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Unabhängigkeitserklärung

Heizen mit Öl oder Gas, Atom- oder Kohlestrom - für die Schembritzkis aus Sachsen kommt das nicht in Frage. Sie haben nicht nur zu einem Ökostromanbieter gewechselt, sondern versuchen, auf ihrem Hof noch ganz andere Energiequellen zu nutzen.

Von Sina Fröhndrich | 03.05.2012
    Wild strampelnd versucht sich das rothaarige Ferkel aus den Armen von Christian Schembritzki zu befreien. Der nimmt es dicht an seine Brust.

    "Jetzt ist’s ganz lieb."

    Christian Schembritzki steht in einem kleinen Gehege. Unter seinem Filzhut schauen die kinnlangen Haare hervor. Seine Wollschweine haben gerade Nachwuchs bekommen. Das Gehege - nur ein Teil der Naturinsel Drachenmühle. So nennt Schembritzki sein Zuhause in Schweta in Nordsachsen. Eine stillgelegte, renovierte Wassermühle mit Gemüsegarten, Schaf und Hühnern. Hier lebt der 36-Jährige mit seiner Frau und drei Kindern. Sie sind – soweit es geht – Selbstversorger. Deshalb ist Christian Schembritzki vor Jahren aus dem Schwarzwald nach Sachsen gekommen.

    "Vielleicht um so einen Lebenswandel zu bekommen, ist es wichtig, aus dem Wohlstand zu kommen, ich komme aus dem Wohlstand, mir ging es sehr gut in meiner Kindheit, wir hatten Fernseher und immer zu essen; ich hab das in meiner Pubertät abgelehnt, und dadurch bin ich immer mehr zurück zur Natur."

    Nach seinem Zivildienst ist Christian Schembritzki durch die Welt gereist, durch Indien, Äthiopien. Diese Erfahrung hat ihn verändert, zum Umsteiger gemacht. Er will sich unabhängig versorgen.

    Hinter dem Haus im Garten. Melanie Schembritzki und die 15 Monate alte Tochter spielen auf einer Decke. Daneben: eingezäunte, aufgeschichtete Holzschnitzel, etwa zweieinhalb Meter hoch. Der Biomeiler. Damit bekommen die Schembritzkis warmes Wasser im Garten zu jeder Jahreszeit. Feuer brauchen sie dazu nicht.

    "Wenn dieses Holzgehäcksel, was man hier sieht, wenn man das übereinander schichtet und wässert den noch, entsteht Wärme, durch effektive Mikroorganismen zersetzt sich das Holz und wird dann zu Humus und der zersetzt sich dann, die gesamte Zersetzungswärme kann man nutzen."

    Bis zu 60 Grad Celsius entstehen im Biomeiler. Mitten durch die Holzschnitzel ist ein Schlauch verlegt, durch den Wasser fließt und das so erwärmt wird.

    Das Wasser pumpt Christian Schembritzki aus einem Bach, der auf dem Grundstück liegt. Es läuft in ein kleines schwarzes Becken. Hier wäscht sich die Familie. Für den Notfall hat sie ein Badezimmer im Haus. Den Strom für die Wasserpumpe produzieren die Schembritzkis nicht selbst – sie bezahlen dafür, wie andere auch. Ganz unabhängig von konventionellen Energieversorgern sind sie also nicht. Aber die Familie betont: Wir beziehen Ökostrom.

    "Wir wollen keinen Atomstrom, ich will auch keinen Meiler neben mir, und so die Frage nicht geklärt, wohin mit dem Restmüll, sollten wir so verantwortungsvoll sein und das nicht nutzen."

    Die Schembritzkis leben also nicht zu 100 Prozent autark: Sie kaufen zudem Bioprodukte in Supermärkten und fahren mit dem Auto. Geld verdienen sie mit Umweltbildung für Kinder und durch Gäste, die immer mal wieder hierher kommen. Trotzdem sind die Schembritzkis anders. Ihr Selbstversorgerleben kostet Überwindung. Und vor allem viel Zeit. Kein Modell, das sich auf Berufstätige übertragen lässt. Familienvater Christian betont: "Wir sind pragmatisch, nicht dogmatisch."

    "Wir können uns alle Mühe geben, jeder das, was er kann, gemeinsam kann man das gut schaffen."

    "Wir hatten einmal auch drei Mädchen hier, und das eine sagte: Ach, so will ich auch leben."

    Wenige Schritte neben dem Biomeiler: Umringt von dichten Weidensträuchern steht eine Art Hochstand aus Holz. Die Toilette. Ohne Spülung. Statt Wasser: Sägespäne.

    "Aus einem Kilo Scheiße werden 50 Gramm guter Humus eigentlich. Und die einzigste Regel, die man mit Scheiße nicht macht, ist mit Wasser zu mischen."


    Die Familie möchte verantwortungsvoll mit der Natur umgehen. Christian Schembritzki deutet auf einen Wald neben seinem Garten. Dahinter wird Mais angebaut, sagt er. Um Biogasanlagen zu betreiben. Seiner Meinung nach ein falsches Instrument auf dem Weg zur Energiewende.

    "Die Biogasanlage ist eigentlich Quatsch, hier könnte man Gemüse anbauen, die Zwiebeln kommen aus Ägypten, was weiß ich woher, das ist doch völlig unnötig."

    Zurück in ihr altes Leben – das können sich die Schembritzkis nicht vorstellen. Sie leben in ihrer Mühle ihre eigene Energiewende.

    "Meine Eltern sagen auch immer, Christian, mach’s besser, und joah, das versuche ich jetzt."


    Mehr zum Thema auf den Seiten des DRadio-Volontärsprojekts "Umsteigerland":

    Voloprojekt "Umsteigerland": Auf der Suche nach der Energiewende
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