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Umgang mit plötzlichen Todesfällen
Wie in einem Albtraum

Ein Mann bricht bei der Arbeit völlig unerwartet zusammen, Herzinfarkt, er stirbt. Ein Kind läuft auf die Straße, wird vom Auto erfasst und kommt ums Leben. Das lässt nicht nur die Angehörigen fassungslos zurück, oft kommen auch Helfer - Ärzte, Sanitäter, Seelsorger - an ihre Grenzen.

Von Burkhard Schäfers | 25.11.2016
    Der katholische Diakon und Rettungsassistent Andreas Müller-Cyran.
    Der Diakon und Rettungsassistent Andreas Müller-Cyran. (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
    Der Sechsjährige ist mit dem Fahrrad unterwegs, ziemlich schnell wohl, und übersieht die Straßenbahn, die von der Seite kommt. Der Junge stirbt bei dem Unfall – ein Ereignis, wie es jeden Tag passiert – einerseits. Andererseits: Ein Ereignis, so einschneidend für die Betroffenen. Andreas Müller-Cyran erlebte das als junger Rettungsassistent.
    "Mir ist aufgefallen, dass neben der Szene eine Frau stand mit schweren Einkaufstüten in der Hand. Und dann stellte sich raus, dass es die Mutter war. In dieser Situation ist mir aufgefallen, dass wir sehr häufig mit Notfällen konfrontiert werden, wo wir medizinisch nicht mehr helfen können. Mir ging's darum, diese Menschen zu betreuen, sie zu versorgen, weil in dieser Situation ja sonst keiner für sie zuständig ist."
    Betroffene dürfen nicht isoliert werden
    Das war ein Schlüsselerlebnis für Müller-Cyran, und so gründete der Notfallseelsorger und katholische Diakon im Jahr 1994 in München das weltweit erste Kriseninterventionsteam. Die ehrenamtlichen Notfallhelfer kümmern sich gezielt um die Hinterbliebenen, wenn jemand plötzlich stirbt. Am häufigsten geschieht das durch Herzinfarkt, Unfall oder Suizid. Wesentlich seltener sind spektakuläre Ereignisse wie ein Flugzeugabsturz oder Amoklauf. Die Krisenhelfer setzen sich, unmittelbar nachdem es passiert ist, zu den Betroffenen, schweigen mit, hören zu.
    "Sie haben das Gefühl, neben sich zu stehen, die ganze Szene wie in einem Kinofilm oder wie eher auch in einem Albtraum zu erleben. Sie haben überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Sie wirken nach außen relativ normal, sie weinen oft nicht. Deswegen ist es umso wichtiger, ihnen so etwas wie Verlässlichkeit, wie Halt zu vermitteln, damit sie in dieser Situation langsam wieder handlungsfähig werden können."
    Schon nach einigen Stunden versuchen die Helfer, das soziale Umfeld einzubinden: Nachbarn, Freunde, Verwandte. Die könnten eigentlich kaum etwas falsch machen, sagt Notfallseelsorger Müller-Cyran. Außer: Sich zurückziehen und die Betroffenen isolieren.
    "Überhaupt nichts zu machen, ist das Verkehrteste, was man tun kann. Ganz häufig geht es um konkrete Fragen: Gemeinsam für den Haushalt zu sorgen, Essen zu machen. Man muss nicht über die schweren Dinge reden. Wichtig ist, dass die Betroffenen nicht allein gelassen werden aus dieser Unsicherheit heraus."
    Auch Notärzte emotional belastet
    Regelmäßig mit dem plötzlichen Tod konfrontiert sind Notärzte. Wenn ein Mensch stirbt, gilt das vielen als Niederlage der Medizin. Kommt ein Notarzt zu einem Schwerkranken oder Schwerverletzten, orientiert er sich zunächst an einem klar strukturierten Einsatzplan, sagt Stephan Prückner, Direktor des Instituts für Notfallmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aber der Tod durchkreuzt alle Pläne, jede noch so gute Struktur.
    Prückner sagt: "Kommt's jetzt zum Tod des Patienten, schlüpft man aus dieser Rolle auch wieder raus. Was häufig die Leute am meisten beschäftigt ist, wenn der Patient sozusagen unter meinen Händen verstirbt. Und ein hier ganz treibendes Thema ist: Ist der Tod für den Notarzt ein akzeptierter Tod oder ist es für einen eine Situation, mit der man nur schwer zurechtkommt."
    Etwa dann, wenn ein Kind stirbt oder ein Unfall hätte verhindert werden können. Dass ein Notarzt emotionslos, ausschließlich professionell-distanziert mit dem Tod umgeht, sei ein Trugschluss, erklärt Notfallmediziner Prückner.
    "Je nachdem kommt man natürlich auch anders mit diesen Erfahrungen aus so einem Einsatz raus. Und es geht darum, auch damit umzugehen. Da hat jeder verschiedene Strategien, aber es ist glaube ich ganz wichtig, wenn man in diesem Tätigkeitsfeld länger unterwegs ist, dass man sich gut Gedanken macht: Wie komme ich mit meinen Gefühlen zurecht, oder wie lasse ich die überhaupt zu? Und dann entsprechend auch wieder für den nächsten Einsatz bereit zu sein."
    Trotz aller Fortschritte in der Notfallmedizin, der plötzliche Tod lässt sich nicht immer verhindern.
    Kann man sich vorbereiten – darauf, dass die Partnerin, der beste Freund, das eigene Kind völlig unerwartet sterben könnten? Ein solch existenzielles Ereignis liege immer quer, sagt Notfallseelsorger Andreas Müller-Cyran.
    Müller-Cyran: "Der plötzliche Tod ist etwas, was wir in unserer Gesellschaft trotz aller Bemühungen niemals werden abschaffen können. Es bleibt ein Lernort von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Ich denke, es ist mehr eine Frage der Haltung, dass der plötzliche Tod eine Lebensmöglichkeit leider ist und bleibt."