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Umstrittener Kurswechsel im spanischen Bildungssystem

Seit Monaten gibt es in Spanien immer wieder Demonstrationen gegen Bildungsminister José Ignacio Wert und die geplante Bildungsreform, die Einsparungen und Strukturänderungen vorsieht. An der Debatte wird deutlich, wie tief die Gräben in der spanischen Gesellschaft sind.

Von Reinhard Spiegelhauer | 29.10.2013
    "Keiner hört auf dich - es lebe der Kampf" - seit Monaten gibt es immer wieder Demonstrationen gegen Bildungsminister José Ignacio Wert und die geplante Bildungsreform. Dabei wird an der Debatte überdeutlich, wie tief der Graben in der spanischen Gesellschaft noch ist, zwischen rechts und links. Dort steht zum Beispiel die Gewerkschaft der Schüler und Studenten, mit rund 20.000 Mitgliedern die größte Organisation von Schülern und Studenten in Spanien. Sie hat mehrfach Demonstrationen und Streiks organisiert und schreibt sich Klassenkampf auf die Fahne. Generalsekretärin Ana Garcia über die geplante Bildungsreform:

    "”Das ist eine antidemokratische, autoritäre Politik, die an längst überwundene Zeiten erinnert, Arbeiterkindern den Zugang zu höherer Bildung versperren will und das öffentliche Bildungssystem abschaffen will.""

    Das klingt vielleicht polemisch - aber viele in Spanien empfinden es tatsächlich so. Deshalb richtet sich die Kritik nicht nur gegen die eigentliche Bildungsreform, sondern auch gegen die begleitenden Sparmaßnahmen: Zuschüsse für das Mensaessen, Zuschüsse für Lehrmaterial, Stipendien werden gekürzt, Stellen für Verstärkungslehrer gestrichen, Studiengebühren erhöht.

    "Wir wissen alle nur zu gut, was dahinter steckt, wenn Wert davon spricht, die Katalanen müssten hispanisiert werden, wenn er behauptet, niemandem werde der Zugang zur Uni verwehrt, obwohl wir täglich das Gegenteil erleben, mit immer volleren Aulen und entlassenen Lehrkräften. Wir werden nicht zulassen, dass der Franquismus in die Aulen zurückkehrt, nach allem, was es uns gekostet hat, dieses System zu überwinden."

    Einen klar ideologisch besetzten Punkt gibt es tatsächlich in der geplanten Reform des Ministers: das von den Sozialisten eingeführte Fach Staatsbürgerkunde soll abgeschafft, stattdessen wieder Religion unterrichtet werden.

    Ansonsten geht es viel um Organisation und Strukturen, um Änderungen bei den Prüfungen. Für die Schüler- und Studentengewerkschaft ist das der Versuch, den Zugang zu erschweren - und auch der unabhängige Lehrerverband ANPE übt Kritik:

    "Natürlich sind die Vorstellungen der Schüler andere als unsere. Wir sind durchaus dafür, die Anforderungen zu erhöhen. Aber es sollte dadurch niemand auf der Strecke bleiben. Die Prüfungen sollten vor allem diagnostische Funktion haben, um Schwächen aufzudecken. Sie sollten aber niemanden in seiner Schullaufbahn stoppen."

    Nicolás Fernandez Visado ist Vorsitzender des Lehrerverbandes, er beklagt, die Reform sei im Grunde vor allem eine technische, eine Verwaltungsreform. Was das Thema Lehrinhalte und Methodik angehe, sei die geplante Reform ein klarer Rückschritt:

    "Die PISA-Studie hat gezeigt, dass die Ergebnisse in manchen Autonomen Gemeinschaften sehr gut waren, in anderen sehr schlecht. Man müsste daraus Konsequenzen ziehen, aber das Gesetz beschäftigt sich damit überhaupt nicht. Der Zentralstaat wird im Gegenteil sogar weniger Einfluss auf die Lehrpläne haben als zuvor."

    Auch in der Politik schlägt der Bildungsreform erbitterte, allerdings bislang wirkungslose Kritik entgegen. Alle Oppositionsparteien verlangen Änderungen, doch die Volkspartei will das "Gesetz Wert" so, wie es ist, mit ihrer Mehrheit durchsetzen. Doch es gilt als sehr wahrscheinlich, dass es höchstens für zwei Schuljahre gelten wird. Der Grund dafür ist, dass die Volkspartei ihre absolute Mehrheit 2015 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlieren dürfte - und dann nicht mehr alleine Gesetze verabschieden kann. Dagegen gibt es eine Vereinbarung praktisch aller Oppositionsparteien, das Gesetz Wert sofort zu Fall zu bringen, wenn es die Mehrheitsverhältnisse zulassen. Doch Minister Wert gibt sich gänzlich unbeirrt:

    "Der Pakt, den die parlamentarischen Gruppen da geschlossen haben, ist völlig absurd. Man kann nicht ein Gesetz einfach abschaffen und ein wichtiges Feld wie die Bildungspolitik ungeregelt zurück lassen. Am Tag danach wäre völlig unklar, wie die Lehre in den Schulen und Universitäten auszusehen hat."