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UN-Behindertenrechtskonvention
Inklusion im internationalen Vergleich

2008 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Seitdem wurde über das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Handicap viel gestritten, nicht nur in Deutschland. In Paris haben sich nun internationale Bildungsexperten getroffen, um sich über Fortschritte und Schwierigkeiten auszutauschen.

Von Suzanne Krause | 22.10.2018
    Schülerinnen und Schüler einer Inklusionsklasse in einer Förderschule sitzen im Halbkreis mit ihren Pädagogen zusammen.
    Bei einer internationalen Konferenz in Paris wurde über die Fortschritte und Probleme der Inklusion diskutiert (picture alliance / dpa)
    Europaweit gibt es drei verschiedene Ansätze, das Recht auf Bildung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen einzulösen, sagt Martine Caraglio vom Pariser Bildungsministerium. Caraglio gilt frankreichweit als die Fachfrau im Bereich schulische Inklusion.
    "Da ist zum einen die Politik 'all-inclusive' - alle behinderten Kinder besuchen die Regelschule. Als Vorbild gilt Italien. Beim zweiten Ansatz stehen spezielle Einrichtungen, Förderschulen, im Vordergrund. Dies ist noch Alltag in Deutschland. Und der dritte Ansatz ist eine Mischform, wie bei uns in Frankreich. Wir haben zwar noch Sonderschulen, aber wir gehen immer mehr dazu über, Kinder mit Behinderungen in Regelschulen unterzubringen."
    Ein Zufluchtsort in der Schule
    Dank einer Maßnahme, die "Ulis" getauft wurde. Das steht übersetzt für: "lokale Einheit zur schulischen Inklusion". Und bedeutet: Eine Art Zufluchtsort in der Schule, ein Raum, in dem behinderte Kinder je nach Bedarf aufgefangen, betreut werden.
    "Dort ist ein spezialisierter Lehrer im Einsatz, der 'Ulis-Koordinator' genannt wird. Er kümmert sich um Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen, um Kinder mit Downsyndrom und so weiter. Von Zeit zu Zeit brauchen sie eine Pause vom normalen Unterricht und gehen dann zum 'Ulis-Koordinator'. Der gibt ihnen die Nachhilfe und Unterstützung, die sie brauchen."
    Über 8.000 Schulen im Land verfügen heute über "Ulis-Einheiten". Und vor allem jungen Legasthenikern wird zudem im Klassenzimmer eine Hilfskraft zur Seite gestellt, die für sie den Unterrichtsstoff mitschreibt. 110.000 Posten finanziert die Regierung aktuell – die Nachfrage allerdings ist weit höher. Sein Ziel hat Bildungsminister Jean-Michel Blanquer in einen Slogan gepackt: 'Gemeinsam für eine inklusive Schule'. 340.000 behinderte Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit eine Regelschule – mehr als dreimal mehr als im Jahr 2006. Bald sollen es alle sein, ein Ziel, das in der Bevölkerung auf Zustimmung stößt. Blanquer gab heute Vormittag den Startschuss für eine breit angelegte Konsultation.
    "Wenn es uns gelingt, in Frankreich das System der inklusiven Schule umzusetzen, dann zeigt dies den Erfolg beim Unterfangen, die Schule zu verbessern und zu einer 'Schule des Vertrauens' zu machen".
    Sehr aufmerksam verfolgen nicht nur französische Bildungsexperten, was in Portugal passiert. Dort wurde in diesem Jahr per Gesetz die schulische Inklusion eingeführt, erklärt der portugiesische Staatssekretär für Bildung, João Costa.
    "Das Modell basiert auf der Absicht, jedermann das Lernen zu ermöglichen. Der Lehrerrat in jeder Klasse bewertet regelmäßig, ob und welche Lernhürden ein Schüler hat. Dank dieser Bilanz arbeitet dann ein multidisziplinäres Team in der Schule spezifische Hilfsmaßnahmen aus, je nach Bedarf eines Kindes."
    Gemeinsames Lernen von Anfang bis Ende
    Im Vordergrund steht nicht mehr, dass alle zur selben Zeit in derselben Klasse den selben Unterrichtsstoff schaffen. Sondern die gezielte Unterstützung für jedes Kind.
    "Das Ziel ist, dass die Kinder immer zusammenbleiben - ob sie Behinderungen oder Lernschwierigkeiten haben oder nicht. Davon profitieren auch die Kinder ohne Probleme: Indem sie den Raum und Erfahrungen mit jenen teilen, die Handicaps haben."
    João Costa gibt zu: Das Projekt der inklusiven Schule stößt in Portugal noch auf manchen Widerstand - es werde lange Jahre brauchen, das Ziel zu erreichen. Es brauche nicht nur unter anderem spezielle Lehrerfortbildung - sondern ganz allgemein einen Bewusstseinswandel.