Freitag, 19. April 2024

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Umweltbundesamt-Chef Messner
"Wir stehen plötzlich ganz oben auf der politischen Agenda"

Der neue Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, sieht wichtige Etappenziele erreicht. Die Klimaschutzfrage sei zentral geworden, Mobilität und Landwirtschaft seien längst keine Randthemen mehr, sagte Messner im Dlf. Die 2020er-Dekade müsse nun zu einer Dekade der Weichenstellungen werden.

Dirk Messner im Gespräch mit Stefan Römermann | 07.01.2020
Ein Ballon mit der Aufschrift "Klimaschutz Jetzt" bei einer Demonstration in Wien.
Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes: "Wir reden in Deutschland und in Europa und weltweit über Klimaschutz, über Mobilitätsfragen, über die Zukunft der Landwirtschaft" (www.imago-images.de / Weibner Europa)
Stefan Römermann: Es ist die wichtigste Umweltbehörde in Deutschland und gilt angeblich sogar als größte und mächtigste Umweltbehörde in Europa. Das Umweltbundesamt in Dessau soll einerseits Umweltgesetze in Deutschland umsetzen, die Bundesregierung wissenschaftlich beraten und außerdem auch noch die Öffentlichkeit zu Umweltfragen aufklären. An der Spitze der Behörde gab es jetzt einen Wechsel. Die bisherige Präsidentin, Maria Krautzberger, ist zum Jahreswechsel in den Ruhestand gegangen. Neuer Chef ist der Nachhaltigkeitsforscher Dirk Messner. Mit ihm spreche ich jetzt über die Aufgabe, die vor ihm liegt. Hallo, Herr Messner! – Erst mal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Job! Sie sind jetzt ein paar Tage in Ihrem Amt. Ist das Büro schon bezogen?
Dirk Messner: Hallo, Herr Römermann! – Schönen guten Tag! – Ja, das Büro in Dessau habe ich heute bezogen. Ich war schon in Berlin in den Tagen davor. Also, es kann jetzt losgehen.
31.08.2018, Berlin, Deutschland - Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens Zeit-gerechte Klimapolitik mit Prof. Dr. Dirk Messner
Neuer Präsident des Umweltbundesamtes und Nachfolger von Maria Krautzberger: Dirk Messner (imago imges / Reiner Zensen)
Römermann: Aber die Kisten sind noch nicht alle ausgepackt?
Messner: Die sind noch nicht ausgepackt. Aber ich weiß, wo sie stehen.
"Wir betreiben Wissenschaft für gesellschaftliche Verantwortung"
Römermann: Sie sind von Hause aus ja Wissenschaftler, kein Verwaltungsbeamter und auch kein Politiker. Trotzdem würde ich Sie gerne fragen: Wie politisch ist dieser Job, den Sie da angenommen haben?
Messner: Das UBA ist ja eine wissenschaftsbasierte Institution, die die Politik berät auf der Grundlage von wissenschaftlicher Forschung und Expertise. Und diese Politikberatung hat dann natürlich auch eine politische Komponente, weil wir versuchen, Lösungswege zu skizzieren, die in Deutschland und Europa umgesetzt werden können. Hier wird Wissenschaft für gesellschaftliche Verantwortung betrieben.
Römermann: In ähnlicher Weise haben Sie das ja schon gemacht. Sie haben bisher den Wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen geleitet. Ich hoffe, ich habe das jetzt richtig gesagt.
Messner: Das ist genau richtig, ja.
Römermann: Und haben auch in anderen Punkten schon die Politik beraten. Was ist denn Ihr Eindruck? Wie ernst wird denn da Ihre wissenschaftliche Expertise in Berlin genommen?
Messner: Zunächst mal ist es, glaube ich, wichtig, dass man sieht, dass das, was Nachhaltigkeitsforschung seit vier Dekaden versucht hat, in die Gesellschaft hineinzutragen, nämlich dass Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen ins Zentrum von Wirtschaftspolitik, von Arbeitsmarktpolitik gehören, dass das jetzt angekommen ist. Wir reden in Deutschland und in Europa und weltweit über Klimaschutz, über Mobilitätsfragen, über die Zukunft der Landwirtschaft. Es sind jetzt alle wichtigen Themen eigentlich auf der Tagesordnung. Deswegen ist für mich die 2020er-Dekade, die jetzt vor uns liegt, eine Dekade der Weichenstellungen, und die Frage ist, wie man das UBA nun so mobilisieren kann und ausrichten kann, dass die Institution in dieser Phase der Weichenstellung Richtung Nachhaltigkeit den möglichst besten Impact erzielen kann.
"Viele dieser Themen mit Vehemenz angehen"
Römermann: Und Sie möchten das zukünftig deutlich aktiver gestalten?
Messner: Wir sind in einer neuen Situation. Wir sind in dieser Situation, in der wir jetzt plötzlich sehen, dass alle Themen, mit denen das UBA beschäftigt ist, ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Die Klimaschutzfrage ist zentral, die Frage der Zukunft der Mobilität, damit auch die Frage der Zukunft der deutschen Automobilindustrie wird intensiv diskutiert, die Frage, wie Landwirtschaft und Ernährung zukünftig ausgestaltet werden soll, Kreislaufwirtschaft. Das alles sind jetzt keine Randthemen mehr, sondern zentrale Themen, und viele von diesen Themen müssen auch in der nächsten Dekade mit Vehemenz angegangen werden, damit wir noch Problemlösungen erzeugen können. Wir müssen zum Beispiel die Treibhausgas-Emissionen, über die Sie ja eben in dem Interview zuvor gesprochen haben, in der nächsten Dekade weltweit halbieren, damit wir noch eine Chance haben, das Ziel des Klimaabkommens von Paris, nämlich zwischen 1,5 und zwei Grad globaler Erwärmung uns zu stabilisieren, was globale Erwärmungsprozesse angeht, damit wir das noch erreichen können. Das ist eine Entscheidungsphase, vor der wir jetzt stehen, und deswegen muss das UBA natürlich sich überlegen, wie es in dieser Dekade der Weichenstellungen und von wichtigen Entscheidungen sich möglichst effizient aufstellt.
Römermann: Sind Sie dann selbst eher der stille Mahner und beraten eher im Hintergrund, oder werden Sie den Politikern auch die Leviten lesen, wenn sie mal wieder einen, sagen wir mal, eher kleinen CO2-Preis vereinbaren oder Ähnliches machen?
Messner: Ich glaube, eine Institution wie das UBA muss beides tun. Das UBA muss eine Vertrauensbeziehung zur Politik haben und auch im stillen Kontext, in ruhigen Kontexten, in vertrauensvollen Kontexten Möglichkeiten mit der Politik, mit politischen Entscheidungsträgern oder auch der Wirtschaft ausleuchten, um zu sehen, in welche Richtung man sich bewegen kann. Auf der anderen Seite ist Wissenschaft und auch das UBA, das ja eine Ressort-Forschungsinstitution ist, eine Wissenschaftsinstitution ist, verantwortlich dafür, dass wir unsere Problemlösungen in die Öffentlichkeit tragen. Wir haben da eine Frühwarnfunktion, wir haben auch eine Mahnerfunktion und beides muss man kompetent wahrnehmen – die Mahnerfunktion, die auch mal laut sein muss und Öffentlichkeit anregen muss, neu nachzudenken, wie auch auf der anderen Seite das vertrauensvolle Gespräch und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern. Das darf sich nicht ausschließen.
Römermann: Im Dezember wurden Vorschläge aus dem Umweltbundesamt bekannt, dass beispielsweise höhere Spritpreise angebracht wären, Tempolimit, Abschaffung der Pendlerpauschale. Das hat für ziemliche Schlagzeilen gesorgt, hat für viel Kritik gesorgt, aber man hatte auch den Eindruck, ich sage mal, außer vielleicht den Grünen oder so hat das niemand so richtig ernst genommen in der Politik und es ging nur darum, das kann man ja nicht durchsetzen.
Messner: Ich glaube, wir müssen verstehen, dass in Bezug auf eine Reihe von Umweltfragen – das gilt insbesondere für die Klimafrage, aber auch in anderen Bereichen – wir eigentlich in einer neuen Situation im Zusammenspiel zwischen Politik und Wissenschaft stehen. Die Wissenschaft hat ja die Aufgabe, das habe ich eben schon mal angedeutet, das Notwendige anzumahnen. Um das Klimaproblem noch lösbar zu machen, müssen wir bestimmte Reduktionen von Treibhausgasen in die Wege leiten. Ansonsten wird das Problem unlösbar.
"Es ist keine einfache Aufgabe"
Römermann: Aber die Politik konzentriert sich meistens dann auf das Machbare und nicht auf das, was eigentlich notwendig ist, oder?
Messner: Ganz genau. Die Politik hat die Aufgabe – und das ist ja auch zunächst mal aus der Perspektive von demokratischen Entscheidungsprozessen auch richtig -, das politisch Machbare auszuloten und Kompromisse zu finden. In vielen Bereichen der Politik funktioniert das gut. Nehmen Sie sich den Mindestlohn. Da kann man für 11,50 Euro sein oder für 13 Euro; dann kann man sich auf 12,22 Euro einigen. Da ist der Kompromiss dann tragfähig und funktioniert. Es kann aber sein, dass im Klimabereich das, was politisch im Augenblick machbar scheint und wo ein Kompromiss landet im politischen Raum, dass das nicht ausreicht, um katastrophische Probleme abzuwenden. Wenn wir eine bestimmte Treibhausgas-Emissionsdynamik beibehalten, dann könnte ab einem bestimmten Punkt das Abschmelzen des Grönlandeisschildes irreversibel stattfinden, nicht mehr stoppbar sein, und das wären dann im Ergebnis sieben Meter Meeresspiegelanstieg über die Zeit. Da hilft dann kein Kompromiss, sondern die Wissenschaft muss da darauf hinweisen, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden, laufen wir auf große Krisen zu. Insofern muss man die Stärken der Demokratie, nämlich Kompromisse zu schmieden, Allianzen für Wandel zu schmieden, Legitimation zu schaffen in der Bevölkerung, das muss mit den Stärken der Wissenschaft, diese Frühwarnfunktion wahrzunehmen und Lösungskorridore aufzuzeigen, die machbar und notwendig sind, zusammengefügt werden. Das ist keine einfache Aufgabe.
Römermann: Das klingt tatsächlich nicht einfach. Aber was machen Sie, wenn wirklich nicht auf Sie gehört wird?
Messner: Ich bin zunächst mal nicht so pessimistisch.
Römermann: Das ist schön.
Messner: Nehmen Sie sich den Klimawandel. Der Klimawandel ist ja ein sehr abstraktes Problem. Dass wir mit den Prozessen, die wir jetzt in Gang setzen und die wir in den letzten Dekaden in Gang gesetzt haben, in der Zukunft ein komplett neues Erdsystem schaffen könnten, Erdsystemwandel möglich ist, das ist ja sehr abstrakt. Dass es der Wissenschaft gelungen ist, diese Problemlage soweit in die Gesellschaft zu tragen, dass wir jetzt einen Weltklimavertrag haben, in dem festgelegt ist, dass wir nicht über zwei Grad globale Erwärmung hinaus wollen, und dann auch verstanden worden ist weltweit, dass das heißt, dass wir unsere Wirtschaften ziemlich komplett umbauen müssen, in die Energiesysteme hinein müssen, die Mobilitätsfragen thematisieren müssen, die Industrie neu organisieren müssen, das ist ja ein ungeheurer Erfolg von Wissenschaft, weil hier wurde aus der Wissenschaft heraus, nicht aus der Politik, nicht aus der Gesellschaft, sondern aus der Wissenschaft heraus deutlich gemacht, wir stehen hier vor einem Zukunftsproblem, das Kehrtwenden und Transformationen erfordert. Jetzt geht es darum, dass da auch die Geschwindigkeit reinkommt, die wir brauchen, um die Probleme lösbar zu halten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.