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Umstrittene Kampagne gegen Baerbock
Geld gegen Glaubwürdigkeit

Die bei vielen Medien geschalteten Anzeigen gegen die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bringen Medienhäusern Geld. Dahinter stecke aber ein zweifelhafter Auftraggeber, kommentiert Brigitte Baetz.

Ein Kommentar von Brigitte Baetz | 14.06.2021
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Viel Baerbock auf einer Seite - das sei eine heikle Nähe von Werbung und redaktionellem Inhalt, findet Brigitte Baetz (Screenshot von "Zeit online" am 11. Juni 2021)
Es war der Tag vor der Bestätigung von Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin und in den großen Zeitungen und Online-Portalen war die noch gar nicht Gekürte als Moses zu sehen, mit Verbotstafeln in beiden Armen. Unter anderem hieß es da etwas kryptisch: "Du darfst nicht schöner wohnen."
Was in gedruckter Form noch eindeutig als Kampagnenwerbung gegen die Grünen erkennbar war, verwischte im Internet allerdings die Grenzen zum redaktionellen Inhalt. Wer beispielsweise am Freitag das Portal von "Zeit Online" ansteuerte, dem sprang die großflächige Werbung fast schon ins Gesicht.

Unfreiwillige Ergänzung

"Annalena und die zehn Gebote" umrahmte mit intensiven Farben und großer Schrift eine Analyse der Politik der Grünen von Alan Posener. Der redaktionelle Inhalt wurde optisch fast erdrückt. Und da Werbung wie Artikel das gleiche Thema hatten, wirkte die Anzeige wie eine Kommentierung der Kommentierung. Keine Redaktion kann es freuen, wenn ihre Arbeit in solcher Weise konterkariert oder unfreiwillig ergänzt wird.
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, gibt ein Interview vor der Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei. Auf dem Parteitag wird das Wahlprogramm für die Bundestagswahl verabschiedet.
"Moses"-Kampagne gegen Annalena Baerbock
Eine Lobby-Kampagne, die die grüne Kanzlerkandidatin mit Gesetzestafeln zeigt, verurteilen Kritiker als antisemitisch. Der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff kann das in Ansätzen nachvollziehen.
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft beschreibt sich selbst als branchen- und parteiübergreifende Plattform, offen für alle, die sich der Sozialen Marktwirtschaft verbunden fühlen. Doch das ist die Umschreibung für eine Lobbytätigkeit, die nun schon seit zwei Jahrzehnten andauert und die unter anderem die Interessen der Automobilwirtschaft vertritt - eine Gruppe, die sich von den Grünen besonders bedroht fühlen dürfte.
Finanziert wird das Ganze durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie. Nun haben Lobbytätigkeiten ihre Berechtigung und sie sind auch nicht verboten. Greenpeace und andere Umweltverbände tun das auch. Doch sie stehen für diese Tätigkeit auch mit ihrem eigenen Namen ein und verstecken sich nicht hinter einer extra dafür gegründeten "Plattform", bei der der Geldgeber nicht auf Anhieb erkennbar ist.

Lobby-Geschäftsführer droht Freiberuflerin

2005 recherchierte ich für ein Feature über die Macht von Lobbygruppen. Ich stellte bei der INSM die einfache Anfrage nach einem Interview. Daraufhin wurde mir von einem der beiden damaligen Geschäftsführer in aggressivem Ton telefonisch mitgeteilt, man wisse schon, was ich für eine sei und ich solle mir überlegen, dass ich als Freiberuflerin ja auch in Zukunft darauf angewiesen sei, dass man mir Arbeit gebe.
Andere Journalisten berichteten zu dieser Zeit von ähnlichen Versuchen, Einfluss auf ihre Berichterstattung zu nehmen. Ob es professionell ist, Journalistinnen schon beim Erstkontakt vorsorglich zu drohen, sei dahingestellt. Deutlich wurde damals jedenfalls, dass die INSM die Medienlandschaft intensiv beobachtet und genau analysiert, wie die Branche sich wandelt.

Willkommene Werbeeinnahmen

Und zu diesem Wandel gehört auch die finanzielle Not der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. Es ist durchaus nachzuvollziehen, warum diese Anzeige unter anderem bei "Zeit Online", "Süddeutsche Zeitung", FAZ, "Handelsblatt" und "Bild" gedruckt wie online geschaltet werden konnte. Solche prominent platzierten Werbeformate bringen viel Geld in knappe Kassen.
Weniger verständlich ist, dass sich die Verlagsverantwortlichen nicht bewusst waren, dass eine solche Anzeige die Glaubwürdigkeit ihrer Blätter untergraben kann. Sie verbreitet noch dazu falsche Informationen, wie die Deutsche Presseagentur recherchiert hat. Die dpa nahm vier Vorwürfe unter die Lupe, die den Grünen in der Anzeige gemacht werden. Fazit: Zwei davon waren falsch, die beiden anderen ungenau oder teilweise falsch. Falschinformationen in deutschen Qualitätsblättern also, kein schönes Ergebnis. Immerhin: "Zeit Online" hat diese dpa-Recherche auch abgebildet.

Keine moralische Haftung für Werbung?

Der Deutschlandfunk fragte unter anderem bei Republic nach, dem gemeinsamen Vermarkter von SZ und FAZ, ob es Qualitätsrichtlinien gebe, nach der eine Werbung auch einmal abgelehnt werde, zum Beispiel weil man sie als antisemitisch verstehen könnte. Es antwortete die Kommunikationsabteilung der Südwestdeutschen Medienholding, bei der die SZ erscheint: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Ihre Fragen nicht kommentieren möchten."
Doch kann man es sich als ernsthaftes Medienunternehmen wirklich so leicht machen in Zeiten von Fake News, in der sich die Gesellschaft immer mehr spaltet statt ernsthaft miteinander zu diskutieren? Gibt es nicht auch eine moralische Verbreiterhaftung für Werbung? Der "Spiegel hatte das zumindest erkannt. Dort lehnte man die Anzeige der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft schlicht und ergreifend ab. Es wäre schön gewesen, das Hamburger Magazin wäre nicht alleine geblieben.