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Umstrittene Nahost-Dokumentation

Vor acht Jahren gründete Yigal Carmon in den USA das Middle East Reasearch Institut - kurz Memri. Das Institut wertet etwa 50 Satellitensender und 70 der wichtigsten Zeitungen in arabischer und persischer Sprache aus und übersetzt wichtige Artikel hauptsächlich in Englisch. Ein vor fünf Jahren in Berlin eröffnetes Memri-Büro wird jetzt geschlossen. Für manche ein Grund zum Jubeln, denn Memri ist seit Beginn umstritten.

Von Dieter Wulf | 05.08.2006
    "Seit vier Wochen wissen wir, dass es eine kritische Situation gibt, weil bestimmte Spenden, mit denen man bei der Organisationsleitung in Washington gerechnet hat, nicht eingetroffen sind oder nicht in dem Umfang eingetroffen sind wie man das kalkuliert hatte. Und es sind schlicht und einfach finanzielle Lücken aufgetreten und der Entschluss war, wir müssen kürzen und dem wird jetzt aller Voraussicht nach die Arbeit des Berliner Büros zum Opfer fallen. "

    Erklärt der Islamwissenschaftler Dr. Jochen Müller, der bislang das Berliner Büro von Memri geleitet hat. Schon vor einigen Wochen hatte man die etwa 4.000 Interessierten, darunter 500 Journalisten informiert, dass der Übersetzungsdienst zumindest vorübergehend eingestellt werde. Seit Anfang dieser Woche ist nun endgültig klar, dass die Berliner Dependance aus Geldmangel so nicht mehr fortgeführt wird. Versuche in den letzten Wochen hier in Deutschland für das Projekt noch Gelder ein zu werben, schlugen fehl.

    "Wenn man an Stiftungen an die Politik denkt dann sind da längere Wege notwendig da sind längere Vorbereitungen notwendig. Also das geht so kurzfristig wie wir jetzt gezwungen waren zu handeln geht das sicherlich nicht. "

    Das sei umso ärgerlicher, meint Jochen Müller, da die kostenlos angebotenen Übersetzungen aus der arabischen Medienwelt gerade in letzter Zeit besonders von Journalisten immer intensiver genutzt wurden.

    "Wir erinnern uns an den Karikaturenstreit oder die Reden von Ahmedinejad und die entsprechenden Diskussionen um die Entwicklung im Iran. Da haben wir Dienste geleistet die der hiesigen Auseinandersetzung mit diesen Fragen doch entscheidend weiter geholfen haben und entscheidende Impulse geliefert. "

    Doch es gibt auch andere Stimmen. "Hurra - es gibt noch gute Nachrichten: Memri Deutschland hört auf", heißt es aktuell auf der Homepage des Islamwissenschaftlers Henner Kirchner, Mitarbeiter am Institut für Orientalistik der Uni Giessen. Er kritisiert Memri seit Jahren als Interessengruppe, der es eigentlich nur darum geht im Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten einseitig für Israel Stimmung zu machen.

    "Ich hab auch nichts gegen Lobby-Organisationen. Der Punkt ist nur dass ne Lobbyorganisation die hinterm Berg hält was für Interessen sie wirklich vertritt und sich als eine unabhängige wissenschaftliche Institution ausgibt halt eine Mogelpackung ist. "

    Indem man bewusst bei Memri nur ganz extreme antisemitische oder nationalistische Texte aussuche und diese übersetze, würde die arabische Medienöffentlichkeit im Westen völlig verzerrt dargestellt und somit diffamiert, meint Henner Kirchner.

    "Das Problem bei Memri ist, ist dass sie vorgeben ein Bild zu zeichnen aber nur die Ränder skizzieren, das eigentliche Bild bleibt leer. Das ist um es mal plakativ aufs deutsche Spektrum zu übertragen man nimmt die Extreme von beiden Seiten und sagt das gibt die repräsentative Meinung in Deutschland wieder. Beispiel man nimmt Texte der RAF und man nimmt die Zeitung der Nationaldemokraten und sagt das gibt halt den großen Diskurs wieder und das ist halt nicht der Fall. Also die wesentlichen Diskussionen in der arabischen Welt kommen bei Memri nicht vor. "

    Das dies nicht stimme, davon meint Jochen Müller, könne sich jeder selbst überzeugen.

    "Wenn man sich allein auf unserer Homepage einklickt und ansieht was wir in den letzen Wochen und Monaten an Texten aus den arabischen und iranischen Medien veröffentlich haben so kann man glaube ich eindeutig sehen dass es da keine Tendenz zur Diffamierung der arabischen Seite innerhalb dieses Konfliktes gibt sondern dass unsere Themen sehr viel weiter gestreut sind und dass wir vor allem auch die liberalen Stimmen in einem vergleichsweise hohen Anteil zu Wort kommen lassen. "

    Doch meist ging es bei den Kritikern von Memri nur vordergründig um die Auseinandersetzung von Inhalten. Im Zentrum ging es immer um die Bewertung und die Rolle des Gründers Yigal Carmon. Der Israeli war in den 70er und 80er Jahren Leiter der Zivilverwaltung des Westjordanlandes und somit auch für die Ministerpräsidenten Schamir und Rabin Berater für arabische Fragen. Seine Kritiker sehen in ihm jedoch schlicht einen rechtsradikalen Zionisten, der die Araber vertreiben will, dem israelischen Geheimdienst Mossad angehört und Folter als legitimes Mittel ansieht. Egal wie oft Yigal Carmon solche Vorwürfe öffentlich detailliert widerlegte, die Kritiker scherte das nicht. Seit Jahren heißt es Memri finanziere sich aus undurchsichtigen Quellen, dabei sind die Finanzen wenn man denn will in den USA öffentlich einsehbar.

    Memri habe einfach auf sehr problematische Sichtweisen und Haltungen in den arabischen Medien aufmerksam gemacht, meint Jochen Müller, die lange selbst von vielen Islamwissenschaftlern hierzulande als völlig marginal tabuisiert wurden. Statt sich aber mit dem eigentlichen Phänomen zu befassen, schlage man auf den Überbringer der schlechten Nachricht ein.

    Zumindest in Washington wird es Memri auf jeden Fall weiter geben und somit Übersetzungen ins Englische. In begrenztem Rahmen wird man dort dann auch weiterhin Übersetzungen ins Deutsche abrufen können. Journalisten, die sich hierzulande mit der arabischen Welt befassen, werden aber in jedem Fall wichtige Ansprechpartner verlieren.