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Umdenken beim Klimaschutz
Energie vermarkten statt verpulvern

Raffinerien, Aluwerke, Kokereien: Die enorme Energie, die bei der Verarbeitung von Rohstoffen frei wird, pusten viele Firmen bislang ungenutzt in die Luft. Angesichts der geplanten CO2-Steuer wächst das Interesse an einer Sekundärnutzung, denn Energieüberschüsse ließen sich auch gut vermarkten.

Von Alois Berger | 01.11.2019
Ein Schmelzofen der Trimet Aluminium AG in Hamburg wird mit flüssigem Aluminiumoxid befüllt
Bei der Aluminiumherstellung werden für die Elektrolyse riesige Mengen an Strom gebraucht. Allein das Werk in Essen schluckt mehr als ein halbes Prozent des deutschen Stroms. (dpa)
Am Nordrand von Freiburg entsteht das neue Fußballstadion des Freiburger Sportklubs. Noch wird gebaut, aber schon ab nächsten August soll der Bundesligist hier seine Heimspiele austragen. Es wird das erste Fußballstadion sein, dessen Rasen im Winter mit gebrauchter Wärme geheizt wird, so wie auch die Innenräume des Stadions und das Warmwasser, alles mit der Abwärme einer Fabrik.

Die alten Backsteinhallen der Cerdia Produktions GmbH stehen nur ein paar hundert Meter vom neuen Stadion entfernt. Cerdia stellt Zigarettenfilter her. Bei der Produktion entsteht Wärme, sehr viel Wärme. Die muss dann teuer heruntergekühlt werden, erklärt Patrick Kaliner, der bei der Cerdia für die Fernwärmetechnik zuständig ist. In einer Reihe von Kühltürmen wird das heiße Wasser hochgepumpt, damit es zur Abkühlung nach unten stürzen kann.
"Hier kommt Kühlwasser zurück mit 35 bis eben 60 Grad aus der Produktion. Und das wird runtergekühlt über die Verrieselung, mit Ventilatoren aufgeschaltet, die für den Luftstrom sorgen. Und dadurch schaffen wir es, das Kühlwasser soweit runter zu kühlen, sogar unter Umgebungstemperatur. Aber eben verbunden mit einem hohen Stromaufwand, den wir uns dann im Winter reduzieren können über die Fernwärme."
Die Baustelle für das neue Stadion des SC Freiburg
Die Baustelle für das neue Stadion des SC Freiburg: Im Winter werden Rasen und Innenräume künftig mit der Abwärme einer Fabrik beheizt. (Patrick Seeger / dpa)
Suche nach Abnehmern für die nahezu kostenfreie Energie
Riesige Rohre des Wärmenetzes im Hafen von Rotterdam
Beispiel, wie Abwärme als Fernwärme genutzt werden kann: Rohre eines Wärmenetzes (Deutschlandradio/ Andrea Lueg)
Im Winter ist das Abkühlen des Wassers besonders aufwendig, weil es nur dann in den nahen Bach abgeleitet werden darf, wenn es die zulässige Temperatur hat.
"Das ist abhängig von der Bachwassertemperatur. Als grober Richtwert maximal 30, hängt aber davon ab, wie warm das Wasser im Bach selber auch ist. Also im Sommer haben wir andere Grenzen wie im Winter."
Die Lösung klingt ganz einfach: Die einen brauchen Wärme zum Heizen, die anderen haben zu viel davon und müssen sie teuer beseitigen. Was also liegt näher, als die überschüssige Wärme der Zigarettenfilterfabrik in dicken Rohren ins Fußballstadion hinüber zu leiten. Ab nächstem Jahr wird der SC Freiburg auf einem Rasen spielen, der mit wiederverwerteter Wärme geheizt ist.
Aber die Cerdia-Werke könnten noch viel mehr Heizenergie abgeben, denn das Fußballstadion braucht nur einen kleinen Teil der überschüssigen Prozesswärme. Deshalb sucht Cerdia in Freiburg noch weitere Abnehmer für die nahezu kostenfreie Energie.
Einsparpotenzial von jährlich fünf Milliarden Euro an Energiekosten
Doch so einfach ist das nicht. Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der technischen Umsetzung, sondern auch in der Zurückhaltung vieler Firmenchefs. Das sei nicht nur in Freiburg so, meint Jan Steinbach vom Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien in Karlsruhe. Deshalb stehe der Energie- und Wärmeaustausch zwischen Unternehmen in Deutschland noch ganz am Anfang.
"Das Potenzial wird so im Bereich von 500 Petajoule eingeschätzt. Das sind ungefähr 20 Prozent des Energieverbrauchs der Industrie."
20 Prozent, die man mit Gewinn für beide Seiten einsparen könnte. Die einen müssen weniger kühlen, die anderen weniger Geld für Heizenergie ausgeben. Würde industrielle Abwärme konsequent genutzt, schätzt die Deutsche Energieagentur, dann würden allein in Deutschland jedes Jahr 37 Millionen Tonnen CO2 weniger in die Luft geblasen. Industrie und Gesellschaft könnten jährlich etwa fünf Milliarden Euro an Energiekosten einsparen.
Firmen mit passenden Profilen an einen Tisch bringen
17.12.2018, Sachsen, Espenhain: Das Kraftwerk Lippendorf ist mit seinen dampfenden Kühltürmen hinter dem Hainer See von Espenhain aus zu sehen. Anfang Dezember verkündete die Stadt Leipzig den Ausstieg aus der Fernwärmeversorgung mit Braunkohle zu planen. Ein Zukunftskonzept der kommunalen Stadtwerke komme zu dem Ergebnis, dass die Wärmeversorgung auch ohne Lieferungen aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf machbar sei. In einem Positionspapier fordern nun mehrere Bürgermeister aus dem Südraum von Leipzig sowie der Landrat des Landkreises Leipzig die Stadt auf, das angekündigte Vorhaben zu überdenken. Ohne die Belieferung der Stadt Leipzig sei das Kraftwerk nicht rentabel und es stünden hunderte Jobs auf dem Spiel. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Laut Deutscher Energieagentur könnten bundesweit bei konsequenter Nutzung industrieller Abwärme jedes Jahr 37 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. (picture alliance/dpa/ZB)
Doch die Firmen müssen für den Austausch erst mal einen Aufwand betreiben; sie müssen sich kümmern. Denn anders als bei Strom oder Gas kommt die gebrauchte Wärme nicht von einem bekannten Anbieter nach eingespielten Regeln und zu bekannten Preisen ins Haus. Die Unternehmen müssen sich aktiv um Energiepartner bemühen. Jan Steinbach vom Institut für Ressourceneffizienz:
"Diese Projekte sind in der Regel keine standardisierten Projekte. Und es ist wichtig, dass man Unternehmen an einen Tisch zusammenbringt, die passende Profile haben, also Abwärme-Nachfrage und Abwärme-Abgabe. Und dann ist es ganz wichtig, diese Unternehmen an einen Tisch zu bekommen, damit die solche Projekte auch gemeinsam initiieren."
In Freiburg haben sie die städtische Wirtschaftsförderungsgesellschaft damit beauftragt, die Kontakte herzustellen und die Zusammenarbeit zu koordinieren. Diese Gesellschaft hat dann neben dem Betreiber des künftigen Stadions noch eine ganze Reihe anderer Firmen und Einrichtungen in der Nähe befragt, ob sie nicht auch einen günstigen Wärmelieferanten brauchen könnten. Die Messegesellschaft hat eingewilligt ihre Hallen damit zu heizen. Auch Teile der Stadtverwaltung werden mit Abwärme aus der Fabrik versorgt.
Vernetzung muss gut durchdacht und abgestimmt sein
Im Autohaus Märtin kam die Anfrage der Stadt gerade recht. Die Firma war dabei, im Gewerbegebiet gleich neben dem Stadion eine nagelneue Niederlassung zu bauen. "Wir mussten nicht lange nachdenken," sagt Verkaufsleiter Frank Schönberger:
"Unser Haustechnikplaner, der hat gesagt, wenn das funktioniert, wenn das zum Tragen kommt, sofort tun, weil letztendlich: Wir sparen uns dadurch die Wartung von der Heizung, Schornsteinfeger und so weiter. Bei einer Heizung steht irgendwann mal ein Ersatz an, ja, die Rückstellungen können wir uns sparen für die Heizung. Insofern: Für uns war dann relativ klar, jawohl, wir wollen für die Umwelt was tun. Wenn das preislich in den Rahmen passt, werden wir das auf jeden Fall tun."
Dafür nahm die Firma sogar in Kauf, dass sie einen Teil der Bauplanung wieder über den Haufen werfen musste. Denn das Heißwasser, das die Zigarettenfilterfabrik mit circa 60 Grad verlässt, kommt ein paar hundert Meter weiter beim Autohaus nur noch mit 50 Grad an.
"In der ursprünglichen Planung war geplant mit einer Vorlauftemperatur von 80 Grad, jetzt haben wir nur 50 Grad Vorlauftemperatur, heißt, wir haben größere Heizkörper, mehr Heizkörper. Das musste noch einmal umgeplant werden. Das kann natürlich mitunter ein Grund sein, warum ein Unternehmen sagt, das schon eine Heizung hat, dass die sagen, ich muss noch mal investieren, ich muss einen Wärmetauscher einbauen. Das kann natürlich bei einem bestehenden Gebäude der Grund sein, dass man sagt: Trifft für uns vielleicht nicht zu."
Zigarettenfilterfabrik könnte Freiburgs Gewerbegebiet versorgen
Ein Nachbarbetrieb einhundert Meter weiter ist genau deshalb wieder ausgestiegen. Als die Anfrage kam, war dort der Neubau schon ein paar Wochen zu weit fortgeschritten. Die Firma hat lange überlegt, wollte dann aber trotz der Aussicht auf die günstigen Heizkosten nicht noch einmal von vorne anfangen.
Die Freiburger Wirtschaftsförderungsgesellschaft sucht weiter nach Abnehmern für die überschüssige Wärme. Und die Zigarettenfilterfabrik hofft, dass sie fündig wird - allein schon, um die hohen Kosten für die Abkühlung der Produktionswärme zu senken. Fernwärmetechniker Patrick Kaliner von der Cerdia GmbH:
"Wir haben derzeit, sagen wir mal, die Hälfte der Kapazität, die wir hätten, stellen wir zur Verfügung, könnten also im Prinzip noch mehr zur Verfügung stellen."
Rein technisch könnte Cerdia fast das gesamte nördliche Gewerbegebiet von Freiburg mit Heizenergie versorgen. Aber viele Firmen zögern. Nicht nur die nötigen Umbauten und die Investitionskosten schrecken manche ab. Viele wollen sich oft auch einfach nicht in die Karten schauen lassen. Sie wollen nicht, dass Nachbarbetriebe Einblick in ihre Energiebilanz bekommen und daraus möglicherweise irgendwelche Rückschlüsse ziehen könnten. Vor allem wollen sie nicht abhängig werden von den Entscheidungen anderer, sagt Jan Steinbach vom Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien in Karlsruhe.
"Großer Vorbehalt ist eben Vertrauen zueinander, dass man sagt, der eine hat Abwärmepotenzial heute und die Frage ist, wie lange hat er dieses Abwärmepotenzial, wenn die Produktion zukünftig möglicherweise verlagert wird oder reduziert wird. Und umgekehrt, der Abwärmegeber möchte entsprechende Garantien auch nicht übernehmen."
Wirtschaftsförderung bemüht um stärkere energetische Vernetzung
Bei Cerdia kennt man diese Vorbehalte und versucht, die potenziellen Wärme-Abnehmer zu beruhigen. Cerdia-Geschäftsführer Dieter Feldmann:
"Die Kunden machen sich abhängig davon, aber wir haben eben die entsprechenden technischen Vorkehrungen getroffen, um die Wärme in jedem Fall zur Verfügung stellen zu können. Weil es Redundanzen in der Anlage selbst gibt als auch, dass wir sehr große Dampferzeugung im Werk selbst haben, die wir hier zur Verfügung stellen können, sollte das benötigt werden."
Um selbst die letzten Vorbehalte zu zerstreuen, hat die federführende Wirtschaftsförderungsgesellschaft den lokalen Energieversorger Badenova mit eingebunden. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Cerdia einmal nicht liefern kann, ist die Wärmeversorgung dadurch gesichert.
Doch solche Konstruktionen sind nicht überall möglich. In Großstädten mit bestehenden Fernwärmenetzen ist das noch relativ einfach, auf dem Land aber wird es schwierig den Kunden solche langfristigen Garantien zu geben. Dabei wäre es gerade hier besonders nützlich und auch rentabel, wenn sich die Unternehmen stärker energetisch vernetzen würden.
"Projekte teilweise über die Laufzeit oft nicht wirtschaftlich"
Energiestratege Jan Steinbach hat die Erfahrung gemacht: Je kleiner die Städte, desto scheuer werden die Unternehmen, wenn es um die Zusammenarbeit mit den Nachbarn geht. Steinbachs Institut Irees versucht seit Jahren, Betriebe in Gewerbegebieten zusammen zu bringen:
"Das hat sich teilweise als sehr schwierig herausgestellt, dass dann eben gesagt hat, ich möchte aber mit dem Nachbarn nichts zu tun haben. Was wir als sehr sinnvoll gesehen haben, ist gerade im ländlichen Bereich, wenn dann die Bürgermeister die Unternehmen zusammenbringen, die einladen zum gemeinsamen Business-Frühstück, wo dann eben so das Projekt vorgestellt wurde und die Möglichkeiten. Und das hat dann sehr viel gebracht und sehr viel Vertrauen geschaffen."
Jan Steinbach ist überzeugt, dass die Bereitschaft vieler Betriebe zur Zusammenarbeit zunehmen wird, wenn der Energiepreis in Zukunft ansteigt. Energiesparen muss sich für die Unternehmen lohnen, sagt er, und derzeit lohnt es sich für viele Firmen einfach nicht, jedenfalls nicht in ausreichendem Maße.
"Der Energiepreis ist in vielen Fällen zu niedrig. Wenn der Energiepreis höher ist, ist natürlich auch der Leidensdruck höher, generell um solche Effizienzprojekte durchzusetzen und solche Projekte zu initiieren. Und daran scheitert es in der Regel, dass solche Projekte teilweise über die Laufzeit oft nicht wirtschaftlich sind bei dem niedrigen Energiepreise."
Bottrop punktet bei energetischer Wohnungssanierung
Dachdecker dämmen das Dach eines Hauses in Cottbus mit Glaswolle
Bottrop hat mit einer klugen Strategie bei der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes alle Erwartungen übertroffen. (imago / Rainer Weisflog)
Diese Erfahrung hat auch Burkhard Drescher gemacht. Drescher ist in Bottrop für den energetischen Stadtumbau verantwortlich. Vor zehn Jahren hat sich Bottrop vorgenommen, den CO-2-Ausstoß der Stadt zu halbieren. Vor allem bei den Industriebetrieben erhoffte sich Drescher damals große Einsparungen und Synergie-Effekte.
Doch es kam anders. Während Bottrop mit einer klugen Strategie bei der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes alle Erwartungen übertraf, biss sich Drescher bei den allermeisten Unternehmen die Zähne aus.
"Die haben uns vorgerechnet, dass die Energiekosten zwei, drei, vier Prozent nur ausmachen, und der Fokus dort liegt ganz woanders. Das heißt also, für die meisten Gewerbebetriebe sind die Energiekosten keine relevante Größe, und deshalb ist das ein Thema, was so derzeit nicht so gut funktioniert."
Aluminiumhütte schützt das Stromnetz vor dem Zusammenbruch
Welche Rolle die Energiekosten für die Bereitschaft zum energetischen Umbau spielen, hat Burkhard Drescher gleich hinter Bottrop auf der anderen Seite des Rhein-Herne-Kanals gesehen. Dort, in Essen, steht mit Trimet die größte deutsche Aluminiumfabrik. Für Trimet sind die Energiekosten keine vernachlässigbare Größe. Bei der Aluminiumherstellung werden für die Elektrolyse riesige Mengen an Strom gebraucht. Allein das Werk in Essen schluckt mehr als ein halbes Prozent des deutschen Stroms.
Eigentlich wollte Drescher die enorme Abwärme nutzen, die bei der Aluminiumschmelze entsteht, und sie ins Bottroper Fernwärmenetz einspeisen. Doch dafür müsste die Wärme von Trimet in Essen über die Emscher, die Autobahn A 42, den Rhein-Herne-Kanal und über eine Eisenbahnlinie geführt werden. Bislang fand sich niemand, der für diese aufwendige Rohrleitung die Kosten übernehmen wollte.
Blick auf das neue E.DIS Umspannwerk (UW) unweit der Reuterstadt Stavenhagen (Mecklenburgische Seenplatte) 
Umspannwerk: Seit fünf Jahren erlaubt Trimet dem Stromversorger Steag, bei plötzlichen Lastspitzen kurzzeitig der Aluminiumhütte den Strom abzudrehen. (imago/BildFunkMV)
Doch das Aluminiumwerk Trimet arbeitet längst an einer anderen Energieeffizienz-Lösung. Seit fünf Jahren erlaubt Trimet dem Stromversorger Steag, bei plötzlichen Lastspitzen kurzzeitig der Aluminiumhütte den Strom abzudrehen. Wenn zufällig irgendwo in Deutschland gleichzeitig ein paar Züge anfahren, Maschinen anlaufen, Heizungen anspringen und dann noch auf der Nordsee plötzlich der Wind schwächer bläst, dann kann die Aluhütte das Stromnetz vor dem Zusammenbruch retten. Trimet-Vorstand Andreas Lützerath:
"Wir sind, seitdem wir das machen, über 200 mal in Essen, in Voerde und Hamburg mit unserer Elektrolyse von den Übertragungsnetzbetreibern abgerufen worden."
Leistungen eines kleineren Kohlekraftwerks
Im Notfall können die Netzbetreiber die Aluwerke innerhalb einer Sekunde vom Netz nehmen. Allein in Essen werden damit 270 Megawatt frei. Das entspricht der Leistung eines kleineren Kohlekraftwerks. Und wenn es ganz dick kommt, dann werden auch die Werke in Hamburg und Voerde mit abgeschaltet.
"Beispielsweise als wir die Sonnenfinsternis vor einigen Jahren hatten, da sind wirklich immer wieder alle Hütten abgerufen worden, damit es nicht zu einem Blackout gekommen ist."
Doch bislang sind diesem Notfall-System enge Grenzen gesetzt. Wenn der Strom mehr als eine Stunde ausbleibt, dann kühlen die Öfen aus. Bei unter 900 Grad wird das flüssige Aluminium dann hart und kann nur noch mit Presslufthammer und schwerem Gerät herausgebrochen werden. Der Schaden würde in die Hunderte Millionen Euro gehen.
Vor einigen Monaten hat Trimet deshalb im Stammwerk in Essen eine von drei Produktionshallen komplett umbauen lassen. Ein kompliziertes System aus Wärmerückführung und Kühlung soll einen flexiblen Stromverbrauch ermöglichen.
Puffer zwischen Energieerzeugung und Gewerben
Ein weltweit einmaliges Experiment. Denn normalerweise geht es bei der Aluminiumherstellung um eine möglichst konstante Energiezufuhr, weil nur so die höchste Effizienz bei der Elektrolyse erreicht und gleichzeitig sichergestellt wird, dass Schmelzöfen weder auskühlen noch durchbrennen.
36 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, rechnet Trimet-Vorstand Andreas Lützerath vor, 36 Millionen, um künftig auf die Schwankungen von Wind- und Sonnenenergie reagieren zu können. Derzeit wird getestet, wie viel Stromschwankungen die Aluschmelzen tatsächlich vertragen. Wir tasten uns an die Grenzen heran, sagt Lützerath:
"Ziel ist künftig nicht konstante Energiezufuhr, denn wir wollen einfach flexibel sein und damit einfach eine flexible Energieerzeugung in Deutschland reagieren können. Wir sind quasi ein Puffer zwischen Energieerzeugung und anderen Gewerben und Haushalten. Wir können quasi mit mehr Energie, die mehr im System ist hier unsere Batterie laden. Das heißt, wir erzeugen dann etwas mehr Aluminium, und in anderen Zeiten geben wir weniger Energie ins System, erzeugen weniger Aluminium, und können damit Energie ausgleichen im System."
Lösungssuche für die künftige Aluminiumproduktion
Fertig produzierte Aluminiumbarren stehen zum Abtransport in einem Lager der Trimet Aluminium SE in Essen, Nordrhein-Westfalen.
Extrem aufwändige Fertigung: Aluminiumbarren im Lager eines Unternehmens in Nordrhein-Westfalen. (Guido Kirchner/dpa)
Für die Netzbetreiber kann die neue Flexibilität von Trimet zwei Pumpspeicherwerke ersetzen. Natürlich wird sich Trimet diesen Service über Rabatte beim Strompreis zumindest teilweise ersetzen lassen. Doch im Kern geht es dem Unternehmen darum, sich für die Energiewende nützlich und wenn möglich, unentbehrlich zu machen. Ein Unternehmen, das mit seinen drei Aluwerken so viel Strom verbraucht wie drei Großstädte zusammen, sollte positive Antworten parat haben. Trimet-Vorstand Andreas Lützerath:
"Hier geht es wirklich für uns darum, wie können wir, ja auch in fünf, zehn Jahren, noch Aluminium in Deutschland produzieren. Deswegen war das für uns ein entscheidender, ein wichtiger Schritt."
Am Standort in Voerde am Niederrhein arbeitet Trimet nun auch an einer Fernwärmelösung für Kühlhäuser. Wärme lässt sich über Verdampfer in Kälte umwandeln, sodass die überschüssige Wärme aus den Aluschmelzen zum stromsparenden Betrieb von Kühlhäusern genutzt werden kann. Und anders als Wohnungen oder Fabrikhallen brauchen Kühlhäuser konstant dieselbe Energiezufuhr – ein idealer Partner für das Aluwerk. In Zusammenarbeit mit dem Hafenbetreiber DeltaPort sollen auf diese Weise in Wesel klimafreundliche Kühlhallen entstehen.
Gewaltiges Potenzial für klimaneutrale Energiebeschaffung
Es bewegt sich etwas in der deutschen Industrie. Die Nutzung industrieller Abwärme für Kälte in Kühlhäusern und für die Heizung in Fußballstadien und Messehallen, virtuelle Stromspeicher bei der Aluminiumproduktion – die Unternehmen beginnen, in ihren Geschäftsstrategien auch Energiewende und Klimaschutz mit einzukalkulieren.
Das Potenzial für klimaneutrale Energiebeschaffung ist gewaltig, doch genutzt wird bisher nur ein kleiner Teil. Immerhin, der Anfang ist gemacht, sagt Jan Steinbach vom Institut für Energieeffizienz und Energiesparen in Karlsruhe, das Bewusstsein wächst. Die Frage sei nur, ob es auch anhält.
"Wir hatten ja schon mal in der Vergangenheit Wellen, wo das wichtiger war. Dann war das Thema Klimaschutz und Energieeffizienz so ein bisschen wieder nach hinten geraten, auch in der medialen Öffentlichkeit. Jetzt gerade erleben wir wieder, auch im Kontakt mit den Unternehmen, dass es durch die Fridays for Future da auch bei den Unternehmen, dass es für die wieder wichtiger wurde."
Vom Nutzen der Second-Hand-Wärme
Zwei Männer in Arbeitskleidung stehen auf einer Wiese vor einer Windkraftanlage. Symbolfoto.
Primär-Energie wird mittelfristig teurer werden, Second-Hand-Wärme muss besser genutzt werden (imago images / Westend61)
Viele Unternehmen beobachten die Klimadiskussion schon deshalb, weil sie wissen wollen, worauf sie sich künftig einstellen müssen. Auch wenn das Klimapaket der Bundesregierung für viele nicht weitreichend genug ausgefallen ist. Der Trend scheint klar: Primär-Energie wird mittelfristig teurer werden und auch die Steuer auf den Kohlendioxidausstoß wird nicht nur steigen, sondern auch auf immer mehr Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werden.
Für Frank Schönberger vom Autohaus Märtin ist das eher eine schöne Aussicht. Die Büro- und Verkaufsräume ihrer Freiburger Niederlassung werden schließlich mit der überschüssigen Produktionswärme der benachbarten Zigarettenfilterfabrik beheizt.
Die Entscheidung für die Second-Hand-Wärme fiel bei Märtin schon vor der aktuellen Diskussion um eine allgemeine CO2-Steuer. Heute sind sie bei Märtin froh darüber. Denn ohne eigene Heizung wird auch in Zukunft keine CO2-Steuer anfallen.
"Das betrifft uns nicht, weil wir produzieren ja kein CO2. Wir beziehen Wärme. Das war für uns jetzt keine Entscheidungsgröße, weil die Entscheidung ist vor drei Jahren getroffen wurde, da war das noch kein Thema. Aber wenn man die Entscheidung in dieser Zeit treffen müsste, wäre das eine Entscheidungsgrundlage. CO2, ja."