Dienstag, 16. April 2024

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Umstrittenes Gedenken
Die verhinderten Helden vom Stößensee

Im Frühjahr 1966 überflog ein sowjetischer Militärjet Westberlin, als die Triebwerke versagten. Die beiden Piloten steuerten das Flugzeug in den Spandauer Stößensee – und verhinderten womöglich eine größere Katastrophe. Eine Heldengeschichte mitten im Kalten Krieg, die bis heute Fragen aufwirft.

Von Gesine Dornblüth | 16.05.2020
Südlicher Stößensee, Spandau, Berlin, Deutschland
Im Stößensee bei Spandau versank 1966 das Militärflugzeug mit Boris Kapustin und Juri Janow an Bord (imago / Schöning)
Hauptmann Boris Wladislawowitsch Kapustin und Oberleutnant Juri Nikolajewitsch Janow waren als sowjetische Piloten in der DDR stationiert. Ihr Auftrag am 6. April 1966: einen Militärjet aus Finow, nordöstlich von Berlin, ins heutige Sachsen-Anhalt zu überführen.
Über Westberlin kam es zu einem technischen Defekt. Dem Befehl, den Schleudersitz zu betätigen, widersetzten sie sich, die beiden Soldaten steuerten den Jet in den Berliner Stößensee. Sie starben, verhinderten aber einen Absturz über bewohntem Gebiet, bei dem es viele Tote hätte geben können.
Der Moskauer Bildhauer Andrej Korobzow neben seinem Entwurf für ein Denkmal für zwei Flieger der Roten Armee. Die damals in der DDR stationierten Piloten stürzten 1966 nach einem Triebwerksausfall in den Westberliner Stößensee. Sie widersetzen sich damit einem Befehl, sich per Schleudersitz zu retten, verhinderten damit aber möglicherweise einen Absturz über bewohntem Gebiet.
Blick in eine lichte Zukunft der UdSSR: Bildhauer Andrej Korobzow mit seinem Denkmalentwurf für die Flieger (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Das Wrack - ein Prototyp neuester sowjetischer Luftfahrttechnik kurz vor der Serienreife - fiel in die Hände der Briten, die das Flugzeug genau inspizierten. Groß geehrt wurden die Soldaten nicht. Weil er einen Befehl missachtet hatte, verweigerte der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew dem Piloten Kapustin etwa den Ehrentitel Held der Sowjetunion.
Ein erinnerungspolitischer Streitfall
Die Erinnerung an den Unfall und die beiden Soldaten nahm erst nach dem Ende des Kalten Krieges an Fahrt auf, in Deutschland und in Russland. Kapustins Witwe und eine junge Historikerin kämpfen heute um das Andenken der "Heldentat" vom Stößensee.
Anastasija Moisejewa am Grab von Boris Kapustin
Die Historikerin Anastasija Moisejeva möchte die Erinnerung an Kapustins und Janows Tat wiederbeleben (Gesine Dornblüth )
Dabei ist vieles nicht so eindeutig, wie es scheint. Eine Gesichter-Europas-Sendung über Heldenkult, die Instrumentalisierung von Geschichte und die schwierige Suche nach der Wahrheit.