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Umweltkatastrophe vor Spaniens Küste
Untergang des Öltankers "Prestige" vor 15 Jahren

Im November 2002 schlug der Öltanker "Prestige" vor der galizischen Küste leck. Das marode Schiff hatte 77.000 Tonnen Rohöl geladen. Das Sinken des Schiffes und ein falsches Krisenmanagement führten zu einer der größten Umweltkatastrophen der Geschichte. An den Folgen leidet die Region Galizien noch heute.

Von Julia Macher | 13.11.2017
    Helfer bei der Säuberung des ölverpesteten Nemina-Beach am 1. Dezember 2002 nach der Havarie des Öltankers "Prestige" vor der Nordwestküste Spaniens im November 2002.
    Helfer bei der Säuberung des ölverpesteten Nemina-Beach am 1. Dezember 2002. Insgesamt wurden 1.600 Kilometer Küste verseucht, vom Norden Portugals bis nach Frankreich. (AFP / CHRISTOPHE SIMON )
    Am Nachmittag des 13. November 2002, um Viertel nach drei, erreicht ein SOS-Signal die Küstenwache am Kap Finisterre am westlichsten Ende Galiziens. Der Kapitän eines Ölfrachters meldet, inmitten eines Seesturms, Havarie. Es sollte der Auftakt zu einer der größten Umweltkatastrophen der Geschichte werden.
    26 Jahre alt ist die "Prestige", als sie 50 Kilometer vor der galizischen Küste leck schlägt: ein in die Jahre gekommenes Ein-Hüllen-Schiff mit 77.000 Tonnen Rohöl an Bord. Bei den spanischen Behörden herrscht zunächst Verwirrung. Die Reeder empfehlen, die "Prestige" in den Hafen von A Coruña abzuschleppen. Doch die Hafenbehörde fürchtet ein Verlustgeschäft und lehnt ab. Während der Riss an Steuerbord des maroden Frachters größer wird, ordnen die Behörden schließlich an, das Schiff möglichst weit vom Festland zu entfernen. Sechs Tage irrt die "Prestige" auf offener See herum. Am 19. November schließlich zerbricht sie 250 Kilometer vor der Küste in zwei Teile und versinkt.
    Gigantischer Ölteppich auf der Wasseroberfläche
    Tagelang strömten insgesamt über 64.000 Tonnen Schweröl in den Atlantik. Auf der Wasseroberfläche breitete sich ein gigantischer Ölteppich aus und verseuchte 1.600 Kilometer Küste: vom Norden Portugals bis nach Frankreich. Die Bilder von ölverschmierten Seevögeln, verendeten Fischen, mit dickem, zähem Schlamm überzogenen Felsen und Stränden erschütterten die Weltöffentlichkeit.
    Zehntausende Freiwillige aus Spanien und ganz Europa reisten nach Galizien, sammelten Seite an Seite mit Soldaten und Fischern das giftige Schweröl ein. Mit Schaufeln, Eimern, Bratpfannen, manche mit den bloßen Händen.
    "Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen und dachte: Das darf nicht wahr sein. Deswegen bin ich gekommen."
    "Wir haben alles Mögliche gemacht: Eimer geschleppt, volle, leere. Auf den Felsen habe ich den Leuten geholfen, das Zeug von den Schaufeln zu kratzen. Es klebt überall, es ist einfach ekelhaft."
    Die Welle der Hilfsbereitschaft tröstete, konnte den Schaden aber nicht lindern: In Folge der Katastrophe verloren 30.000 Fischer ihre Existenzgrundlage. Der Bestand an Fischen und Schalentieren reduzierte sich um die Hälfte.
    Der Krisenstab übte sich in systematischer Verharmlosung
    Fast ebenso hart wie das Unglück selbst traf die Menschen das Katastrophenmanagement der konservativen Volkspartei. Der zuständige Verkehrsminister Francisco Alvarez Cascos und der galizische Ministerpräsident weilten im Jagdurlaub, während die Prestige versank. Und der eingesetzte Krisenstab übte sich in systematischer Verharmlosung. Anfang Dezember, als aus dem Wrack bereits täglich 125 Tonnen Rohöl flossen, verkündete der damalige Innenminister Mariano Rajoy:
    "Der Bug ist nach derzeitigen Informationen nach innen verbogen, das Öl kühlt noch ab, und an vier Stellen treten kleine Fäden nach außen. Sie haben das Aussehen von erhärtetem Plastik und richten sich nach oben auf. Die Techniker überprüfen noch, was das bedeutet."
    Die Empörung über die Katastrophe und der Ärger über die Politik brachten in Santiago de Compostela Anfang Dezember fast 200.000 Menschen auf die Straße.
    "Wir haben die Tragödie in eine Bewegung zur Verteidigung des Meeres verwandelt, in eine Bewegung, die man auch die Revolution der Unschuldigen nennen könnte."
    Sagte Manuel Rivas im Abschlussmanifest. Der galizische Schriftsteller wurde zu einem der führenden Köpfe von "Nunca Mais", "Nie wieder", einem Zusammenschluss von Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Kulturschaffenden und Parteien. Es war die erste große zivilgesellschaftliche Bewegung des demokratischen Spaniens. Immer wieder hat "Nunca Mais" seither politische und strafrechtliche Konsequenzen aus der Tragödie gefordert. Vergeblich.
    Warum der Frachter sank, ist bis heute nicht eindeutig geklärt
    Am 13. November 2013, auf den Tag genau elf Jahre nach dem Unglück, wurden der griechische Kapitän, sein Maschinist und der damalige Chef der Hafenbehörde freigesprochen. Die damaligen Krisenmanager sitzen noch heute an den Schaltstellen von Politik und Wirtschaft. Und Spanien kommt immer noch für die Langzeitfolgen des Unglücks auf: Versteckt in verschiedenen Posten belaufen sie sich auf über 18 Milliarden Euro. Das Wrack der "Prestige" ist versiegelt, die Tanks wurden geleert, an den Felsen und auf dem Meeresgrund werden aber zuweilen immer noch Reste des damals ausgetretenen Öls gefunden. Warum der Frachter sank, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.