Donnerstag, 28. März 2024

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"Umweltsau"-Satire
Entschuldigung vom WDR-Intendanten "eine absolute Überreaktion"

Die WDR-Satire sei ein Ausdruck künstlerischer Freiheit, sagte der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP) im Dlf. Sich für das Lied zu entschuldigen, sei eine Überreaktion. Er kritisierte auch den Einwurf von FDP-Politiker Wolfgang Kubicki in der Debatte, hier werde Satire politisch instrumentalisiert.

Gerhart Baum im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.12.2019
Ex-Innenminister Gerhart Baum sitzt in einem Sessel in der Talkshow "Günther Jauch" im September 201
Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP): Von einer Instrumentalisierung junger Leute könne keine Rede sein (Imago/Müller-Stauffenberg)
Christoph Heinemann: Am Telefon ist der FDP-Politiker Gerhart Rudolf Baum, der ehemalige Bundesinnenminister. Guten Tag!
Gerhart Rudolf Baum: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Baum, bleiben wir zunächst bei Silvester. Sie kennen die Argumente: Feinstaub, Verletzungsgefahr, allgemeine Sicherheitsbedenken. Sollten Raketen und Knaller verboten werden?
Baum: Ich bin der Meinung, man müsste mal jetzt wirklich über Alternativen nachdenken, denn es ist ja ein ständiger Anstieg zu erkennen. Es werden immer mehr Feuerwerkskörper importiert, immer mehr werden gezündet, und das darf nicht so weitergehen. Es gibt Alternativen, darüber müsste man nachdenken, man müsste mit den Bürgern reden. Jetzt das direkt zu verbieten, würde ich nicht für richtig halten, aber die Problematik muss aufgezeigt werden. Also ich genieße das Feuerwerk, muss ich sagen, in Köln vom Dach, aber nur 15 Minuten, dann versinkt Köln im Rauch. Das ist ja die Nebenwirkung, die eben auch geschildert wurde, der Feinstaub, dann ist nichts mehr zu sehen. Es muss nicht sein, würde ich mal sagen, es muss wirklich nicht sein.
Heinemann: Lassen wir den Rauch wegziehen oder abziehen – Frage an den Liberalen: Wie viel Unvernünftiges sollte erlaubt bleiben?
Baum: Ja, gut, es bleibt viel Unvernünftiges erlaubt. Es wäre ja schlimm, wenn der Staat die Gesellschaft durchregulieren würde. Nicht alles, was unerwünscht ist, muss auch verboten werden, aber manches ist eben einem Verbot gar nicht zu entziehen. Der Klimaschutz geht mit Regeln einher. Ich würde auch das Wort Verbot nicht dauernd benutzen, es sind Regeln des Zusammenlebens, die wir hier beachten müssen. Und da gibt es zwei Pole: Die Menschen, die Deutschen, sind einerseits sehr schnell dabei, etwas zu verbieten, weil sie glauben, damit wird die Welt besser, auf der anderen Seite werden Verbote horrifiziert, also es darf keine geben. Eine Mittelmeinung ist richtig. Dort, wo es unabweislich ist, im Verkehr beispielsweise, wenn also verboten ist, am Steuer mit dem Handy zu telefonieren oder die Daten aus dem Auto einfach weiterzugeben und zu verkaufen, da treten staatliche Schutzpflichten ein. Und manchmal muss die Freiheit auch geschützt werden, indem man sie einschränkt.
"Das ist auch eine Frage der Abwägung"
Heinemann: Genau, wie viel und welche Freiheit sollte man eben für den Klimaschutz einschränken?
Baum: Ja, das ist auch eine Frage der Abwägung, und das muss ein effizientes Mittel sein. Es gibt ja ein Klimapaket der Bundesregierung, da sind einige Dinge vorgezeichnet, das ist ein Anfang, und auf diesem Wege muss man weitergehen. Es ist ja nicht so, dass alles nur dem freien Spiel der Kräfte unterworfen ist. Denken Sie mal an die marktbeherrschende Stellung von Google. Das muss eingeschränkt werden, da muss die Freiheit eingeschränkt werden. Wettbewerb ist notwendig, um die Marktwirtschaft effizient zu halten. Wir leben in einer Gesellschaft, wo sinnvolle Regelungen absolut notwendig sind, das muss man von Fall zu Fall klären. Also ein Verbot des Fleischessens zum Beispiel, das würde ja kein vernünftiger Mensch machen – da müssen Sie wieder Fleischmarken ausgeben – oder Verbot von Mallorca-Flügen. Das alles steht nicht auf der Tagesordnung, aber dass der Mensch sein eigenes Verhalten ändert, das steht auf der Tagesordnung.
Heinemann: Wie kann die Politik das denn steuern ohne Verbote oder ohne Einschränkungen?
Baum: Sie kommt an Einschränkungen ja überhaupt nicht vorbei.
Heinemann: Aber Sie haben doch gerade eben gesagt, bestimmte Sachen sollte man eben nicht einschränken.
Baum: Ja, bestimmte Sachen, die ich eben genannt habe, aber es gibt natürlich vernünftige Verkehrsregeln, an denen man nicht vorbeikommt. Dass man nur 30 fährt vor einer Schule, ist so eine vernünftige Regelung, oder dass man das Rasen/Wettbewerb auf der Straße mit Rasern, die dann zu Todesfällen führten, besonders bestraft, das ist absolut richtig. Man muss eine Abwägung vornehmen. Und die besteht eben darin, dass man eben gesellschaftliches Miteinander, gesellschaftliches Verhalten, Rücksichtnahme zunächst einmal dem freien Spiel der Kräfte überlässt, aber das geht nicht absolut. Wir leben, von Regelungen umgeben, die notwendig und nützlich sind, und an denen müssen wir auch festhalten und die müssen wir auch ausbauen.
Heinemann: Könnte man als Faustregel sagen, Verbote sind dann geboten, wenn sie die Lebensgrundlagen künftiger Generationen verbessern?
Baum: Ja, zum Beispiel, oder zum Beispiel Gesundheitsgefährdungen herbeiführen, zum Beispiel Rauchen in Restaurants ist verboten aus diesem Grunde – also wenn andere geschädigt werden, künftige Generationen oder eben heute.
Heinemann: Im Falle des Rauchens werden natürlich auch die Steuer- beziehungsweise die Beitragszahler geschädigt, auch wenn das im privaten Raum geschieht.
Baum: Ja, natürlich, das ist so. Zum Beispiel gibt es ja Diskussionen, soll man im Auto rauchen dürfen oder nicht. Da wäre ich toleranter. Wenn ich mich selbst entscheide, mich selbst zu vergiften, ist das eine Sache, aber wenn Kinder dabei sind, ist das schon wieder eine andere Sache.
"Eine absolute Überreaktion"
Heinemann: Herr Baum, die Klimadebatte wird leidenschaftlich ausgetragen. Der Westdeutsche Rundfunk muss sich gerade rechtfertigen, weil ein Kinderchor eine fiktive Oma als, wörtlich, alte Umweltsau besungen hat. Wo endet für Sie die Freiheit der Sprache?
Baum: Sie endet nicht dort. Das, was Sie eben zitiert haben, ist Satire, und die Kunst ist frei. Das ist die Identität unseres Grundgesetzes, die Kunst darf nicht eingeschränkt werden, auch eine möglicherweise missglückte Satire ist eine Satire, ist Ausdruck künstlerischer Freiheit. Ich sage das als Vorsitzender des Kulturrats Nordrhein-Westfalen, und ich sage das auch als Mitglied des Rundfunkrats des WDR. Der Intendant ist hier Opfer eines Shitstorms geworden. Das ist ein typischer Shitstorm, in den er hineingeraten ist, und das, was er gemacht hat und auch andere, ist eine absolute Überreaktion. Am weitesten ist ja Herr Kubicki gegangen, der insinuiert hat, hier würden junge Leute instrumentalisiert so wie früher in der DDR. Davon kann ja überhaupt nicht die Rede sein. Für mich erschreckend diese Überreaktion und das Nichtvorhandensein von vernünftiger Abwägung. Haben wir denn nicht andere Sorgen, als uns über eine Satire aufzuregen? Ich sehe darin auch keine Diskriminierung. Ich bin 87 Jahre alt, ich fühle mich als alter Mensch nicht diskreditiert dadurch. Außerdem steckt in der ganzen Diskussion ja ein Stückchen Wahrheit. Die Älteren sind nicht so umweltbewusst wie die Jüngeren, das ist eindeutig erwiesen. Also bitte die Kirche im Dorf lassen.
Heinemann: Möchten Sie als alte Umweltsau bezeichnet werden?
Baum: Ich persönlich würde mich dagegen wehren. Hier ist ja auch kein einzelner Mensch so bezeichnet worden, sondern eine Gruppe, und das im Zusammenhang mit einer Satire. Und keineswegs sind die Kinder instrumentalisiert worden, das ist ja jetzt auch deutlich geworden durch Stellungnahmen von verschiedenen Seiten. Also bitte nicht so empfindlich, das geht wirklich an den Kern der Freiheit.
"Die Tonlage ist aufgeregt"
Heinemann: Herr Baum, wie bewerten Sie generell die Tonlage der Klimadebatte?
Baum: Die Tonlage ist aufgeregt, und Sie sehen ja an dem Shitstorm – der Shitstorm, den wir jetzt hier bereden mit der Satire, ist ja auch ein Teil der aufgeheizten Klimadebatte. Sie werden sehen, dass die, die dem Klimaschutz zögernd gegenüberstehen, kritisieren und die anderen nicht kritisieren. Hier wird etwas politisch instrumentalisiert, diese Debatte über die Satire wird jetzt richtig politisch instrumentalisiert, sie geht uns aber alle an, nicht nur die Linken und die Rechten.
Heinemann: Wenn wir noch mal den Blick weiten – schnelles Fahren auf Autobahnen und Landstraßen, haben wir drüber gesprochen, das Verbot großer Pkw, der SUV, man könnte sagen reiten, Ski fahren, rauchen, Verzehr von Fleisch oder Sahnetorte, Alkohol. Das sind lauter Laster, die die Steuer- oder Beitragszahlerinnen und -zahler wegen ihrer Folgekosten teuer zu stehen kommen können. Rechnen Sie damit, dass wir im kommenden Jahrzehnt häufiger, vielleicht auch verbissener über Verbote, über Einschränkungen sprechen werden?
Baum: Ja, wir tun’s jetzt schon. Ich bin zum Beispiel wirklich alarmiert über die Eingriffe des Internets in die Privatheit – hier wird uns ein Stück Privatheit weggenommen. Unsere Daten werden benutzt, gehandelt, verkauft, missbraucht, und hier kann es nur – wir können uns dagegen gar nicht selbst schützen, hier tritt die Schutzfunktion des Staates ein, der uns vor den privaten... aber auch selber sich zurückhalten muss, etwa bei Durchsuchungen unserer Computer. Das Internet ist eine neue Schutzaufgabe zum Schutze der Freiheit der Menschen und im Übrigen auch der Gesellschaft. Da werden wir noch manches erleben, denken Sie mal an die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Wie kann die missbraucht werden? Wie wird das Internet missbraucht zur Manipulierung von Gesellschaften? Alles das sind Aufgaben, wo der Staat mit seinen Schutzfunktionen eingreifen muss. Ich bin also der Meinung, wir werden eine Diskussion immer haben, vor allen Dingen auch in der Zukunft haben, aber wir müssen sie wirklich nüchtern und sachlich führen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.