Donnerstag, 18. April 2024

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Umzug der Soros-Stiftung
Ein Befreiungsschlag für die Mitarbeiter

In Budapest war die Soros-Stiftung, die sich für eine freie Gesellschaft einsetzt, ständigen Anfeindungen ausgesetzt. Zuletzt gab es dort sogar Stop-Soros-Gesetze. Deshalb zog die Stiftung kürzlich nach Berlin. Doch als Niederlage gegenüber der ungarischen Regierung versteht sie das nicht.

Von Claudia van Laak | 17.10.2018
    23.04.2018, Ungarn, Budapest: Die Central European University (CEU). Sie wurde vom US-Milliardär George Soros gegründet
    Die Central European University wurde von Soros gegründet - und befindet sich noch in Budapest (picture-alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Es könnte ein x-beliebiges Start-up sein. Ein internationales Team, alle sprechen Englisch, alle sitzen vor ihren Rechnern. Es fehlen weder die Espresso-Bar noch der Tischkicker, hier in diesem Bürohochhaus am Potsdamer Platz.
    Wenn da nicht das Buch mit dem rot-weißen Umschlag wäre, das jemand gut sichtbar auf einen Schrank gestellt hätte: "The Philantropy of George Soros" – Das Mäzenatentum von George Soros. Die Bibel der Open Society Foundations?
    "Actually…I would say no."
    Goran Buldioski lacht. Das Buch sei mehr als Witz gemeint, sagt der Chef des neuen Berliner Büros der Open Society Foundation. Niemand hier müsse George Soros anbeten. Buldioski zeigt an das Kopfende des Großraumbüros.
    Goran Buldioski, Chefs der Berliner Niederlassung der Open Society Foundation
    Goran Buldioski (Deutschlandradio / Claudia van Laak)
    "Hier ist unsere Europa-Abteilung. Dort sehen Sie den Kollegen, der sich um die Themen Migration und Integration kümmert, dort ist die Menschenrechts-Abteilung, dann dahinten diejenigen, die sind für die Roma-Initiativen zuständig."
    Bis zu 200 Leute sollen beschäftigt werden
    Im Raum nebenan hängt ein großer Berlin-Stadtplan mit vielen roten Punkten - die Wohnorte der derzeit 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Soros-Stiftung, 200 sollen es noch werden. Im Moment sind alle noch im Hauptstadt-Kennenlern-Modus.
    "In Budapest hatten wir mehr Stress, hier lächeln alle, die Leute sind viel offener." - "Es ist sehr aufregender Ort, hier passiert eine Menge."
    "Ich bin sehr froh, hier in Berlin zu sein, es ist eine sehr dynamische Atmosphäre." - "Ich bin sehr aufgeregt, wir können hier wirklich tief ein- und ausatmen." - "Die Offenheit, die Leute sind hier so offen." - "Es fühlt sich sehr frei an." - "Ja. Freiheit."
    Freiheit, Offenheit, Vielfalt. Diese Begriffe fallen sehr oft. Der gebürtige Mazedonier Goran Buldioski sagt es so:
    "Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man von einer Stadt aus arbeitet, in der die Werte, für die du kämpfst, wirklich gelebt und unterstützt werden. Nicht nur von einer Minderheit, nicht nur von einer einzigen Gruppe."
    Ein Anti-Soros-Plakat der Regierungspartei Fidesz. "Gemeinsam würden sie den Grenzzaun niederreißen"
    Anti-Soros Plakat: In ganz Ungarn zeigen Wahlplakate einen grinsenden Soros, der die Spitzenkandidaten der vier Oppositionsparteien umarmt (dpa / Gregor Mayer)
    Mehrere Hetzkampagnen in Budapest
    In Budapest – der Geburtsstadt des Stiftungsgründers - war die Open Society Foundation einer Hetzkampagne seitens der Orban-Regierung ausgesetzt. Auf dem Weg zur Arbeit kamen die Mitarbeiter an Plakatwänden vorbei, auf denen Soros verunglimpft wurde. Im Radio mussten sie Werbespots wie diesen hören.
    "In der letzten Zeit sind mehrere Millionen Einwanderer nach Europa gekommen. Aber der Zaun, der an der ungarischen Grenze erbaut ist, stoppt sie. Laut György Soros sollte man diesen Zaun abbauen, und weitere Millionen sollte man aus Afrika und Nahost ansiedeln. Es ist gefährlich. Deswegen soll der Soros-Plan verhindert werden! Stop Soros!"
    Und Ministerpräsident Victor Orban – selber Soros-Stipendiat – drohte unverhohlen allen Mitarbeitern der Stiftung und ihren Sympathisanten im letzten Jahr.
    "In Ungarn arbeiten etwa 2.000 Menschen als Söldner der Soros-Armee. Bezahlte Leute. Ihre Aufgabe ist es, im Wahlkampf die Regierung zu kippen. Wir verfügen über Informationen, Berichte, Analysen. Wir kennen die Namen genau, wir wissen, wer was arbeitet, um Ungarn zu einem Einwanderungsland zu machen."
    "Wir wussten, dass etwas passieren muss. Weil, ich persönlich dachte, dieser Druck ist unerträglich", sagt Stiftungssprecher Csaba Csontos.
    Die Orban-Propaganda sei leider wirkungsvoll gewesen, das schleichende Gift habe sich sogar in den Freundeskreisen und Familien der Stiftungs-Mitarbeiter ausgebreitet.
    "Deshalb haben verschiedene Mitarbeiter die Familientreffen und Familienferien sogar vermieden. Das war sehr traurig."
    "Das hat eine Atmosphäre geschaffen, die alle stigmatisierte, die anders dachten. Dann bist du gegen mich und das bedeutet, du bist auf der Seite von Soros. Das hat auch einen unterschwelligen Antisemitismus befördert, der leider nicht neu ist in der ungarischen Gesellschaft, der Antisemitismus bekam dadurch Auftrieb. Und gleichzeitig hat es eine ausländerfeindliche Stimmung befördert."
    Gebürtiger Ungar: George Soros, internationaler Finanzinvestor, Philantrop, Universitätsgründer, Kämpfer für die Demokratie. Der ungarischen Regierung ist die von ihm finanzierte Central European University ein Dorn im Auge.
    Gebürtiger Ungar: George Soros, internationaler Finanzinvestor, Philantrop, Universitätsgründer, Kämpfer für die Demokratie. Der ungarischen Regierung ist die von ihm finanzierte Central European University ein Dorn im Auge. (imago/Zuma)
    Stiftung gab Budapest als Standort auf
    Vor einem Jahr entschied die Stiftung, die Büros in Budapest aufzugeben. Als Sieg für Orban will Goran Buldioski das allerdings nicht verstanden wissen.
    "Unser Wegzug von Budapest bedeutet nicht, dass wir Ungarn verlassen haben, unser Programm, unsere Förderung in Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten bleibt bestehen."
    Künftig wird also in der deutschen Hauptstadt über die 100 Millionen Dollar entschieden, die die Open-Society-Stiftung jährlich europaweit verteilt. London als Standort sei wegen des Brexit nicht infrage gekommen, Barcelona schied wegen des katalanischen Nationalismus aus.
    "Berlin war einfach die folgerichtige Entscheidung. A) weil hier eine dynamische Zivilgesellschaft zuhause ist. B) weil von hier aus eine ganze Reihe von internationalen Organisationen operieren. C) ist es der Ort in Europa, an dem viele bedeutende Entscheider sitzen, die großen Einfluss haben. Für uns als global agierende Stiftung ist das von großem Interesse."
    Nach der Arbeit stehen sie mit einem Bier in der Hand auf der Terrasse im 20.Stock des Bürohochhauses am Potsdamer Platz. Wie finde ich einen Kita-Platz? Welche Schule ist die beste für mein Kind? Und wie um Himmels Willen komme ich an eine bezahlbare Wohnung? Es sind die Fragen aller Neu-Berliner. Aber etwas ist anders:
    "Ich sehe in den Gesichtern eine Erleichterung, Befreiung von Frustration und von bedrohenden Situationen."
    "Manchmal fühlten sich die Kollegen wirklich bedroht. Hier nach Berlin zu kommen war das genaue Gegenteil. Nicht nur eine einzige Identität zu haben ist genau das Konzept der offenen Gesellschaft. Niemand hat das Recht, nur eine einzige Antwort zu haben. Deshalb fühlen wir uns hier wie Fische im Wasser."