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Umstrittener Vergleich

Wegen eines umstrittenen Vergleichs von Türken und Juden soll Faruk Sen sein Amt als Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien niederlegen. Zu Unrecht, meint der Unternehmer Ishak Alaton, einer der prominentesten Juden der Türkei. Sen habe in seinem Zeitungskommentar die zunehmende Fremdenfeindlichkeit innerhalb der Türkei angeklagt und sei in Deutschland völlig falsch verstanden worden. Susanne Güsten hat Ichak Alaton und Faruk Sen in Istanbul getroffen.

27.06.2008
    " Diese Entscheidung nehme ich mit Befremden zur Kenntnis, und ich werde mich juristisch, politisch und in der Öffentlichkeit dagegen wehren. Mit diesem Rausschmiss werde ich nie einverstanden sein. "

    Faruk Sen ist schockiert von der Reaktion, die seine Kolumne in einer türkischen Wirtschaftszeitung in der deutschen Öffentlichkeit ausgelöst hat. Schon am 19. Mai hatte er in der Zeitung "Referans" jenen Beitrag veröffentlicht, in dem er die Türken als "die neuen Juden von Europa" bezeichnet hatte. Die Vorladung vor den Vorstand seines Zentrums für Türkeistudien erreichte ihn in dieser Woche im Urlaub in Istanbul. Sen lehnte es ab, innerhalb von zwei Tagen in Essen zu erscheinen, um sich zu rechtfertigen. Statt dessen hat er Zuflucht am Bosporus genommen, bei dem jüdischen Geschäftsmann Ishak Alaton, für den er die Kolumne eigentlich geschrieben hatte. Auch Alaton, einer der führenden Unternehmer der Türkei und einer der prominentesten Juden des Landes, ist verblüfft von den deutschen Reaktionen auf Sens Artikel:

    " Faruk Sen ist völlig falsch verstanden worden. In der deutschen Debatte wird von falschen Voraussetzungen ausgegangen, was sie zu einem falschen Ergebnis geführt hat. Faruk Sen hat eine Kolumne über ein türkisches Problem geschrieben, in einer türkischen Zeitung, er hat eine Botschaft an die Türkei gerichtet. Er hat mich darin in der Einschätzung unterstützt, dass die Türkei auf einem falschen Weg ist, dass in der Türkei der Ultranationalismus wächst, und dass das gefährlich und falsch ist. Er hat in dieser Kolumne die Türken aufgerufen, mir zu glauben, dass diese ultranationalistische Entwicklung gestoppt werden muss, diese Entwicklung hin zu Xenophobie, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Das hat Faruk Sen in seiner Kolumne geschrieben. "

    Auslöser für Sens Kolumne war eine Reihe von Angriffen türkischer Medien auf Ishak Alaton gewesen, nachdem dieser in einem offenen Brief an die Presse die wachsende Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Paranoia in der Türkei beklagt hatte. Der Unternehmer, der sich mit seinem Mischkonzern Alarko vom Gastarbeiter zu einem der größten Industriekapitäne des Landes hochgearbeitet hat, engagiert sich seit vielen Jahren für die Demokratisierung der Türkei. Sein offener Brief erschien im April, ebenfalls in der Zeitung "Referans". Alaton steht nach wie vor zu den Vorwürfen, die er damals erhob:

    " Es gibt hier eine generelle Fremdenfeindlichkeit. Von einer speziellen Judenfeindlichkeit zu reden, wäre nicht richtig, in der Türkei gibt es keinen Antisemitismus. Es ist aber eine generelle Xenophobie, eine allgemeine Fremdenfeindlichkeit und Paranoia. Alle, die nicht sunnitische Moslems sind, werden als Feinde gesehen. Die Regierung und die AKP haben damit übrigens nichts zu tun, die AKP nehme ich von diesen Vorwürfen ausdrücklich aus. Diese Übel sitzen tiefer im Staat, in der Bürokratie vor allem, aber auch der Medien. Gegen diese ultranationalistische Tendenz bin ich aufgetreten. "

    Wütenden Angriffen aus den nationalistischen Ecken der türkischen Medien sah Alaton sich auf seinen offenen Brief hin ausgesetzt, bei denen es an antisemitischen Untertönen nicht fehlte. Die Angriffe rissen auch nach einem ausführlichen Fernsehinterview nicht ab, in dem der 80-Jährige Unternehmer seinen Standpunkt erläuterte. Mit seiner Kolumne stellte sich Faruk Sen daraufhin hinter den angegriffenen jüdischen Geschäftsmann und rief seine Landsleute zur Empathie auf: Wer als Türke über Benachteiligung und Diskriminierung in Europa klage, müsse umgekehrt auch gegen die Diskriminierung von Minderheiten in der Türkei eintreten, lautete das Kernargument seines Kommentars - eine Botschaft, die in Deutschland nicht verstanden worden sei, sagt Alaton:

    " In Deutschland ist diese Kolumne völlig falsch verstanden worden, weil Faruk vielleicht etwas unüberlegt die Überschrift gesetzt hat: Die Türken sind die neuen Juden Europas. Dabei haben alle gleich an den Holocaust gedacht. Eine interessante Reaktion eigentlich, denn damit hat der Artikel ja nichts zu tun. Faruk Sen hat das keineswegs gesagt. Seine Überschrift war eben falsch, aber das ist auch alles. Es gibt es in der deutschen Gesellschaft als Erbe des Holocausts eben noch eine Empfindlichkeit bei diesem Thema, einen Schuldkomplex, einen unterbewussten, das muss man auch sehen. Das ist ja auch gut, dass diese Empfindlichkeit sehr lebendig ist. "

    Den türkischen Juden und den anderen Minderheiten in der Türkei tue die deutsche Gesellschaft dennoch keinen Gefallen, wenn sie Sen nun in Unkenntnis der Hintergründe als Holocaust-Verharmloser etikettiere und entlasse, meint Alaton - im Gegenteil:

    " Statt Faruk Sen zu verhören und zu bestrafen, könnten die deutschen Medien und Politik sehr viel bessere Beiträge leisten. Dazu gehört es, der Türkei beizustehen, die Türkei besser zu verstehen, und dazu beizutragen, die Fremdenfeindlichkeit und den Ultranationalismus einzudämmen, was ja machbar ist. Die deutsche Gesellschaft und auch die deutsche Regierung könnten dazu sehr viel beitragen. "