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Umweltstudie
Das Insektensterben ist global

Die Zahl der Insekten geht deutlich zurück. Das stellt der "Insektenatlas" fest, gemeinsam erstellt von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND. Dabei sind die meisten unserer Kulturpflanzen von der Bestäubung durch die Insekten abhängig. Doch der Atlas zeigt auch mögliche Lösungen auf.

Von Christiane Habermalz | 08.01.2020
Ein Traktor spritzt in Thüringen auf einem Feld im Mai Pflanzenschutzmittel auf.
Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft (picture alliance / Klaus Nowottnick)
BUND und Heinrich-Böll-Stiftung haben mit ihrem "Insektenatlas 2020" vor allem eine wichtige Daten- und Faktengrundlage zum Thema Insekten und Landwirtschaft geschaffen. Sie wollen das auch als Gesprächsangebot verstanden wissen und deutlich machen, dass Insektenschutz und Landwirtschaft durchaus vereinbar wäre – mit einer nachhaltigeren Agrarpolitik.
Insekten vernichten einen Großteil von Ernten
Das Verhältnis von Insekten und Landwirtschaft ist ein durchaus ambivalentes. Auf der einen Seite sind sie als Schädlinge für Ernteausfälle verantwortlich. Vor allem in den tropischen Ländern können sie bis zu 40 Prozent der Ernten vernichten. Sie werden deswegen von der Agrarwirtschaft intensiv bekämpft: Weltweit hat sich der Verbrauch von Pestiziden seit 1950 um das 50fache erhöht. Auf der anderen Seite ist Landwirtschaft ohne Insekten kaum denkbar. Sie sind unerlässlich für die Bodenqualität, indem sie Dung und abgestorbenes Material zersetzen. Sie vertilgen auch Schädlinge – eine einzige Marienkäferlarve etwa frisst 200 Blattläuse pro Tag. Und sie bestäuben drei Viertel der wichtigsten Kulturpflanzen weltweit und steigern deren Erträge.
"Ein Drittel der Produktion von Nahrungsmittel global braucht diese Bestäubungsdienstleistung der Insekten. Der ökonomische Wert der Bestäubung von Insekten wird auf zwischen 200 und 600 Milliarden US-Dollar geschätzt", erklärt Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung.
Insekten sind massiv vom Aussterben bedroht
Landwirtschaft und Insekten seien untrennbar miteinander verbunden. Umso fataler sei es, dass die Landwirtschaft selber der Sektor sei, der am stärksten die Insekten bedrohe: Eine erste Überblicksstudie der Uni Sydney geht davon aus, dass mehr als 40 Prozent aller Insektenarten weltweit abnehmen und ein Drittel aller Insektenarten vom Aussterben bedroht ist.
Auch andere Studien aus verschiedenen Teile des Welt zur Entwicklung der Insektenpopulationen weisen alle in die gleiche Richtung: Nach unten. Demnach ist global die Hälfte der Käfer und Schmetterlingsarten rückläufig und 46 Prozent der Hautflügler. In Deutschland betrifft der Artenschwund mehr als 90 Prozent der 107 Ameisenarten, 70 Prozent der Schmetterlingsarten, 50 Prozent der Wildbienenarten sind bedroht. Auch die Käfer gehen stark zurück.
Der Kuhfladen als Messinstrument
Abzulesen ist das auch am Leben in Kuhfladen. Normalerweise werden sie von zahlreichen Tieren zersetzt: Fliegen, Schwebfliegen, Fenstermücken, allein 60 verschiedene Käferarten leben vom Dung. Doch in den letzten Jahren sind selbst die Ausscheidungen der Kühe so giftig geworden – vor allem durch pestizidbelastetes Kraftfutter und regelmäßig durchgeführte Wurmkuren – dass die Dungkäfer verenden und die Kuhfladen wie Beton auf der Weide zurückbleiben. Mücken und Zecken sind dagegen weniger betroffen, beide Arten profitieren zudem vom Klimawandel – wie auch manche wärmeliebende Heuschreckenarten.
Intensive Landwirtschaft verschlingt weltweit immer mehr Flächen. Überall entstehen großen Monokulturen, der industrielle Anbau von Feldfrüchten geht mit massiven Einsatz von Insektiziden, Herbiziden und Stickstoffdünger einher. Auch die dauerhafte Überdüngung der Landschaft trägt zum Insektensterben bei: Von ihr profitieren nur wenige nährstoffliebende Pflanzen, die konkurrenzschwächere überwuchern. Seit 1950 sind so - und durch das Totalherbizid Glyphosat - 71 Prozent der Ackerwildkräuter in Deutschland verschwunden und damit wichtige Nahrungsgrundlage für viele Insekten.
Südamerika - großer Absatzmarkt für Pestizide
Besonders bedrohlich, darauf weist der BUND hin, ist die Lage in Südamerika, der auch der artenreichste Kontinent ist. Das hat auch mit dem wachsenden Fleischverzehr zu tun, der sich nach 1970 weltweit verdreifacht hat. Vor allem in Brasilien und Argentinien wurden in den letzten Jahren Millionen Hektar Wald gerodet, um Anbauflächen für Futtersoja zu schaffen, die mit immer höherem Pestizid- und Glyphosatverbrauch einhergehen. In Südamerika ist ein riesiger Absatzmarkt für Pestizide entstanden. Weltweit ist der Verbrauch, laut Insektenatlas, seit 1950 um das 50fache gestiegen, 2018 wurden damit 56 Milliarden Euro umgesetzt. Vier Chemiekonzerne teilen sich zwei Drittel des Weltmarktes auf, darunter die beiden deutschen Unternehmen Bayer und BASF. Das Freihandelsabkommen Mercosur zwischen der EU und Südamerika werde den Export von Pestiziden weiter erleichtern, kritisierten BUND und Böll-Stiftung. Damit werde das globale Problem des Insektensterbens noch verstärkt.
Was tun? Die Autoren empfehlen, den Fleischkonsum zu reduzieren und Agrarprodukte nicht als Treibstoffe anzubauen, was den Druck auf die Ackerflächen noch verschärft, und die 60 Milliarden Euro EU-Subventionen endlich zielgerichtet für eine klima- und insektenfreundliche Landwirtschaft einzusetzen.