sich im Interview des Dlf zufrieden mit der Einigung beim EU-Gipfel (picture-alliance / dpa / Sina Schuldt)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Volker Ullrich. Er ist rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe in der Unions-Bundestagsfraktion. Er ist Mitglied des Rechts- und des Europaausschusses, Wahlkreis Augsburg-Stadt. Guten Tag.
    Volker Ullrich: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Ullrich, reicht der CSU diese Einigung?
    Ullrich: Diese Frage werden wir am kommenden Sonntag in einer Sitzung des Parteivorstandes und der Landesgruppe besprechen. Ich gehe davon aus, dass diese ermutigenden Signale dieser Einigung und auch das gute Signal einer europäischen Lösung tatsächlich die Grundlage für einen Kompromiss abgeben kann.
    "Die Union gehört zusammen"
    Heinemann: Ist die Koalition gerettet?
    Ullrich: Die Koalition war ja niemals in Gefahr, zumindest aus meiner Sicht.
    Heinemann: Wie bitte!
    Ullrich: Es gab Streitigkeiten, die vielleicht über das hinausgehen, was man vernünftigerweise erwarten durfte, aber insgesamt darf man nicht vergessen, dass es um eine Sachfrage ging. Und ich glaube, dass mit der Gipfelerklärung viele offene Sachfragen jetzt einer mutigen Lösung zugeführt worden sind, die die Mitgliedsstaaten jetzt auch umsetzen müssen.
    Heinemann: Herr Ullrich, da finden Sie etwas schwache Worte. Meinen Sie nicht auch?
    Ullrich: In Bezug auf die Gipfelerklärung oder die Koalition?
    Heinemann: Auf die Koalition.
    Ullrich: Es war sicherlich nicht sehr glücklich, dass vor zwei Wochen CDU und CSU getrennt getagt haben. Die Union gehört zusammen und sie kann nur gemeinsam stark sein. Das war immer meine Haltung. Ich glaube, dass wir uns hinter dieser Gipfelerklärung versammeln können. Entscheidend wird aber sein, wie wir diese Erklärung auch zum Umsetzen bringen.
    Heinemann: Der Europäische Rat betont ausdrücklich die Notwendigkeit einer europäischen Lösung. Darf man das als kleine Ohrfeige für die CSU lesen?
    Ullrich: Die CSU war immer für eine europäische Lösung. Ich glaube, dass wir die Fragen der Migration nur im europäischen Maßstab lösen können. Europa ist viel zu kleinteilig, um alleine durch nationale Lösungen bestehen zu können. Gerade was die Frage der Zusammenarbeit mit Afrika anbetrifft, mit der Bekämpfung der illegalen Migration über das Mittelmeer, aber auch die Frage einer gemeinsamen europäischen humanen Flüchtlingspolitik können wir nur im Konzert der Europäischen Union erfolgreich sein.
    Heinemann: Dass Sie behaupten, die CSU sei immer an einer europäischen Lösung interessiert gewesen, lassen wir jetzt mal so stehen. Das kann man auch anders lesen. Vor allen Dingen hat die CSU ja den Menschen eine rasche Änderung der Lage in Aussicht gestellt. Alle europäischen Lösungen werden viel Zeit benötigen. Wie geht Ihre Partei damit um?
    Ullrich: Man darf nicht vergessen – und das ist auch in diesem Gipfelpapier niedergelegt worden -, dass ja bereits einiges in der Vergangenheit geschehen ist. Die Zahl der in Europa ankommenden Migranten ist wesentlich geringer noch als in den Jahren 2015 und 2016. Auch auf nationaler Ebene haben wir beispielsweise mit den Asylpaketen I und II wesentlich dazu beigetragen, die Situation zu entspannen.
    Jetzt geht es darum, dass wir den europäischen Grenzschutz verstärken, dass wir zu einer größeren Solidarität innerhalb Europas kommen, aber dass wir auch bei der Frage des Vollzugs der Dublin-Regeln beispielsweise wieder zu einer größeren Abstimmung innerhalb Europas kommen.
    "Das, was in diesem Papier steht, lässt sich gut sehen"
    Heinemann: Aber Angela Merkel kommt ohne ganz konkrete Zusagen zurück. Reicht Ihnen das? Noch mal die Frage!
    Ullrich: Ich finde, das, was in diesem Papier steht, lässt sich gut sehen. Insbesondere die Idee einer Art Ankerzentren innerhalb Europas, aber auch von Auffanglagern außerhalb der Europäischen Union unter Mithilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks ist die viel bessere Alternative zur gefährlichen und auch menschenunwürdigen Fahrt von Migranten über das Mittelmeer, ausgebeutet durch Schlepper. Deswegen glaube ich schon, sind hier gute Ergebnisse drin, auf die sich aufbauen lässt.
    Heinemann: Die CSU spricht neuerdings vom Asyl-Tourismus. Wie wichtig ist für Sie das Wort "Lager", in denen Migranten sich künftig aufhalten sollen?
    Ullrich: Ich habe das Wort "Lager", glaube ich, nicht gebraucht.
    Heinemann: Gerade eben doch!
    Ullrich: Mein Sprachgebrauch ist jener des Zentrums. Ich glaube, dass wir auch sensibel in Bezug auf die Sprache sein sollten. Es geht um Menschen, um individuelle Schicksale. Klar ist, dass jemand, der nicht individuell verfolgt ist, auch keinen Asylanspruch bekommen kann und dann auch wieder in sein Heimatland zurückkehren muss. Aber die Frage, wie wir mit den Menschen umgehen und welche Werte wir zugrunde legen, macht auch Europa aus.
    Heinemann: Sie würden dafür plädieren, dass man nicht von Lagern spricht?
    Ullrich: Es gibt in der politischen Debatte immer wieder Nuancen. Ich glaube, dass manchmal einem dieses Wort vielleicht auch herausrutschen kann. Entscheidend ist aber, dass wir von Zentren oder Einrichtungen sprechen.
    "Horst Seehofer hat diesen Gipfel wesentlich mit angeschoben"
    Heinemann: Herr Ullrich, zurück zu Horst Seehofers Anliegen. Werden denn jetzt Menschen, die in anderen EU-Staaten registriert sind, demnächst an deutschen Grenzen zurückgewiesen oder nicht?
    Ullrich: Ich glaube zunächst einmal, dass Horst Seehofer mit seinem Masterplan und den Ideen zur Neuregelung der Asyl- und Migrationspolitik auch diesen Gipfel wesentlich mit angeschoben hat. Die Idee, zu einer raschen Neuordnung und Steuerung in Europa zu kommen, war auch eine zutiefst europäische Idee, die die CSU mit befördert hat. Die Frage, ob jetzt ganz konkret eine Zurückweisung von sogenannten EURODAC-I-Treffern an der deutschen Grenze erfolgen muss oder nicht, kann dahinstehen, weil es erst einmal darum geht, die Ergebnisse dieses Gipfels auch zum Umsetzen zu bringen.
    Heinemann: Warum kann das auf einmal hintanstehen?
    Ullrich: Die CSU hat ja selber vor knapp zwei Wochen beschlossen, dass es nicht entscheidend auf die Zurückweisung an der Grenze ankommt, sondern dass auch wirkungsgleiche Maßnahmen ebenso von der CSU begrüßt werden können. Und ich glaube, dass zumindest mit dieser Gipfelerklärung ein Weg einschlägt, der einen guten und tragfähigen Kompromiss darstellt.
    Heinemann: Wo erkennen Sie die wirkungsgleichen Maßnahmen?
    Ullrich: Ich erkenne die wirkungsgleichen Maßnahmen in der Verabredung in Bezug auf Einrichtungen innerhalb der Europäischen Union und außerhalb, in der stärkeren Unterstützung auch der Staaten an der EU-Außengrenze und der Verstärkung des EU-Außengrenzschutzes. Ich erkenne es auch in Punkt elf der Gipfelerklärung, der ganz klar sagt, dass die Binnenmigration innerhalb der EU ein wichtiges Thema ist und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aufgefordert sind, alles zu tun, um diese Binnenmigration zu unterbinden.
    "Gipfelerklärungen nicht immer mit Wahlterminen in Verbindung bringen"
    Heinemann: Noch mal: Das sind alles Absichtserklärungen. Was bedeutet dieses Ergebnis jetzt für die bayerische Landtagswahl? Wie wollen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern damit unter die Augen treten?
    Ullrich: Es geht zunächst einmal um eine wichtige europäische Weichenstellung. Wir sollten grundsätzliche Gipfelerklärungen nicht immer mit zukünftigen Wahlterminen in Verbindung bringen. Die Menschen erwarten, dass das, worauf sich Europa gestern Nacht geeinigt hat, von den Mitgliedsstaaten alsbald umgesetzt wird. Ich erinnere daran, dass es nach wie vor schwierig ist, die sogenannten Dublin-Überstellungen, also Asylbewerber, die ein Verfahren in einem anderen Land bereits haben, auch zum Gelingen zu bringen. Hier haben wir zwischen den Mitgliedsstaaten noch Nachholbedarf und das muss jetzt im Geiste und im Lichte dieser Erklärung auch nachgeholt werden.
    Heinemann: Wie teuer wird die Regelung für europäische und deutsche Steuerbürger?
    Ullrich: Ich kann die finanziellen Folgen nicht eins zu eins abschätzen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in Deutschland und in Europa nicht auf einer Insel der Glückseligen leben, sondern wir haben in der Tat ein Rendezvous mit der Globalisierung. Deswegen wird Europa auch Geld aufwenden müssen: Zum einen zum Thema Steuerung und Regelung der Migration, aber, was genauso wichtig ist, auch für den Marshallplan mit Afrika. Wir können die Frage der Migration nur so gut lösen, wie es uns auch gelingt, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Wir müssen alles dafür tun, damit Menschen sich gar nicht erst auf die Flucht machen müssen. Hier haben wir für die nächsten Jahre eine große Agenda und die müssen wir beherzt, aber auch mit finanziellen Mitteln angehen.
    Heinemann: Herr Ullrich, Markus Söder hat ja gesagt, die Zeit des geordneten Multilateralismus sei vorbei. Sie berufen sich jetzt genau darauf, nämlich auf diese europäische, auf diese multilaterale Einigung. Was gilt denn jetzt eigentlich bei der CSU?
    Ullrich: Es gilt das, was die Landesgruppe und der Parteivorstand und sicherlich auch der Parteitag vereinbaren. Die CSU war immer eine Partei, die einen starken Schwerpunkt auf europäische Lösungen gesetzt hat, weil wir nämlich wissen, dass wir die großen Probleme der Welt nur im europäischen Maßstab lösen müssen und dass ein Staat oder gar ein Bundesland, so gut es auch sich selbst verwaltet, nicht in der Lage ist, alle Unwägbarkeiten selbst in die Hand zu nehmen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.