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und seiner Edition Fundamental (Köln)

Fast scheint die Zeit stehengeblieben: Johannes Gutenberg könnte sich heimisch fühlen in dieser Druckwerkstatt, ganz traditionell ist sie eingerichtet. Schubladen mit Setzkästen voll bleierner Lettern nehmen die Wände ein. Im Handsatz fertigt Richard Müller bibliophile Raritäten, Auflagen von nur 12 bis zumeist rund 300 Exemplaren. "Zur Verfügung habe ich die klassischen Schriften", erklärt Richard Müller. "Das ist einmal eine Antiqua, die 1450 entworfen wurde, eine, die 1500 so entworfen wurde, das ist einmal die Bembo und die Trajanus. Die Trajanus wurde später geschnitten, in diesem Jahrhundert, nachgeschnitten nach venezianischem Vorbild. Dann die Bodoni, das ist eine Barockschrift aus Italien, dann einige Egyptienne-Schriften, die haben größere Rundungen und sind etwas weicher, und eine große Mittelhöhe für Prosa. Für Konkrete Poesie nimmt man meistens Grotesk-Schriften, weil das eben modern aussieht, das hat sich so eingebürgert."

Andreas Rumler |
    Wichtig sei ihm der Einklang zwischen äußerer Gestalt und dem Inhalt jedes einzelnen Bandes, sagt Richard Müller. Computer vergewaltigten die klassischen Schriftarten. Seit 1961 macht der gelernte Schriftsetzer und versierte Layouter Bücher, 1984 erschien das erste Exemplar seiner Edition Fundamental. Zu den Grundlagen handwerklicher Druckkunst wollte Richard Müller gemeinsam mit einer Gruppe befreundeter Künstler aus der Werkschule zurückkehren in den 70er Jahren – übrig blieb davon seine kleine Handdruckpresse. Fast lautlos geht es zu, weil alles ohne Motor geschieht – auch der eigentliche Druckvorgang. Müller dazu: "Ja, das sind eigentlich Druckgeräte - Maschinen kann man es ja nicht nennen. Das ist einmal eine Tiefdruckpresse, eine etwas größere Radierpresse, dann eine A-3 Andruckpresse, Corex, ein Tiegel A-3, ein Nutgerät und eine Stockpresse. Und eine Schneidemaschine - auch per Hand."

    Obwohl Druckgeräusche fehlen, das traditionelle Handwerk ist hier sinnlich wahrzunehmen: Es riecht nach Leim und Druckfarben. Mit den Fingerkuppen ertastet Richard Müller den Strich des festen Papiers, es knistert wie altes Pergament. Kalt fühlen sich die verschiedenen Lettern an, die auf dem Setzschiff angeordnet und mit den nötigen Zwischenabständen versehen werden, bevor Richard Müller die fertige Seite in einem merkwürdigen Apparat montiert: "Das ist ein Boston-Tiegel aus dem Jahr 1890. Der war der Vorläufer des Heidelberger Automatentiegels. Und der druckt, indem er das Papier gegen den Druckstock drückt, während es bei der Corex-Andruckpresse ein Zylinderdruck ist, das heißt, das Papier liegt auf dem Zylinder und der Druckstock liegt auf einem Fundament. Das sind die beiden Druck-Möglichkeiten des Buchdrucks."

    Sind die Texte endlich gesetzt und gedruckt, dann fährt Richard Müller damit nach Weilerswist zum befreundeten Kleinverlag Landpresse von Sabine und Ralf Liebe. Auf deren Fadenheftmaschine – sie funktioniert wie eine überdimensionale Nähmaschine – werden die bedruckten Bögen zusammengeheftet.

    Als Richard Müller begann, selbst auszusuchen, was er setzen und drucken wollte, entwickelte seine Druckwerkstatt sich zwangsläufig zum Verlag mit kleinem, aber gediegenem Programm. "Der meistverlegte Autor bei mir ist Pierre Garnier, dann Konrad Balder Schäuffelen, Eugen Gomringer - das sind Leute, die zur Konkreten Poesie gehören. Und dann eben Lyrik-Bände von jungen Leuten, zum Beispiel Rolf Persch, Khalid Al-Maaly und kleine Kurzprosa-Sachen: Friederike Mayröcker, Dieter Höss, Hans Bender und solche Leute."

    Der Hinterhof im Stadtteil Nippes, wo Richard Müller seine Druckerei und die edition fundamental betreibt, mutet an wie eine Insel in der modernen Industriestadt und Medienmetropole Köln: Ein Anachronismus zu einer Zeit, in der Computersatz und vollautomatisierte Drucktechniken triumphieren. Knochenarbeit und äußerste Präzision sind hier gleichermaßen gefragt. Nur mühsam lassen sich die antiquierten Geräte bedienen. Reich wird man nicht als Drucker und Verleger in Personalunion – dazu sind Richard Müllers Bücher zu preisgünstig. Etwa der Band "Momente": "Sechzehn Stücke kurzer Prosa" von Karl Riha, aus der Futura gesetzt und auf Vorsatzbütten gedruckt, als fadengeheftete Broschur in einer Auflage von 150 Exemplaren zu 28 Mark. Ernst Jandl ist ebenso vertreten – mit 17 Variationen eines Gedichts – wie Friederike Mayröcker mit ihrer Kurzprosa "Phobie der Wäsche" für 20 und 28 Mark. Teurer werden diese Sammlerstücke, wenn Richard Müller aufwendige Illustrationen oder originale Collagen in die Buchgestaltung einbezieht. So kostet "Die doppelte Venus" von Wilhelm Heinse 360 Mark, ebensoviel wie die "Cotratexte" von Reinhold Koehler, in Auflagen von 100 und 150 Exemplaren. Und es macht Spaß, diese bibliophilen Kostbarkeiten zur Hand zu nehmen. Die Mühe und Sorgfalt, mit der Richard Müller sie herstellte, läßt sich mit Händen greifen.