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Ulrich Effenhauser: "Alias Toller"
Spannender Fall - lahmer Krimi

Ulrich Effenhauser ist dem Trend zum politischen Kriminalroman gefolgt: In "Alias Toller" greift er den realen Fall eines SS-Mannes auf, der an Verbrechen in der Tschechoslowakei beteiligt war. Dabei beweist er eindrucksvoll, dass eine Geschichte noch keinen guten Roman ausmacht.

Von Detlef Grumbach | 11.02.2016
    "Das Schlechte in der Welt – es ist nichts Abstraktes, kein Prinzip", so heißt es zu Beginn des Romans, wenn die Hauptfigur, der leitende Kriminaldirektor Alwin Heller charakterisiert wird. "Es ist etwas Materielles, das sich eingenistet hat bei ihm." – "Das Verbrechen ist eine Ratte. Eine schwangere Ratte, die durch die Welt schleicht. Hellers Berufung ist es gewesen, sie unschädlich zu machen." In dieser Tonlage geht es weiter. Die Ratten vermehren sich nachts, bauen Nester, die Welt, so wörtlich, "ist ein Chaos." Bei solch hohlem Allerweltspathos weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Der Fall dieses Kriminalromans ist dagegen ziemlich vielversprechend. Im Prolog steckt der Autor den Rahmen ab, erzählt die Geschichte der Villa Waigner in Prag. Ihre jüdischen Besitzer waren enteignet und umgebracht worden, der spätere Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer beteiligte sich von dort aus an der "Arisierung" der tschechischen Wirtschaft. Nach dem Krieg beherbergte sie eine Abteilung des Geheimdienstes der CSSR, seit der Wende werden dort Verbrechen der sozialistischen Staatsmacht aufgeklärt.
    Auf drei Zeitebenen, Nazi-Zeit, 1978 und 2008, entwickelt der 1975 bei Regensburg geborene und in der Nähe der tschechischen Grenze lebende Historiker Ulrich Effenhauser seinen Plot. 1978: Heller ist neu bei der Polizei, ein Lehrer des örtlichen Gymnasiums wird ermordet. Hellers Vorgesetzter Kolnik reist daraufhin privat nach Prag und wird auf einem Parkplatz aus nächster Nähe erschossen. Heller ermittelt auf ebenso unkonventionelle wie unglaubwürdige Weise. Die tschechischen Behörden lehnen Amtshilfe ab, er reist also mit einem gefälschten Pass inkognito, und dann auch noch in Begleitung der Tochter des Opfers, nach Prag. Beides ließe man bei einem "Tatort" durchgehen, von einem literarischen Krimi, wie der Autor das Buch auf seiner Website bezeichnet, darf man mehr Glaubwürdigkeit erwarten. Mitten im Kalten Krieg, inoffiziell und mit gefälschten Papieren ausgestattet, begeben sich die beiden westdeutschen Staatsbürger schnurstracks zum tschechischen Geheimdienst, wo der Kommissar vor der Tür einen Joint raucht und Tochter Kolnik lautstark Einlass und Erklärungen verlangt.
    Ungelenke Sprache
    Wer glaubt, der Betriebsausflug fände spätestens jetzt sein jähes Ende, täuscht sich. Die beiden werden abgewiesen, doch einer der Geheimdienstler dringt in ihr Hotelzimmer ein, erwartet sie dort abends, gibt ein paar Infos und bittet höflich, in Zukunft keine illegalen Substanzen mehr auf der Straße zu rauchen. Ein Ergebnis der ungestört weitergehenden Ermittlungen – ich zitiere: "Auch wenn Heller keinen Beweis hatte, irgendjemanden hatte Kolnik hier getroffen ... seinen Mörder." Kolnik ist erschossen worden – ist das nicht Beweis genug? Weitere Recherchen führen zurück in die Zeit der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei, der Verbrechen der SS und der Kumpanei zwischen tschechischen Nachkriegsbehörden und einzelnen Tätern. Die beiden Mordopfer von 1978 gehörten zu ihnen, und ein dritter, großer Unbekannter. Wer sich hinter diesem "Alias Toller" – so der Titel des Romans – verbirgt, bekommt Heller nicht heraus. Dreißig Jahre später, 2008, wird er von dem Fall eingeholt. Jetzt ermittelt die tschechische Polizei und bittet ihrerseits um Amtshilfe. Der Fall wird gelöst.
    Sprache soll das Erzählte anschaulich machen. Aber was soll man sich vorstellen, wenn Studenten "intellektuell" und die Besucher einer Lesung "gebildet" aussehen. Wenn ein Bierfass nicht angestochen wird, sondern wenn "Schläuche am Fass befestigt" werden – irgendwie wohl. Und erst recht die Natur. "Insektenschwärme senkten sich schwerelos nach oben" heißt es, und nachgeschoben, "nach unten". Heller und Tochter Kolnik klettern auf eine Bergspitze, über ihnen nur der Himmel und das Gipfelkreuz: "Blätter wehten herab, trudelten in den Abgrund." Woher sie kommen? Kopfschütteln. Oder so: "Wenn die Menschheit einmal unterging, im Dritten Weltkrieg, in der atomaren Verstrahlung – die Natur würde nichts davon merken (...); es lag der Natur nichts an den Bestrebungen des Menschen, sie war gleichgültig und stoisch, ganz besonders der Wald." Stoisch erträgt der Wald auch, dass Bäume sterben, damit solche Bücher gedruckt werden. Doch der Mensch, ganz besonders die Leserin und der Leser, sollten danach streben, dass Autoren nur das schreiben, was sie sich auch vorstellen können, dass Sprache genau genommen wird und Verlage die Lektoren so gut bezahlen, dass sie Ihre Arbeit machen können.
    Ulrich Effenhauser: Alias Toller
    Roman. Transit 2015, 174 Seiten, 19,80 €