Samstag, 20. April 2024

Archiv


Umweltschutz wird offizielles Lehrfach

Umweltbewusstsein muss man lernen wie vieles andere auch. Wer dies ernst nimmt, bringt den Umweltschutz in die Schule. Die Franzosen tun dies zum Beispiel, doch sie gehen noch einen Schritt weiter. 60 Stunden Umwelterziehung werden Pflichtstoff an den Schulen unseres Nachbarlandes- die Inhalte werden zentral von Paris aus vorgegeben. In diesen Tagen geht es bei einem Kongress in Paris um die Einzelheiten.

Von Siegfried Forster | 18.12.2003
    Nachhaltige Entwicklung. Wer glaubt, dass jeder den seit 1987 existierenden Begriff schon unzählige Male gehört hat, irrt sich. 32 Prozent der Franzosen geben an, die Bezeichnung "Nachhaltige Entwicklung" noch nie gehört oder gelesen zu haben. Das soll in Zukunft der Vergangenheit angehören. Ab dem nächsten Schuljahr stehen 60 Stunden Unterricht in Bezug auf Umweltschutz und Nachhaltiges Wachstum auf dem Lehrplan: von der ersten Klasse bis zum Abitur, bemerkt Michel Hagnerelle, federführender Generalinspektor der französischen Erziehungs-Behörde:

    Das ist ein Minimum - politisch festgelegt. Das bedeutet, dass jeder Schüler während seiner Schulzeit mit den Fragen des Umweltschutzes und der Nachhaltigen Entwicklung konfrontiert werden muss. Aber unser Ziel ist erheblich ehrgeiziger und liegt erheblich über diesen 60 Stunden.

    Welchen inhaltlichen Ansatz dieser Unterricht verfolgen soll, präzisierte der französische Erziehungsminister Luc Ferry. Ferry hatte sich nicht nur als Anti-68er-Philosoph einen Namen gemacht, sondern ist einst auch mit der Umweltbewegung hart ins Gericht gegangen:

    Die Ökologie ist mittlerweile wissenschaftlich und selbstkritisch geworden, nicht mehr romantisch, nostalgisch und fundamentalistisch. Diese Entwicklung finde ich extrem positiv. Eine humanistische Ökologie, die ich verteidigen und in den Schulen unterrichten lassen möchte. Eine Ökologie mit menschlichem Antlitz und auf Höhe der heutigen Herausforderung, nämlich der Globalisierung.

    Bevor der frankreichweite Aktionsplan gestartet wird, wollen die Verantwortlichen erst einmal in zehn französischen Schulbezirken Erfahrungen sammeln. Seit September läuft ein Pilotprojekt. Noch einmal Luc Ferry:

    Bereits in diesem Schuljahr wollen wir verstärkt aktiv werden. Zusammen mit der Ministerin für Nachhaltige Entwicklung haben wir in zehn Schul-Akademien in Frankreich eine Pilotstudie ins Leben gerufen. Dort wird die Ökologie verstärkt unterrichtet, vor allem in Bezug auf die Nachhaltige Entwicklung. Insgesamt sind 94 Schul-Einrichtungen betroffen, von der Grundschule bis zum Gymnasium, mit eigenen Schulstunden, die für diesen Unterricht reserviert sind.

    Von einer europaweit einmaligen Aktion will Generalinspektor Michel Hagnerelle nicht sprechen, im Gegenteil verweist er auf die Rückstände des französischen Schulsystems, was das Umweltbewusstsein anbetrifft. Lieber spricht er von französischen Besonderheiten, die zu einem fächerübergreifenden und einheitlichen Umweltschutz-Unterricht führen werden:

    Wir in Frankreich haben zwei Besonderheiten. Hier gibt es einen nationalen Unterricht. Damit können wir für ganz Frankreich ein kohärentes und einheitliches Projekt ausarbeiten, das sich auf alle Schüler gleichermaßen erstreckt. Das ist eine Besonderheit in Europa. Zweitens gibt es in Frankreich eine sehr starke Trennung zwischen den Unterrichtsfächern. In vielen Ländern unterrichten die Lehrer zwei oder sogar mehrere Fächer. In Frankreich immer nur ein Fach. Diese Besonderheit führt uns dazu, dass wir danach suchen müssen, welche Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Fächern bestehen. Das wurde bisher sehr selten gemacht.