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Umstrittene CO2-Düngung

In den Niederlanden leiten Tausende von Gärtnereien die Kohlendioxid-Abgase aus ihren Heizungen direkt in die Gewächshäuser ein, um damit das Wachstum von Gurken und Tomaten zu beschleunigen. "CO2-Düngung" heißt das im Fachjargon. Und tatsächlich: das Gemüse gedeiht prächtig. Auch in unserer Atmosphäre reichert sich bekanntlich das Treibhausgas Kohlendioxid an, und es stellt sich die Frage, wie Pflanzen sich verändern, wenn die Erde ein Treibhaus geworden ist. Weltweit beschäftigen sich Wissenschaftler damit. So auch in der Braunschweiger Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, wo die Blicke speziell auf Acker- und Nutzpflanzen gerichtet werden.

Von Michael Engel | 04.05.2005
    Seit zwölf Jahren experimentiert Professor Hans Joachim Weigel mit Weidepflanzen, die in Klimaschränken und speziellen "Begasungsringen" draußen unter freiem Himmel gedeihen. Unter kontrollierten Bedingungen versteht sich: Auf 550 ppm - das entspricht 0,055 Prozent - wurde die atmosphärische CO2-Konzentration eingestellt. Ein Wert, der im Jahre 2050 erreicht sein soll. Tonnenweise musste der Wissenschaftler teures Kohlendioxid kaufen, um eine künstliche Atmosphäre zu schaffen, die in 45 Jahren vorherrschen wird. Pflanzen - so der Direktor des Instituts für Agrarökonomie - gedeihen unter diesen futuristischen Bedingungen prächtig:

    " Die Pflanzen sind in der Regel etwas höher, sie sind meistens auch ein bisschen kräftiger. Bei bestimmten Pflanzen, die hier allerdings keine Rolle spielen, von der Baumwolle weiß ich es eben, weil viele Versuche damit gemacht wurden, die legen neue Verzweigungen an, das heißt, die Bestände werden insgesamt dichter. Das hängt ein bisschen mit der Wuchsform zusammen. Aber auch hier in Braunschweig - beim Weidelgras - konnte man das deutlich sehen, der Bestand war insgesamt ein bisschen kräftiger. Vor allem war er etwas höher, die Pflanzen waren in die Höhe gewachsen. Das sind keine großen Effekte, die bewegen sich so um zehn bis 15 Prozent, aber immerhin. "

    Auf den zweiten Blick indes ergibt sich ein anderes Bild. Durch die beschleunigte Entwicklung altern die Pflanzen schneller, sichtbar besonders an den vergilbten Blättern lange vor dem eigentlichen Ende der Wachstumsperiode, weil das Blattgrün vorzeitig abgebaut wird. Augenscheinlich ist auch der deutlich geringere Eiweißgehalt im Korn der Gräser - ein Minus von 15 Prozent:

    " Eine Theorie ist: Es ist eine schlichte Verdünnung, indem mehr Kohlenstoff in die Pflanze hineinkommt in Form von CO2 und letztlich Zucker, den die Pflanze mit der Photosynthese aufbaut, findet eine Verdünnung statt. Und eine zweite Theorie ist, dass die Pflanze die Aufnahme des Stickstoffs über die Wurzel herunterfährt, das heißt, sie nimmt gar nicht erst Stickstoff auf. "

    Stickstoff ist aber ein wichtiger Baustein für Eiweiß. Sogar die intensive Stickstoff-Düngung konnte die Pflanzen nicht anregen, mehr Proteine zu produzieren. Die Braunschweiger Ergebnisse beziehen sich zwar auf Weidelgras, eine Futterpflanze, lassen sich aber auf Getreidepflanzen übertragen. Weniger Protein im Korn würde zum Beispiel die Qualität von Roggen- oder Weizenmehl erheblich verschlechtern. Kartoffeln hingegen profitieren, weil die höhere CO2-Aufnahme zu mehr Stärke und größeren Knollen führt. Wesentlich komplizierter sind die ökologischen Fragestellungen. Werden sich zum Beispiel die Raupen noch aggressiver auf Pflanzen stürzen, weil der Eiweißbedarf kaum noch gedeckt werden kann? Oder gehen sie massenweise zugrunde und fallen als Nahrungsquelle für andere Wildtiere - zum Beispiel Vögel - aus?

    " Wir schaffen ein Szenario, um eine Vorstellung zu erzeugen, wohin eine bestimmte Richtung sich entwickeln könnte. Die Realität abzubilden gelingt uns nicht bei diesen Sachen. Aber gleichwohl ist der andere Ausweg, dass man nur noch mit Modellen arbeitet und sie dann auch nicht mehr experimentell validiert, noch gefährlicher. "

    Ungeklärt ist auch die Frage, wie sich der höhere Phenolgehalt, der sich unter erhöhter CO2-Konzentration in den Pflanzen bildet, auf die holzigen Strukturen im Stängel der Gräser zum Beispiel auswirkt. Und wie werden Mikroorganismen, die das Stroh im Boden wieder abbauen, mit diesen veränderten Bedingungen fertig? Selbst wenn viele der Szenarien bedrohlich wirken, kann Prof. Hans Joachim Weigel der erhöhten "Ressource CO2" auch positive Seiten abgewinnen:

    " Diese Ressource, die uns jetzt angeboten wird, die natürlich in ihrer Gesamtwirkung global ein negatives Szenario darstellt, hat aber trotzdem - wie wir hier besprochen haben - durchaus auch positive Effekte. Denn wir haben letztlich die Option, daraus mehr Kohlenstoff einzubinden, also eigentlich mehr Sonnenenergie in Biomasse umzusetzen. "

    Ob das "angeheizte" Wachstum das Kohlendioxid-Problem wie von selbst erledigt, letztlich vielleicht sogar die Klimaerwärmung in den Griff bekommt, das ist wohl eher zu bezweifeln, solange die fossilen Energieträger nicht ersetzt werden.