Donnerstag, 28. März 2024

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Umsiedlungen für den Tagebau
Neue Hoffnung im rheinischen Braunkohlerevier

Ende 2038 soll Schluss sein mit der Kohleverstromung in Deutschland - so sieht es der Kompromiss der Kohle-Kommission vor. In den Dörfern des rheinischen Braunkohlerevier keimt neue Hoffnung auf, dass mit dem früheren Kohleausstieg auch die geplanten Umsiedlungen gestoppt werden.

Von Moritz Küpper und Vivien Leue | 31.10.2019
Blick von einer Drohne auf Morschenich: Das Dorf am Hambacher Forst (rechts im Bild). Der Tagebau Hambach ist schon nahe an das Dorf herangerückt.
Morschenich: Das Dorf am Hambacher Forst (dpa / Henning Kaiser)
"Das ist das jetzt, das weiße da hinten…"
Dagmar Gerden und ihr Mann Jürgen sitzen im Auto und fahren über einen Feldweg auf das Dorf Morschenich zu. Es liegt auf halber Strecke zwischen Köln und Aachen, mitten im Rheinischen Braunkohlerevier, nicht weit entfernt vom Hambacher Forst.
"Da, wo sie den Bagger sehen, das war früher alles Wald."
Menschen versammeln sich zur letzten Messe in der Kirche in Manheim - Demonstranten protestieren gegen den baldigen Abriss
Tagebau Hambach - Kohle statt Kirche
Das Dorf Manheim bei Kerpen muss dem Braunkohle-Tagebau weichen. Nun wurde die katholische Kirche entweiht, um im neuen Ort wieder aufgebaut zu werden. Während des Abschiedsgottesdienstes flossen innen die Tränen, während draußen protestiert wurde.
Rechts vom Weg steht eine Reihe von Einfamilienhäusern, links davon liegt ein Feld und dahinter erstreckt sich der Tagebau Hambach. Ein riesengroßes Stahlgerüst ragt aus dem Tagebau empor – die Spitzen eines Braunkohle-Baggers.
"Früher sah man ja von dem ganzen Kram nichts." - "Es war wunderschön." - "Ich sage mal, hier haben Sie nur die Nachbarin. Das ist hier das Ende der Straße."
"Man hat Angst davor, dass man gehen muss."
Jürgen Gerden zeigt auf das erste Haus der Häuserreihe, es ist umgeben von herbstlich gefärbten Bäumen und Feldern: "Das ist das Elternhaus meiner Frau, und wir haben auch 25 Jahre da gelebt und meine Frau praktisch ihr gesamtes Leben."- "Wir haben nach hinten raus große Scheiben -und der Garten, das war ein Traum."
Eine Straßenzeile mit Häusern in Morschenich, deren Fenster mit Holzbrettern vernagelt sind. 
In Morschenich haben die meisten Anwohner ihre Häuser verlassen (picture alliance / Henning Kaiser )
Knapp 500 Einwohner lebten einmal in Morschenich. 2015 begann die Umsiedelung, mittlerweile wohnen nur noch etwa zwei Dutzend Bewohner in dem Ort. Familie Geerden hat ihr Haus vor eineinhalb Jahren, im Frühling 2018 verlassen – und ist mit ihren drei zum Teil erwachsenen Söhnen neben ihren Bio-Bauernhof an den Rand der Stadt Düren gezogen. Dabei hat sich vor allem Dagmar Gerden sehr lange gegen den Umzug gesträubt: "Man hat Angst davor, dass man gehen muss."
Der Kampf gegen die Umsiedlung belastet
Etwa 15 Jahre bevor ein Gebiet für den Tagebau in Anspruch genommen, also abgebaggert werden soll, werden konkrete Pläne für die Umsiedlungen gemacht – und die Bevölkerung informiert. Im Fall Morschenich geschah das 2009. Dass der Ort irgendwann dem Tagebau weichen muss, das war allerdings schon seit Ende der 1970er-Jahre klar, als der Tagebau Hambach den Betrieb aufnahm – und der einst über 4000 Hektar große Hambacher Forst immer mehr weichen musste:
"Wir sind viel im Wald unterwegs gewesen. Dann war es halt immer erschreckender, wie das näher kam." – "Wie schnell das ging."
Dagmar Gerden hat versucht, gegen ihre Umsiedlung zu kämpfen. Während im Dorf immer mehr Menschen ihre Koffer packten, legten die Gerdens Einsprüche ein. Es folgten unzählige Gespräche mit RWE, Sachverständigen, der Bezirksregierung. Der psychische Druck, die zunehmende Hoffnungslosigkeit ob des voranschreitenden Tagebaus, das alles habe sie sehr belastet, erzählt die 46-Jährige. Irgendwann 2017 gab es wieder so ein Gespräch, mit RWE und der Bezirksregierung.
Die Wende: Proteste um den Hambacher Forst
"Das war ein Termin, da habe ich auf der Rückfahrt gesagt, so jetzt ist … wir müssen aufhören, das geht sonst an die Gesundheit." Kurze Zeit später verkauften die Gerdens ihr Haus an RWE. "Alle haben gedacht, dass es zu spät ist für alles. Aber dann kam halt plötzlich die Wende – und das war traumhaft." Die Wende -damit meint Dagmar Gerden die großen Proteste rund um den Hambacher Forst.
Bagger fördern Kohle im winterlich verschneiten Tagebau Hambach bei Köln.
Kohleausstieg - Zukunft des Hambacher Waldes weiter unklar
Der Hambacher Wald soll möglichst stehen bleiben. So steht es im Kompromissvorschlag zum Kohleausstieg. Doch für die Rekultivierung des angrenzenden Tagebaus ist der Wald ein Problem.
Jene Wochen im Herbst vor einem Jahr, als RWE die verbliebenen rund 400 Hektar Wald weiter roden will, als die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den wohl größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes befiehlt, um den Wald zu räumen, um die Waldbesetzer zu vertreiben, Baumhäuser abzubauen – und sich zehntausende von Menschen bei einer Groß-Demo gegen eine weitere Zerstörung des Waldes und für einen früheren Braunkohle-Ausstieg aussprechen.
Es sind diese Wochen, in denen sich das gesellschaftliche Klima wohl endgültig dreht - und in denen die "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", kurz Kohle-Kommission, in Berlin über mögliche Eckdaten eines früheren Braunkohle-Ausstiegs berät. Ende Januar dann legt sie ihre Empfehlungen vor. Darin heißt es: "Als Abschlussdatum für die Kohleverstromung empfiehlt die Kommission Ende des Jahres 2038."
Hoffnung für den "Hambi"
Beginnen soll das Ganze im Westen Deutschlands. Die Kohlekraftwerke im Osten, in der Lausitz, in Brandenburg und in Sachsen dann später folgen. In Nordrhein-Westfalen sollen – so der Kompromiss der Kohle-Kommission – ab 2022 die ersten Kraftwerke abgeschaltet und Tagebaue verkleinert werden.
Ein Bagger arbeitet vor dem Kraftwerk Weisweiler im RWE Braunkohle Tagebau Inden. 
Ein Bagger vor dem Kraftwerk Weisweiler im RWE Braunkohle Tagebau Inden (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
Drei sind im Westen noch in Betrieb, einst bis zum Jahr 2045 genehmigt worden: Der kleine Tagebau Inden, der bis zum Jahr 2030 ausgekohlt sein und wohl auch planmäßig enden wird, Garzweiler und Hambach. Doch auch hier hat sich die Kohlekommission positioniert, auf den öffentlichen Druck reagiert – und nach jahrelangem erbitterten Streit es so formuliert: "Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt."
Sprich: Der Wald, der "Hambi" – jenes zum Symbol der Klimabewegung gewordene Stück Natur – wäre gerettet. Ein eher weicher Satz, ein simpler Wunsch – dessen Bedeutung jedoch allen Beteiligten klar ist. NRWs Ministerpräsidenten Armin Laschet beispielsweise:
"Wir wollen eine klare Aussage, dass der Hambacher Forst wie von der Kohlekommission … erhalten bleibt."
Und auch Lars Kulik, der bei RWE zuständigen Vorstand für die Braunkohle: "Ja, uns ist natürlich klar: Wenn in dem Kommissionsbericht drin steht, den Wunsch, den Hambacher Forst zu erhalten, dass das natürlich eine erhebliche oder wesentliche Bedingung ist, dass die Kommissionsbeschlüsse eins zu eins umgesetzt werden."
Ausstiegs-Empfehlungen noch nicht umgesetzt
Für RWE bedeutet dies eine erhebliche Umplanung, denn Tagebaue sind normalerweise auf Jahre und Jahrzehnte konzipiert: "Das bedeutet erhebliche Massenbewegungen, ich sag mal, auch im Sonderbetrieb, um standsichere Böschungen anzulegen. Komplett andere Überlegungen für eine Wiedernutzbarmachung und natürlich auch Fragen der Wasserwirtschaft, Standsicherheit und, und, und, die es abzuarbeiten gilt. Ziel ist, ein solches Konzept dann vorzulegen – auch, um eben diesen Wunsch möglich zu machen."
Aus mehreren Kraftwerksschloten steigen Rauch und Dampf auf.
Kohleausstieg - Noch keine offiziellen Gespräche mit Kraftwerksbetreibern
Spätestens 2038 soll Schluss sein mit der Kohle, bis Ende April wollte die Bundesregierung Details vorlegen. Doch nach Informationen unseres Hauptstadtstudios gibt es bislang nicht einmal einen offiziellen Gesprächsauftakt mit RWE.
Doch: Noch sind dies Äußerungen und Planungen im Konjunktiv. Denn: Die Empfehlungen der Kohle-Kommission sind noch nicht gesetzlich umgesetzt. Zwischen der Bundesregierung – hier dem Wirtschaftsministerium um Peter Altmaier - und dem Kraftwerks- und Tagebau-Betreiber wie eben RWE gibt es noch keine Einigung. Und diese nun monatelange Hängepartie gefährdet – trotz der Kompromiss-Bekenntnisse auf allen Seiten – das Ausstiegs-Szenario und eröffnet einen Raum, für Hoffnungen.
Der alte Fußballplatz von Morschenich wird schon bald abgebaggert und durch den Tagebau zerstört
Der Fußballplatz von Morschenich - im Hintergrund der Tagebau-Bagger (Deutschlandradio / Heinz Schindler)
Wie bei Familie Gerden in Morschenich, nahe des Tagebau Hambachs. Plötzlich ist er wieder da, dieser Gedanke: Vielleicht ist der Tagebau doch noch zu stoppen, bevor er nach Morschenich kommt. Denn noch näher am Tagebau als Morschenich liegt der Hambacher Forst. Und wenn der Wald stehen bleibt, dann doch auch das Dorf, hofft Dagmar Gerden.
"Ich hätte es gerne wieder." - Deshalb hat Familie Gerden RWE nun einen Brief geschrieben, mit der Bitte: Sollte der Ort erhalten bleiben, dann würden sie das Haus gerne zurückkaufen. "Für mich wäre es ein Traum, wenn das wirklich stehen blieb." - "Es gibt auch noch ein paar andere im Ort, die sagen, dass sie ihr Haus zurückhaben wollen. Oder sie möchten nicht, dass es abgerissen wird."
RWE dämpft die Hoffnungen der Menschen
Laut bestehender Tagebauplanung sollen die Dörfer am Tagebau Hambach wie eben Morschenich oder Manheim Anfang bis Mitte der 2020er-Jahre abgebaggert werden. Doch: Wenn der Hambacher Forst nun bleibt, können dann nicht auch die Dörfer dort bleiben? Familie Gerden zurückkehren? RWE-Vorstand Kulik schüttelt den Kopf:
"Also dem muss ich klar entgegentreten: Wir werden beispielsweise die Umsiedlung von Manheim vollständig durchführen. Wir werden auch hier natürlich gucken müssen, wo kriegen wir überhaupt Massen her, um die Dinge, die ich genannt habe, Rekultivierung, Standsicherheit, überhaupt umsetzen zu können. Also, müssen wir hier auch die Umsiedlung planmäßig und vollständig weiterführen."
Ein symbolisches Ortsausgangsschild mit der Aufschrift Ökostrom Kohlestrom Ortsschild Ökostrom Kohlestrom (Symbolbild)
Ökostrom statt Braunkohle - Die neue Strategie von RWE
RWE und die Kohle waren lange nicht voneinander zu trennen – egal ob es um Steinkohle oder um Braunkohle ging. Das soll sich langfristig ändern - mit der Übernahme der Ökostromsparten von Eon und von Innogy.
Außerdem wird die Braunkohle noch einige Jahre gebraucht, um die Stromversorgung in Deutschland zu sichern. Braunkohle hat im deutschen Strommix nach Zahlen von 2018 einen Anteil von knapp einem Viertel, gefolgt von Steinkohle und Atomenergie. Erneuerbare Energien tragen zu gut 40 Prozent zum Strommix bei. Weil Deutschland in zwei Jahren aus der Atomkraft aussteigt und auch die Steinkohlekraftwerke nach und nach vom Netz gehen sollen, wird die Braunkohle also noch so lange gebraucht, bis die Erneuerbaren Energien sie sicher ersetzen können.
Auch NRW-Ministerpräsident Laschet wird nicht müde zu betonen, dass die Stromversorgung in Deutschland sichergestellt sein müsse, bevor alle Kohlemeiler abgeschaltet werden: "Es ist noch nicht erkennbar, wenn wir jetzt lauter Kohle abschalten, wo denn der Strom herkommen soll. Das muss noch beantwortet werden."
Neuer Widerstand auch am Tagebau Garzweiler
Dennoch: Nicht nur am Tagebau Hambach hoffen jetzt Anwohner auf einen frühestmöglichen Kohle-Ausstieg – noch vor 2038. Auch am etwa 30 Kilometer entfernten Tagebau Garzweiler formiert sich neuer Widerstand gegen den Braunkohle-Abbau – und die damit verbundene Räumung von mehreren Dörfern.
Zum Beispiel in Kuckum, südlich von Mönchengladbach, am Rande des Niederrheins. Wie seine Nachbardörfer Keyenberg, Berverath, Ober- und Unterwestrich wird auch Kuckum in den nächsten Jahren dem Tagebau Garzweiler II weichen müssen.
Mitglieder der Aktionsgruppe "Kohle erSetzen!" blockieren eine Straße, die zum Braunkohletagebau Garzweiler führt
Mitglieder der Aktionsgruppe "Kohle erSetzen!" blockieren eine Straße, die zum Braunkohletagebau Garzweiler führt (dpa / picture alliance / Henning Kaiser )
Marita Dresen sitzt an ihrem Küchentisch, neben ihr Birgit Cichy. Die beiden Frauen sind Teil der Gruppe "Menschenrecht vor Bergrecht", die jetzt juristisch gegen die Umsiedlungen vorgehen will. Marita Dresen erklärt warum:
"Es muss in die Welt hinaus, dass hier Dörfer sind, die vernichtet werden für eine Sache, die nicht mehr notwendig ist. Man hat das Gefühl, man zählt überhaupt nicht als Mensch und das tut so weh."
Ein Grundstückkauf gegen RWE
Deshalb hat die Gruppe im Nachbarort Keyenberg jüngst ein Grundstück gekauft. Es liegt am Ortsrand des Dorfes. Wenn die Braunkohlebagger wie geplant 2023 kommen, um die Kohle unter Keyenberg zu holen, wäre es eines der ersten Grundstücke, das verschwinden würde. "Solange dieses Grundstück da ist, ist Keyenberg da. Anders geht’s nicht", sagt Birgit Cichy.
Tagebau-Mitarbeiter stehen am Braunkohle-Tagebau Hambach
Klimaschutz - Protesttage im Braunkohle-Revier
Klimaschutzbündnisse haben für das Fronleichnamswochenende neue Proteste im Rheinischen Braunkohle-Revier angekündigt. Befürchtet werden Besetzungen im Tagebau, der Symbol für die Auseinandersetzungen in der Klimapolitik ist.
Ihr Plan: Dieses Grundstück wird nicht an RWE verkauft, das hat sich die neue Eigentümergemeinschaft versprochen. RWE bleibt dann nur noch der Weg über ein sogenanntes Grundabtretungsverfahren, kurz: Enteignung – und dagegen könne geklagt werden, so dass letztlich ein Gericht entscheiden müsste, ob Enteignungen für die Braunkohleverstromung heutzutage noch rechtens sind. Bei RWE setzt man darauf, sich vorher zu einigen. Denn, so Braunkohle-Vorstand Kulik, eines sei klar:
"In dem Kommissionsbericht steht ja auch drin: Die Braunkohlegewinnung und Nutzung soll ja bis 2038 laufen. Und es steht nicht drin, dass die Umsiedlungen nicht fortgeführt werden sollen, sondern, es steht drin, dass sichergestellt werden soll, dass da, wo soziale und wirtschaftliche Härten sind, die vermieden werden." Mit anderen Worten: "Wenn ich nach vorne schaue, bis 2038, werden wir den Tagebau Garzweiler vollständig brauchen, um auch den verkleinerten Kraftwerkspark noch sicher mit Kohle versorgen zu können."
Paradigmenwechsel nach dem "Hambi"-Hype
Es ist das Ergebnis des "Hambi"-Hypes – und ein Dilemma: Während bei der letzten Braunkohle-Tagebau-Verkleinerung im Jahr 2016 noch darauf gesetzt wurde, Dörfer und Menschen zu retten, hat die Kohlekommission und der Zeitgeist dies nun umgedreht: Baum statt Mensch, Wald statt Dorf, Hambacher Forst statt Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich. Birgit Cichy, Marita Dresen und ihre Mitstreiter kennen diese Argumentation – und dennoch: Sie glauben weiterhin daran, dass alles möglich ist.
"Bei mir kam die Hoffnung, wie dieser Protest im ‚Hambi‘ so groß geworden ist. Also wie die tausend Menschen in den Hambacher Wald gegangen sind, da habe ich mir gedacht: Es kann nicht sein, tausende Menschen kämpfen für den Erhalt des Waldes und wir hier in den Dörfern, wir Menschen zählen nicht."
Auf mehreren geleben Tafeln stehen die Namen von Dörfern, die dem Tagebau weichen mussten oder noch weichen sollen. Sie sollen eine Art Friedhof darstellen.
Eine Aktion von Tagebau-Gegnern: Der "Friedhof der zerstörten Dörfer" in Keyenberg (picture alliance/chromorange/Martin Schroeder)
"Ja, es ist teuer, aus dieser Kohle auszusteigen, aber ich sage mal: Es wird nichts so teuer wie ein Weiter so." Mit dieser Haltung hat sich die Bewegung aber nicht nur Freunde gemacht: "Also, ich hoffe, dass die Umsiedlung nicht gestoppt wird und das alles so bleibt, wie es bis jetzt ist. Alles so durchgezogen wird", mit diesen Worten hatte Bernd Pieper aus Keyenberg, im Frühjahr dieses Jahres seinem Ärger Luft gemacht: "Bis vor einiger Zeit hätten sie mit mir alles machen können, ich wäre bis sonst wo mitgegangen, bis nach Berlin oder sonst was und hätte gesagt: Das Dorf bleibt stehen. Nur jetzt ist es zu spät."
Widerstand gegen die Widerständler
Für Pieper war es unerträglich, dass die – aus seiner Sicht – kleine Minderheit der Widerständler, mehr Raum in der Öffentlichkeit bekommen hat, als die große Masse, die sich bereits entschieden hat, umzusiedeln. Seine Sorge - damals wie heute - zum zweiten Mal der Leidtragende zu sein: Erst die Umsiedlung, dann die Rettung.
Pieper sitzt jetzt in seinem neuen Wohnzimmer in Keyenberg-neu, das eigentlich zu Erkelenz gehört. "Es ist sehr schön hier, zwar noch sehr zugig, dadurch, dass noch viele Baulücken da sind. Sobald ein bisschen Wind ist, geht man eben fliegen." Die Bilder an den Wänden fehlen, seine Stimme hallt nach. Draußen ist es dunkel, noch sind nicht alle Straßenlaternen aufgestellt.
Die Nachbarn auf der einen Seite haben erst den Rohbau fertiggestellt, gegenüber, auf der anderen Straßenseite ist noch alles frei. Ihr altes Haus haben sie kürzlich erst ausgeräumt. "… und wenn man die Frau anguckt und ihr flossen die Tränen und mir auch, dann weiß man schon, dass es für uns nicht so einfach ist."

Für Pieper steht fest: Eine Umsiedlung klappt nur, wenn alle mitmachen. Die neue Kirche, das neue Pfarrheim, die neue Mehrzweckhalle, das neue Schützenzelt. Sollte das Alte erhalten bleiben, würde es eventuell kein Neues geben.
Ein Motorrad fährt durch das Dorf Keyenberg: Von den rund 800 Einwohnern haben sich viele schon umsiedeln lassen; Aufnahme vom August 2016
Ein Motorrad fährt durch das Dorf Keyenberg (Archivfoto ais dem Jahr 2016) (picture alliance / dpa)
"Ja, die müssten mal wirklich Fakten schaffen. Es ist klar: Im Endeffekt haben die Leute, die jetzt nicht umsiedeln wollen, immer noch Hoffnung. Ich meine: Gut, ob die Leute sich damit abfinden, ist eine andere Sache. Wie bei der Kohlekommission da diese Vorschläge gekommen sind. Danach war ja nochmal eine Versammlung in Keyenberg, dass da dann Zahlen genannt wurden oder Jahreszahlen. Ja, bis 2020 oder so, dann wissen wir, was Sache ist. Da frage ich mich auch: Warum muss das so lange dauern? Warum wird nicht einfach mal konkret gesagt: So ist es jetzt, das ist Fakt und so wird es jetzt gemacht. Weil: Die Leute hängen lassen, nutzt keinem was."
Gericht soll noch einmal prüfen
Marita Dresen aus Kuckum findet, dass die Orte auch zusammen existieren könnten – der neue und die alten: "Ich kann in den neuen Ort gehen und mit denen Schützenfest feiern, warum nicht. Da leben auch meine Freunde, ich glaube, dass man darüber nicht zerstritten werden muss." Sie glaubt fest daran, dass die fünf Dörfer eine Chance haben, gerettet zu werden.
Anhand des Grundstücks in Keyenberg, das die Gruppe "Menschenrecht vor Bergrecht" erworben hat, soll nun ein Gericht klären, ob Enteignungen für die Stromerzeugung aus klimaschädlicher Braunkohle noch legal sind. Bei einer Veranstaltung Ende September erklärte der Frankfurter Anwalt der Gruppe, Dirk Teßmer: "Wir haben Grundrechte, die hier verletzt werden. Nur bei zwingenden Erfordernissen dürfen diese Rechte verletzt werden, das Eigentumsrecht, und diese Prüfung hat nicht stattgefunden."
Ein Schaufelradbagger von RWE hinter dem Hambacher Forst vor dem Tagebau Etzweiler. Im Hintergrund das RWE Kraftwerk Niederaußem.
Ein Schaufelradbagger von RWE hinter dem Hambacher Forst vor dem Tagebau Etzweiler (imago)
Bisher hieß es, dass überwiegende Allgemeinwohlinteressen auf Stromversorgung Enteignungen rechtfertigen würden. Das sei jetzt - mit beschlossenem Kohleausstieg, dem drohenden Klimawandel, und dem deutschen Versprechen, den CO2-Ausstoß drastisch zu verringern - nicht mehr der Fall, meint Teßmer: "Im Gegenteil, wir haben überwiegende Allgemeinwohlinteressen, dass der Tagebau nicht mehr so weitergeführt wird."
Auch RWE fordert Klarheit
Es gibt noch viele offene Fragen, die möglicherweise auch die Gerichte beschäftigen werden. Gerade erst hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier noch einmal bekräftigt, dass das notwendige Kohleausstiegs-Gesetz bis Ende November vorliegen soll – was auch RWE-Vorstand Kulik hofft:
"Die Kraftwerksblöcke oder ein Großteil von Kapazität soll ja bereits bis Ende 2022 vom Netz gehen. Das heißt, alleine dafür ist es natürlich umso wichtiger, dass wir als bald Klarheit und Sicherheit haben, um die technischen Dinge vorzubereiten, um Umschlüsse zu machen in den Kraftwerken. Aber natürlich auch den Personalabbau sozial verträglich sicher zu stellen. Dies erfordert als bald Klarheit. Und dann sind darüber hinaus natürlich auch Planungs- und Genehmigungsprozesse anzustoßen, um beispielsweise Veränderungen in den Tagebauen auch rechtskräftig in Abstimmung mit den Beteiligten anzugehen und umzusetzen."
Ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau in der Lausitz
Termin für Kohleausstieg - "Wir wollen Sicherheit für die Regionen"
Der CDU-Energiepolitiker Andreas Lämmel hat sich im Dlf gegen einen früheren Kohleausstieg ausgesprochen. Es gehe um die Sicherheit für die Regionen und um neue Perspektive für die Mitarbeiter.
Zurück in Morschenich am Tagebau Hambach: Dagmar und Jürgen Gerden sind mittlerweile wieder auf dem Weg in ihr neues Haus, im Süden der Stadt Düren. Der Besuch in Morschenich hat alte Erinnerungen hochgeholt, schmerzhafte Erinnerungen.
"Wir haben da einen Berater gehabt, der sagte der zu mir: Sagen Sie mal Frau Gerden, wo ist die Summe, die sie haben wollen für das Haus? Und dann habe ich da gestanden und habe nichts gesagt. Und dann sagt der zu mir: Es gibt gar keine Summe, die sie bekommen können, die Ihnen das leichter macht."
Die Zeit, so heißt es ja in einem Sprichwort, sie heilt gemeinhin alle Wunden. Doch dafür müsste es erst einmal losgehen, mit dem echten, dem gesetzlichen Kohleausstieg im Rheinischen Revier.