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Umweltschutz versus Warenverkehr
Fahrverbot in Tirol ärgert deutsche Spediteure

Die Tiroler Landesregierung nimmt einen dritten Anlauf für ein sogenanntes sektorales Fahrverbot: Bereits ab 1. August gelten erste Einschränkungen für bestimmte Lkw und Waren, die auf dem Weg zum Brenner über die Inntal-Autobahn transportiert werden. Fahrverbote dieser Art hat der EuGH bereits zweimal gekippt - auch jetzt wollen Spediteure und Logistikunternehmen wieder klagen.

Von Susanne Lettenbauer | 06.07.2016
    Lkw und Pkw auf der Inntal-Autobahn
    Die Inntal-Autobahn A12 ist stark befahren, was eine hohe Lärm- und Luftbelastung für die Anwohner bedeutet. (Imago/ Eibner)
    "Das ist einfach Populismus."
    Der bayerische Logistikunternehmer Sebastian Bauer schaut von seinem Büro direkt auf die Inntal-Autobahn. Seine Firma Bauer-Spedition betreibt an der A 93 in Raubling bei Rosenheim einen Autohof, eine Werkstatt und eine internationale Spedition. Das im Mai von Tirol nach zwei gescheiterten Anläufen erneut beschlossene sektorale Fahrverbot zur Senkung der Luftbelastung betrifft ihn und seine 150 Mitarbeiter in Bulgarien, Frankreich und Zwickau unmittelbar. Seine Kunden weist er schon jetzt vorsorglich darauf hin, dass ab 1.November Marmor, Fliesen, Kraftfahrzeuge, Steine, Eisenerze und Hölzer nicht mehr auf der 110 Kilometer langen Strecke zwischen Kufstein und Innsbruck transportiert werden dürfen. Auch nicht mit den neuesten schadstoffarmen Lkw der Euro-Norm 6. Mit Umweltschutz hat das seiner Meinung nach nichts zu tun, eher im Gegenteil:
    "Verbote sind immer kritisch. Wenn man sektorales Fahrverbot macht, kommen ja sofort die Umwege. Das heißt, wenn man hier nicht mehr fahren darf, fährt man woanders."
    Umweg mit mehr Emissionen
    Seit 1936 bietet Bauer mit seinen derzeit 50 Lkw Transporte Richtung Italien, Schweiz, Frankreich, Balkan und Weißrussland an. Italien, Schweiz und Frankreich wird er in Zukunft wohl über den Gotthardtunnel bedienen, ein massiver Umweg mit mehr Emissionen, mehr Treibstoffverbrauch und höheren Kosten für den Kunden. Die vom Land Tirol seit Jahren erhoffte verstärkte Nutzung der parallel zur Inntal-Autobahn verlaufenden "Rollenden Landstraße" RoLa – eine Verladung der LKW auf die Schiene - kommt für ihn nicht in Frage:
    "Ich brauche nicht wegen 40 oder 50 Kilometern mit dem Lkw auf die Rollende Landstraße rauf und dann am Brenner rauffahren, das ist Blödsinn."
    Unterstützt wird der Mittelständler von seinem Landesverband Bayerischer Spediteure LBS. Geschäftsführerin Edina Brenner befürchtet durch das jetzt zum dritten Mal verhängte sektorale Fahrverbot eine "durchschlagende Wirkung" auf die bayerische und deutsche Wirtschaft. Dagegen geht der Verband jetzt vor:
    "Zunächst einmal werden wir natürlich gewerbepolitisch tätig werden. Wir haben uns ja schon zweimal an die europäischen Institutionen gewandt und drum gebeten, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einzuleiten. Das ist ja auch erfolgt und durch den EuGH zweimal schon entschieden worden. Das werden wir logischerweise auch dieses Mal wieder tun, weil wir sagen, das sektorale Fahrverbot schränkt den freien Warenverkehr ein und es gibt mildere Mittel."
    Tempolimit könnte "milderes Mittel" sein
    Diese milderen Mittel favorisiert auch die EU-Komission in Brüssel. Sie schlägt eine Geschwindigkeitsbeschränkung für Lastkraftwagen auf 80 oder 60 Kilometer pro Stunde vor. Für die zuständige Grünen-Politikerin und Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe keine Option. Sie steht ihrerseits unter dem Druck von Brüssel, die Emissionswerte im Inntal zu senken und will die von der EU geforderte Luftreinhaltung über das sektorale Fahrverbot erreichen:
    "Wenn man da zu weit runtergehen würde mit der Höchstgeschwindigkeit, dann würde ich befürchten, dass es negative Effekte hat und sich mehr Menschen auf den untergeordneten Bundesstraßen bewegen. Daher glaube ich, dass es ausreichend und sinnvoll ist, auf der unteren Inntalautobahn auf 100 und zwar fix zu halten."
    Tiroler Spediteure erhalten für die Umrüstung ihrer Fahrzeugflotte auf die emissionsarme Euro6-Norm bis zu 20.000 Euro als einmalige Förderung. In Deutschland undenkbar. Deutsche Spediteure wie Sebastian Bauer aus Raubling sehen darin eine massive Wettbewerbsverzerrung. Landeshauptmann-Stellvertreterin Felipe hält an ihrem Konzept fest:
    "Ja, wir sind sehr optimistisch. Tatsächlich sagte die Generalanwältin in ihrer Stellungnahme, dass es denkbar ist, diese Maßnahme zu setzen, weil es eben um die Gesundheit der Tirolerinnen und Tiroler geht und die Lärmbelästigung und die Luftqualität."
    Im eigenen Land sind die Reaktionen gespalten. Der seit Juni neue österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried hat seine Unterstützung für das sektorale Fahrverbot angekündigt. Es sei skurril, wenn die EU-Kommission wegen hoher Stickoxid-Emissionen ein Verfahren gegen Österreich einleite und gleichzeitig Maßnahmen zu ihrer Verringerung kritisch betrachtet, so Leichtfried Anfang Juni in Innsbruck.
    Das geplante sektorale Fahrverbot sei zahnlos, ohne Wirkung für die Umwelt und zulasten der Tiroler und ihrer Wirtschaft, heißt es dagegen von der Wirtschaftskammer Tirol.