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Um- statt Neubauen

Vom 29. August bis zum 25. November lädt Venedig zur Architekturbiennale. Unter dem Titel "Common Ground" widmet sie sich dem öffentlichen Raum. Im deutschen Pavillon geht es um Recycling und Redesigning, um das Wiederherstellen und Umnutzen vorhandener Bauten.

Carsten Probst im Gespräch mit Dina Netz | 27.08.2012
    Dina Netz: Neu bauen – das ist inzwischen eher in Asien angesagt: Da gibt es Geld und Platz für Bauinvestitionen und vor allem immer mehr Menschen, die Wohnraum brauchen. In Europas Städten gibt es keinen Platz und wenig Geld, deshalb wird hier weniger neu gebaut als umgewidmet, umgebaut, restauriert. Der deutsche Pavillon macht genau das auf der Architekturbiennale von Venedig jetzt zum Thema: "Reduce, Reuse, Recycle" heißt das Motto, das Muck Petzet, der Generalkommissar des Deutschen Pavillons, in diesem Jahr gewählt hat. Die Architekturbiennale steht insgesamt unter dem Titel "Common Ground" und eröffnet übermorgen. Heute und morgen ist Vernissage, auf der sich Carsten Probst schon ein wenig umgesehen hat. Herr Probst, wie geht denn der Deutsche Pavillon nun um mit dem Thema Um- statt Neubauen?

    Carsten Probst: Ja das ist – wie soll man sagen? – doch eine relativ betuliche Präsentation, auch wenn man Star-Designer Konstantin Grcic für die Gesamtgestaltung hat gewinnen können. Man kommt diesmal nicht durch die Haupteingangstür in den Pavillon hinein, sondern nur durch die Seiteneingänge hinaus und wieder hinein. Man muss so ein bisschen um das Gebäude herumgehen. Und was erwartet einen im Inneren? Ziemlich luftige Säle, die durch mehrere großformatige, sehr großformatige Fotos an den Wänden mit kleinen Bildunterschriften auf dem Fußboden ausgestattet sind, und diese Fotos zeigen nun, sagen wir mal, Referenzprojekte, wie denn beispielsweise Recycling in der Architektur heute, das Bauen mit recycelten Stoffen, das Redesigning, das Wiederherstellen, das Umnutzen von historischer Architektur gut funktionieren kann. Das ist natürlich irgendwie schon auch im Sinne dieses Gesamtthemas "Common Ground" und auch von David Chipperfield, der die Gesamtleitung dieser Biennale ja hat. Aber auf der anderen Seite: Diese Projekte von unter anderem Arno Brandlhuber oder Staab-Architekten oder auch Muck Petzet selber, also recht bekannte deutsche Architekten insgesamt, sind so ein bisschen mit einem erhobenen Zeigefinger an den Rest der Welt – schaut: Wir Deutschen können Ideen exportieren, wir sind das Land der Ideen. Das kennt man eigentlich schon von Weltausstellungen und so weiter. Ich habe hier ein bisschen so das ganz Neue vermisst, was sich bei anderen Pavillons dann doch etwas präziser, etwas dominanter durchschlägt.

    Netz: Ja dann sagen Sie doch mal, Herr Probst, wo haben Sie denn neuere, originellere Beiträge zum Thema entdeckt?

    Probst: Innerhalb der Giardini gibt es drei wirklich sehr, sehr starke Pavillons, etwa zu allererst den von Japan, die sich mit den riesigen Brachflächen, den zerstörten Städten aufgrund des Tsunamis und der Katastrophe von Fukushima auseinandersetzen, und da haben sie eine hervorragende Lösung gefunden, indem sie mehrere Architekten, unter anderem Toyo Ito und Sou Fujimoto, herangezogen haben mit sehr kleiner, sehr einfacher, sehr differenzierter Architektur, die die Natur direkt einbindet. Das sind überhaupt keine großen riesigen Protzbauten, das sind ganz einfache winzige Modelle, die zum Teil an Pfahlbauarchitektur erinnern und mit leichtesten Planen illustrieren, wie einfach Wände schnell hergerichtet werden können und trotzdem sehr, sehr stabil sind. Besonders und sehr schön fand ich auch den polnischen Pavillon von Katarzyna Krakowiak, die überhaupt nur einen leeren Raum zeigt, aber dieser Raum ist erfüllt von Klangvibrationen. Man geht in einen Raum, der irgendwie ständig so leicht wummert und ständig vibriert, verschiedenste Töne übermittelt, und sie möchte eigentlich diesen "Common Ground" der Architektur, den öffentlichen Ort der Architektur, zu einem Ort der Akustik machen, eine Architektur aus Sound, und das finde ich eine sehr originelle Interpretation dieses Themas.

    Netz: Der Kurator der Architekturbiennale ist der Stararchitekt David Chipperfield, Sie haben es schon gesagt, und der hat aber angekündigt, so gar nicht auf Stararchitektur setzen zu wollen. Wie geht denn Chipperfield selbst mit diesem Thema "Common Ground" in der Hauptausstellung um?

    Probst: Ich möchte vorausschicken, dass ich Chipperfield natürlich schätze und geradezu verehre für sein neues Museum in Berlin. Aber hier auf der Biennale wirkt sich sozusagen sein ewig gesuchter Kompromiss aus Alt und Neu ein bisschen, kann man sagen, wie ein Formexerzitium aus. Er selbst sagt, man könne doch erwarten, gute Architektur sei immer das Resultat von Freiheit und ständiger Innovation. Aber nein: Man muss sich auch an Regeln halten, man muss Traditionen beachten, man muss sehen, dass diese Architektur sich irgendwie gut einpasst, und genauso kommt es eigentlich auch heraus. Wenn man durch diese langgezogenen Säle der Cordari am Arsenale streift, sieht man eigentlich wirklich einen Parkour von Formübungen. Statt Thematisierungen des öffentlichen Raumes als politischer Raum, hat man eigentlich den Eindruck, es herrscht der Geist des Restauratorischen vor. Es ist wie ein Lehrgang in Altbausanierung mitunter fast, und das erinnert mich auch teilweise ein bisschen an diese unerfreulichen Debatten, die man im Nachwende-Berlin über kritisch-historische Modernisierung geführt hat. So ein bisschen habe ich den Eindruck, wenn man das mit einigen Pavillons, den genannten beispielsweise vergleicht, da kann man für einen Moment sehen, was eigentlich mit diesem Thema "Common Ground" möglich gewesen wäre und was Chipperfield aber dann nicht daraus macht.

    Netz: Carsten Probst war das mit ersten Eindrücken von der Architekturbiennale in Venedig.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.