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Unbequemer Mahner und Menschenfreund

Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald schrieb Eugen Kogon ein Buch über den Terror des Naziregimes, das zum Standardwerk wurde. Für die junge Bundesrepublik war er ein hoch geachteter Vordenker, der für eine gemeinsame europäische Gesellschaft und gegen die Atomrüstung eintrat. Eugen Kogon starb am 24. Dezember 1987.

Von Christian Linder | 24.12.2012
    Als die Truppen der 6. Panzerdivision der 3. US-Armee im April 1945 das Konzentrationslager Buchenwald erreichten und die Gefangenen befreiten, fanden sie in Eugen Kogon den Augenzeugen, der ihnen – nach gut achtjähriger Haft – im Gespräch genau und nachvollziehbar das KZ-System der Nationalsozialisten vor Augen führte. Gebeten, seine Erlebnisse für das Alliierte Hauptquartier in Deutschland auch aufzuschreiben, brachte Kogon in einem etwas über hundertseitigen Bericht seine Erfahrungen mit den Erlebnissen anderer KZ-Gefangener zusammen. Nach der Lektüre befand der Kommandeur der Truppen, dass dieser Bericht nicht in amerikanischen Militär-Schreibtischen verschwinden sollte, und regte an, aus dem Bericht ein Buch zu machen. Kogon, 1903 in München geboren und durch Erziehung von Benediktinern und Dominikanern früh zum Pazifisten geworden, ein nach dem Nationalökonomie- und Soziologie-Studium seit den 1920er Jahren in seiner Wahlheimat Österreich erfolgreicher und seit der Nazi-Zeit vehementer antifaschistischer Publizist, überlegte nicht lange:

    "Ich habe tatsächlich dann in Bad Homburg mich hingesetzt und dieses Buch geschrieben, um ein klares Bild vom zentralen Terror des nationalsozialistischen Regimes zu geben, so dass jedermann, der das las, zu der Auffassung kommen musste: Nie mehr wieder!"

    Das Buch hieß "Der SS-Staat", 1946 erschienen und bis heute das Standardwerk über das Innere des nationalsozialistischen Terrors. Schon die Umschlagseite verkündete das Programm:

    Dieses Buch … gibt eine systematische, objektive Darstellung der Entstehung, der Bedeutung, der Einrichtung und des Gesamtablaufes der Konzentrationslager, eine Psychologie der SS und der mannigfachen Arten von Häftlingen … Eugen Kogons Buch will reinigen, klären … (Es) gehört in die Reihe jener Publikationen, die aus Verantwortung und teilnehmender Liebe geschrieben sind, und es setzt beim Leser ein gleiches Verantwortungsbewusstsein und eine gleiche Liebe zum Menschen wie zum unvergänglichen Erbe der christlich-abendländischen Kultur voraus.

    "Ich selbst habe mich damit von der Vergangenheit gelöst. Mein Blick war auf Zukunft gerichtet. Nun wollen wir eine neue Gesellschaft haben."

    Stattdessen kam, was man später die Restaurationszeit genannt hat. Kogon hat die Ursache früh erkannt:

    "Dass die Kollektivschuldanklage uns in die Verteidigung gedrängt hat, so dass also dieser Wille, mit den Problemen von vorher, mit der Verstrickung auch in Schuldverhältnisse fertig zu werden, so dass dieser Prozess unterblieben ist. Man hat sich dann einfach der Wiederherstellung der ökonomischen Basis unserer Existenz zugewandt, und das mit einem ungeheuren Erfolg."

    Eugen Kogon aber blieb der unbequeme Mahner, der auf einen "christlich-demokratischen Sozialismus" setzte – wie ihn in etwa auch die CDU in ihrem frühen "Ahlener Programm" zunächst vertrat. So wurde Kogon nach Kriegsende zwar einer der Mitbegründer der CDU in Hessen, wandte sich jedoch von der Partei wieder ab, als er begriff, dass er in ihr seine Ideen nicht durchsetzen konnte. Er zog sich in die Publizistik zurück und rief 1946 zusammen mit Walter Dirks die Zeitschrift "Frankfurter Hefte" ins Leben, die sehr schnell das anspruchsvollste intellektuelle Forum für eine andere Republik wurde. Seit 1951 auch Professor für wissenschaftliche Politik an der Technischen Hochschule Darmstadt, wurde Kogon einer der – auch von seinen Gegnern – meist geachteten Oppositionellen der Bundesrepublik. Seine "Gesammelten Schriften" umfassen acht Bände, darin frühe Plädoyers für eine gemeinsame europäische Gesellschaft im Rahmen eines zivilen Integrationsprozesses oder gegen die Atomrüstung. Wie sein Freund Walter Dirks mit Hinweis auf Kogons Erfahrungen in der Realpolitik der frühen Nachkriegszeit meinte:

    An der Veränderung des Bewusstseins mitzuwirken, erscheint ihm heute als die realste und ihm selber angemessenste Form, die Welt zu verändern.

    Eugen Kogon starb am 24. Dezember 1987 in Falkenstein im Taunus. In einem späten Gespräch verriet er, auch im Hinblick auf das Erlebnis der Erniedrigungen und Demütigungen in Buchenwald, seine Lebensmaxime:

    "Ein Dominikaner, einer meiner Erzieher, … der hat zu mir als Abiturient schon gesagt: ’Eugen, wenn du hinausgehst ins Leben, bitte lass nicht die Fahne sinken, außer du bist der Überzeugung, dass die Sache, die du vertrittst, falsch ist.’ Und das habe ich mir gemerkt ... So habe ich auch im Lager mich bemüht, in allem – das ist der Maßstab – ein Mensch zu sein, ein Mensch."