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Umstrittene Cem-Häuser in der Türkei

Die Aleviten beten nicht in Moscheen, sondern in Cem-Häusern. Hier hängen Bilder an den Wänden, Frauen und Männer beten gemeinsam und es wird gesungen oder getanzt. Nicht nur orthodoxe Sunniten stören sich daran, auch der türkische Staat erkennt die Cem-Häuser nicht an.

Von Gunnar Köhne | 24.10.2013
    Die Aleviten sind eine im 13. Jahrhundert entstandene islamische Glaubensrichtung. Die größte alevitische Gemeinschaft lebt in der überwiegend sunnitischen Türkei. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren noch etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung Aleviten. Wegen der anhaltenden Diskriminierung und der zunehmenden sunnitischen Re-Islamisierung unter der AKP-Regierung ist inzwischen bereits die Hälfte der alevitischen Türken ausgewandert.

    Seda Zengin sitzt in ihrem Lieblingscafe, auf der belebten Istiklal Straße in Istanbul. Die Studentin blättert in einer Zeitung, streicht sich ihre braunen, glatten Haare hinters Ohr und schüttelt den Kopf. Auf dem Tisch vor der jungen Alevitin liegt ein Artikel über das geplante gemeinsame Gebetshaus für Sunniten und Aleviten in Ankara. Es wäre das erste seiner Art in der Türkei.

    "Diese beiden Religionsgruppen nebeneinanderzusetzen, ist für mich so, als ob man Öl ins Feuer gießt."

    Das von der AKP-Regierung, dem sunnitischen Prediger Fetullah Gülen und einer regierungstreuen alevitischen Stiftung geplante Projekt sieht ein gemeinsames Areal für eine Moschee und eine alevitischen Gebetstätte, ein sogenanntes Cem Haus vor. Seit Bekanntwerden der Pläne tobt in den türkischen Medien eine heftige Kontroverse. Kritische Aleviten wie Seda Zengin sehen das Projekt mit Misstrauen:

    "Sie tun so, als ob dieses Projekt ein Schritt in Richtung Religionsfrieden wäre. Meiner Meinung nach ist das aber reiner Populismus. Indem die Regierung auch in den Wohngebieten der Aleviten Moscheen bauen lässt, hofft sie doch, dass wir Aleviten auf den richtigen Pfad des Islam zurückkehren. Denn in ihren Augen ist ihr Islam doch der einzig Wahre. Alle anderen sind für sie nur Verirrte."

    Die Angst der Aleviten, sich assimilieren zu müssen, kommt nicht von ungefähr. Schon zu Zeiten der Osmanen wurden Anhänger der alevitischen Glaubensrichtung verfolgt. Erst nach Gründung der modernen Republik Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk, dem Befürworter eines laizistischen Staates, genossen Aleviten mehr Glaubensfreiheit. Unter der religiös-konservativen Regierung Erdogans, dem Kritiker eine sunnitisch geprägte Islamisierung der Türkei vorwerfen, fühlt sich die Mehrheit der Aleviten in ihrer Glaubensfreiheit bedroht. Cem Häuser werden vom Staat nicht rechtlich anerkannt. Sie werden finanziell nicht gefördert – damit existieren alevitische Gebetsstätten für den türkischen Staat eigentlich nicht.

    Aleviten in der Türkei stehen traditionell politisch links. Bei den regierungskritischen Gezi Protesten des vergangenen Sommers standen viele Aleviten in vorderster Reihe, etliche wurden Opfer der Polizeigewalt. Sie fühlen sich dadurch provoziert, dass Ministerpräsident Erdogan wieder und wieder betont, es gebe nur einen Islam:

    "Bestimmte Kräfte wollen einen Keil zwischen Aleviten und Sunniten treiben. Wir aber wollen versöhnen. Sind denn die Aleviten keine Moslems? Wenn der Unterschied zu uns Sunniten ist, dass sie den Propheten Ali lieben – dann bin ich auch ein hundertprozentiger Alevit! Ali ist schließlich der Schwiegersohn unseres Propheten!"

    Strenge Sunniten stören sich besonders an der Gebetspraxis der Aleviten. In einem Cem-Haus hängen Bilder an den Wänden, Frauen und Männer beten gemeinsam, es wird gesungen und sogar getanzt. Für Orthodoxe ein Unding.

    Viele Aleviten hofften auf eine Besserung ihrer Lage, als die Regierung Ende September ein sogenanntes "Demokratie-Paket", veröffentlichte. Doch statt einer rechtlichen Gleichstellung der alevitischen Glaubensgemeinschaft versprach Erdogan lediglich eine Universität in Anatolien nach "Haci Bektas-I Veli", einem für Aleviten bedeutenden Heiligen, zu benennen. Für Zeynel Sahin, den Vorsitzenden des Haci Bektasi Ordens im Istanbuler Stadtteil Okmeydani, eine große Enttäuschung.

    "Der Staat erkennt das Cem-Haus nicht als Gebetsstätte an. Er verneint also unseren Glauben. Gleichzeitig will ein Minister gemeinsam mit Fetullah Gülen ein Cem Haus neben einer Moschee einweihen! Was ist das bitte für ein Widerspruch! Wen wollen die für dumm verkaufen?"

    Im Büro des Aleviten-Vertreters hängen drei Bilder: der Prophet Ali, nach alevitischem Glauben rechtmäßiger Nachfolger des Propheten Mohamed, der Heilige Haci Bektas Veli und Republikgründer Atatürk. Sahin macht einen müden Eindruck. Denn nicht nur dieser Konflikt plagt ihn. Das Cem-Haus seiner Gemeinde wird gerade renoviert und vergrößert. Da er keine staatlichen Förderungen bekommt, muss er die Kosten durch Spenden aufbringen.

    Rund 100 Meter entfernt sitzen sechs alte Männer, allesamt Sunniten, vor einer Moschee zusammen und trinken schwarzen Tee. Das Freitagsgebet ist gerade vorüber. Lebhaft diskutierten sie über den alevitischen Glauben. Während die einen zwischen Muslimen keinen Unterschied machen wollen, sehen die Anderen in den Aleviten Abtrünnige. Ein Mann mit schlohweißem Schnauzbart ist strikt gegen eine Zusammenlegung von Cem-Haus und Moschee:

    "Wie soll das denn je zusammengehen? Ich wohne seit 50 Jahren hier. Nicht mal zu Beerdigungen laden sie uns ein. Als es noch kein Cem Haus gab, wurden ihrer Namen der Toten von unserer Moschee aus verkündet. Du kannst noch so viele Moscheen und Cem Häuser nebeneinander bauen. Die Aleviten werden sich nie ändern."

    Bis zu einer Versöhnung der beiden islamischen Religionsrichtungen in der Türkei scheint es noch weit zu sein. Sunniten und Aleviten unter einem Dach – das kann sich die Studentin Seda Zengin nicht vorstellen. Zu tief sitzen die Kränkungen, die viele Aleviten erlebt haben.

    "Ich bin Alevitin, weil meine Eltern es sind. Religion spielte in unserer Familie eigentlich keine Rolle. Mir war als Kind lange gar nicht bewusst, dass es einen Unterschied gibt innerhalb des Islam. Aber ich habe schon als Schulkind erleben müssen, wie Mitschüler zu mir kamen, mir auf die Schulter klopften und sagten: Mach Dir nichts draus, Du wirst schon auch auf den rechten Pfad kommen. Solche Herablassungen habe ich zu oft erlebt."