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Umsturz in Libyen ist "nicht mehr umkehrbar"

Dorothea Auer ist zurzeit im tunesisch-libyschen Grenzgebiet. Aus ihrer Sicht wird Muamar al-Gaddafi sich nicht halten können - zu viele kleinere Städte und Regionen haben sich vom Revolutionsführer losgesagt.

Dorothea Auer im Gespräch mit Jürgen Liminski | 28.02.2011
    Jürgen Liminski: Nordafrika brennt, Ungewissheit herrscht in Tunesien, Demonstrationen gibt es auch wieder in Ägypten und in Libyen herrscht Bürgerkrieg, der Gaddafi-Clan ist in der Defensive, die Opposition uneins, aus den meisten Ländern fliehen die Menschen zu Tausenden. Auch viele Ausländer und Diplomaten verlassen die Region. Eine bleibt. Es ist die Botschafterin Österreichs in Tripolis, Dorothea Auer. Sie befindet sich derzeit im Grenzgebiet zwischen Tunesien und Libyen. Guten Morgen, Frau Auer.

    Dorothea Auer: Guten Morgen!

    Liminski: Frau Auer, alle Welt fragt sich, was kommt nach Gaddafi, wie lange kann er sich noch halten. Würden Sie eine Prognose wagen?

    Auer: Sehr schwer natürlich. Momentan, so weit ich höre, ist alles ruhig. Es haben die Banken geöffnet, sie verteilen 500 Dinar, die abgehoben werden für Regierungstreue oder Pro-Demonstranten. Das ist eine bekannte Methode. Es ist nicht abzuschätzen, wie lange das dauern kann. Es könnte noch länger dauern mit Zwischenpausen. Im Osten, in Bengasi, hat sich die Situation einigermaßen, sagen wir ansatzweise konsolidiert, als dass sich dort die Stammesführer mit dem ehemaligen Justizminister eine Art Vereinigung gebildet haben, um keine Übergangsregierung, aber so was Ähnliches für kurze Zeit zu schaffen, um dort neue Strukturen zu schaffen, und das Gleiche muss natürlich auch für Tripolis und für den Fessan – der Fessan ist ausgenommen mehr oder weniger von dem ganzen, im Süden, da hört man nicht so viel -, aber muss für alle drei Regionen beziehungsweise für das ganze Land, so es zusammen bleibt, dann natürlich passieren, um wieder neue Strukturen und eine Ordnung, eine Mindestordnung herzustellen.

    Liminski: Frau Auer, halten Sie die Lage noch für umkehrbar?

    Auer: Meine persönliche Meinung: nein! Nein! Der Sirenetta ist entschieden, wenn man so sagen will, und Tripolis als Hauptstadt natürlich ist noch nicht entschieden, aber die letzten Informationen deuten darauf hin, dass doch immer mehr Städte wie zum Beispiel Misurata – Misurata war eindeutig, war eigentlich eindeutig klar, auf welcher Seite es steht und stehen wird, und ist inzwischen auch anders, hat sich anders entwickelt. Ich glaube nicht. Nach dem, was passiert ist, ist es nicht mehr umkehrbar, denn es sind doch zu viele Leute gestorben dabei und das ist nicht wirklich nachvollziehbar.

    Liminski: Sie sind in der Grenzzone, da wo vermutlich ein reger Flüchtlingsverkehr herrscht. Wer flieht und wohin wollen die Menschen?

    Auer: Hier an der Grenze ist tatsächlich, um die 50.000 Personen kommen und werden dann so gut es geht weitergeleitet, werden betreut vom Roten Halbmond. Das Militär, das tunesische Militär, hat dort eine Zeltstadt-Ortschaft aufgebaut, wo die Leute betreut werden, mit Essen versorgt, so gut es geht. Tunesien ist ja selber auch in einer neuen Umbruchsphase. Es sind sehr viele, ich glaube, die Hälfte davon, kann man sagen, sehr viele Ägypter, die, als wir über die Grenze gegangen sind, alle zu Fuß mit dem möglichen, was sie tragen konnten, über die Grenze gegangen sind, und viele andere. Wer halt auf der richtigen, sozusagen auf dieser Westseite des Landes ist, kann diesen Grenzübergang nach Tunesien – es gibt zwei geöffnete Grenzübergänge – wählen. Andere konnten mit den Flugzeugen ausfliegen und es gibt derzeit nach wie vor Bemühungen, die im Osten laufen und noch ein bisschen schwerläufig sind, mit Schiffen auszufahren. Beispielsweise im Raum Sirenetta noch, im Sirenetta-Becken, sind gestern zwei große Schiffe gekommen, um dort noch Tausende von Leuten aufzunehmen. Die Möglichkeit, zur anderen Grenze in Richtung Ägypten zu fahren, besteht auch. Es sind heute einige Konvois unterwegs, die diese Chance nutzen, die vorwiegend von den Ölfeldern im Süden kommen.

    Liminski: Von einem Massenexodus in Richtung Europa würden Sie aber nicht sprechen?

    Auer: Es sind derzeit, so weit ich weiß, überhaupt kaum Flüge zu bekommen, in welche Richtung auch immer. Die sind alle ausgebucht. Wer auf diesen Flügen gebucht ist, weiß ich nicht, aber es fliegen vorwiegend die Europäer nach Europa, glaube ich. Also von einem Migrations-Massenexodus kann ich Ihnen nichts sagen. Ich weiß nur, dass die Flughäfen auch hier in Djerba – das ist der nächstgelegene – vollkommen überfüllt sind. Tausende Leute warten, irgendwo hinzufliegen, vorwiegend in die eigene Heimat, würde ich einmal sagen.

    Liminski: Und Sie selbst? Sind Sie froh, dass Sie im Moment nicht in Tripolis sitzen?

    Auer: Ja, weil wir haben am Tag, wo wir - - wir haben die Lage immer relativ sehr gut eingeschätzt und immer etwas antiquittiert, und das hat sich immer so dann bewahrheitet. An dem Tag, wo wir, wo unser Konvoi rausging, war am Abend dann in Tripolis einiges los. Die österreichische Botschaft ist relativ im Zentrum und die Residenz ist zwar außerhalb gelegen, aber trotzdem: Es waren ja auch schon die Tage davor Schüsse immer wieder zu hören, und das ist nicht wirklich beruhigend, weil man genau weiß, auch wenn wir nicht das primäre Ziel sind oder waren und auch nicht sind, Schüsse können sich verirren, es passiert irgendetwas und das war's dann, und gegen Schüsse sind wir auch nicht immun.

    Liminski: Es ist noch vieles offen in Libyen. Das war die Botschafterin Österreichs in Tripolis, Dorothea Auer. Besten Dank für das Gespräch, Frau Auer.

    Auer: Bitte sehr. Auf Wiederhören!

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