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Und trotzdem eine Picasso - Leben im Schatten meines Großvaters

Um eine Taube zu malen, muß man ihr erst den Hals umdrehen!

Claudia Cosmo | 29.01.2002
    Reichlich krude klingen diese Worte, die wohl zu den Standardweisheiten Pablo Picassos zählten. Marina Picasso stellt dieses Zitat ihres Großvaters direkt an den Anfang ihres Buches, damit der Leser gleich Bescheid weiß, worauf er sich gefasst machen muss: Marina Picasso beabsichtigt auf den folgenden 200 Seiten keine geschmeidig- seichte Geschichte über das einzigartige Leben ihres berühmten Opas niederzuschreiben. Und trotzdem eine Picasso ist die ungeschönte Chronik einer Kindheit und Jugend, die durch einen allmächtigen, unantastbaren Großvater geprägt wurde, der zufällig Pablo Picasso hieß:

    Ich wollte nach all den Jahren kein Buch schreiben, um schlecht über ihn zu reden. Mein Großvater ist tot und kann sich nicht verteidigen. Es geht darum, dem Leser eine Sichtweise eines Nachkommen Picassos darzulegen. Es ist toll, solch ein Genie in der Familie zu haben. Aber es gibt auch die Kehrseite, nämlich Picassos Härte gegenüber seinem Sohn und seinen Enkeln. Das Buch ist eine authentisches Zeugnis unseres Lebens.

    Dazu gehört auch, den Koloss `Pablo Picasso` von seinem Sockel herunterzuholen. Marina bezeichnet ihn in einer Art Prolog als Tyrann, der seine ganze Familie im Würgegriff hielt. Für sie, ihren Vater und ihren Bruder Pablito schien es unmöglich zu sein, dem Mythos `Picasso` zu entkommen. Auf den ersten Seiten ihres Buches skizziert die Enkelin des Malers ein dramatisches Bild vom Zusammenleben mit Picasso. Sie spitzt vorausgreifend Ereignisse zu, die sich erst später im Buch abspielen werden. Man bekommt den Eindruck, die Autorin könnte vor lauter Schmerz und Enttäuschung über ihren Großvater jeden Moment explodieren und habe schon lange darauf gewartet, dieses Buch zu schreiben:

    Für mich besitzt mein Großvater zwei Persönlichkeiten: Auf der einen Seite ist er das künstlerische Genie mit all seinen Eigenarten, und auf der anderen Seite ein Mann, der vergessen hat, menschlich zu sein.

    Das hört sich erst mal an, wie eine Vorlage zu einem kitschigen Hollywood-Roman. Aber Marina gelingt es, sich vom Pathos der ersten Buchabschnitte zu verabschieden und den Leser mit in ihre Vergangenheit zu nehmen. Fotos aus Marinas Kindheit, die Picasso, seine Frau Olga oder seinen Sohn Paulo zeigen, illustrieren diesen Retro-Trip.

    Erzählerisch wechselt Marina Picasso zwischen zwei Perspektiven hin und her, um aus ihrem Leben als Mitglied des Picasso- Clans zu berichten:

    Das, was ich in diesem Buch machen wollte, war aus der Retrospektive zu erzählen, aus der Sicht eines kleinen Mädchens, aus meiner Kindheit und Jugend. Demgegenüber stelle ich die Perspektive einer Erwachsenen, die ihre eigene Persönlichkeit mittels einer Psychoanalyse wiedergefunden hat. Für den Leser ist es wichtig, die Entwicklung mit zu verfolgen. Nur durch meine Antihaltung gegenüber dem Namen Picasso, konnte ich letztendlich die wahre Marina Picasso werden.

    Doch bis dahin war es ein langer Weg. Zunächst mußte Marina lernen, ohne die ständige Präsens ihres Vaters Paulo zurechtzukommen. Als Marina knapp 6 Monate alt war ließen sich ihre Eltern scheiden. Zusammen mit ihrem Bruder Pablito wuchs sie bei ihrer Mutter Emilienne Lotte auf. Eine unsichere, nach Anerkennung heischende Person, die den Namen Picasso wie eine Auszeichnung trug. Auch nach der Scheidung bestand sie darauf, mit Madame Picasso angesprochen zu werden.

    Schmückte sich Marinas Mutter mit diesem Namen, so versuchte ihr Vater Paulo genau das Gegenteil:

    Für meinen Vater war es wohl am schmerzvollsten. Denn er hat nie die Fähigkeit und die Kraft besessen, sich unabhängig zu machen. Deshalb wollte ich in seinem Namen sprechen, um zu zeigen, wie unerträglich und erdrückend es war, der Sohn Picassos zu sein. Infolgedessen war es meinen Bruder und mich auch schwierig. Mein Bruder ist tot. Nur mir alleine wurde die Chance gegeben, meine Kräfte zu sammeln und ein angenehmes Leben führen zu können.

    Als `Totgeborene` betitelt Marina alle Mitglieder der Picasso- Familie, da sie von Geburt an das `Gift des Machtmenschen` Pablo Picasso zu spüren bekamen. Alle hatten sich nach den Wünschen des Meisters zu richten.

    Alle Freunde und Bekannten, außer meiner Großmutter, hätten es je gewagt, meinem Großvater nur im geringsten zu widersprechen. Alles, was er sagte war richtig. Seine letzte Frau Jacqueline nannte ihn sogar `meine Sonne` oder `Monseigneur`. Sie hätte auch nie gewagt, etwas zu entgegnen.

    Ein großer Teil des Buchs handelt von den gefürchteten Besuchen Marinas bei ihrem Großvater in Cannes. Beim Betreten des riesigen Anwesens `La Californie` wurden Marina, ihr Vater und Pablito wie Untertanen behandelt, die um die Gunst ihres Königs buhlen mußten. Beschämend war es für Marina mitanzusehen, wie Picasso seinen Sohn mit Verachtung behandelte, seine finanzielle Abhängigkeit ausnutzte und ihn einen Taugenichts schimpfte. In Marina Picassos Augen schien ihr Großvater gefallen daran zu finden, seine Machtposition auszuspielen und mit der menschlichen Schwäche anderer zu spielen:

    Für mich war es furchtbar mit ansehen zu müssen, daß sich mein Vater nicht aus den Krallen Picassos befreien konnte. Genauso wie mein Vater, schaffte es mein Bruder als Heranwachsender nicht, zu sich selbst zu finden. Er nahm den gleichen zerstörerischen Weg ein. Und ich fühlte mich machtlos demgegenüber. Jahrelang fühlte ich mich am Tod meines Bruders mitschuldig.

    Pablito nahm sich im Alter von 24 Jahren das Leben. Zur Unselbständigkeit verdonnert und vom Großvater zurückgestoßen, brachte er sich mit einer Flasche Bleichwasser um. Marina hatte ein inniges Verhältnis zu ihrem Bruder, vergleichbar mit der symbiotischen Geschwister- Beziehung zwischen Erika und Klaus Mann. Marina und Pablito verband die Erfahrung, einen lieblosen Großvater zu haben, der obendrein noch ihren beruflichen Werdegang kontrollierte. Marina wollte eigentlich Ärztin werden. Dies sagte Picasso nicht zu.

    Er weigerte er sich, solch ein Studium zu finanzieren und schlug Marina vor, in einer Bar zu arbeiten und besiegelte somit ihr Schicksal:

    Nein, ich glaube nicht, daß sich ein Genie alles rausnehmen kann. Aber für meinen Großvater war die Kunst die einzige Möglichkeit, sich mitzuteilen. So wirkte er manchmal wie ein Authist, der keine Möglichkeit hat, zu kommunizieren. In diesen Momenten erschien er uns unmenschlich. Aber es ist auch eine Art Entschuldigung für sein Verhalten, die man ihm lassen muß.

    Marina Picassos autobiographisches Buch soll zwar keine Anklageschrift gegen ihren Großvater darstellen. Jedoch wirkt der große Maler stets wie ein gefühlskalter Stein, der alles lebendig um sich herum zertrümmert. Trotz einiger versöhnlicher Worte über Pablo Picasso, bleibt Marinas Erzählton hart. Wie eine Litanei tauchen Adjektive wie `teuflisch` oder `tödlich` in diesem Zusammenhang immer wieder auf. Die Allmacht ihres Großvaters hat Marina Picasso für lange Zeit gelähmt.

    Das Schreiben dieses Buches sieht sie als Mutprobe an und hat wohl auch therapeutische Wirkungen für sie gehabt. Sie hat sich von der Last, die Enkelin Picassos zu sein, befreit.

    Dass ihre Verwandten aus dem Namen Profit machen, klagt sie im Buch an:

    Ich erwähne das, weil es mich sehr betroffen macht. Meine Miterben Claude, Paloma, Maya und auch Bernhard benutzen Picasso als Markenname. Sie haben ihn an einen Autohersteller verkauft, ohne nach meiner Meinung zu fragen. Ich habe dagegen prozessiert und verloren, weil meine ganze Familie den Namen kommerzialisieren wollte. Ich finde es schade, daß man Picasso nun mit einem Auto in Verbindung bringt. Und das alles für Geld, auf das seine Erben wirklich nicht angewiesen wären.

    Das Erbe Picassos weiterzuführen bedeutet für Marina Picasso, das wieder gut zu machen, was Pablo Picasso versäumte: Für andere Menschen da zu sein. Seit einigen Jahren engagiert sie sich für ein Vietnamesisches Waisenhaus, das ihren Namen trägt.

    Marina Picassos Buch `Und trotzdem eine Picasso` verbindet dokumentarische Elemente mit autobiographischen Versatzstücken. Es geht ihr nicht um den Künstler Pablo Picasso, sondern um den Menschen. Wichtige Details über Picassos Privatleben zu erfahren, bedeutet für Marina nicht, auch den Künstler Picasso infrage zu stellen. Diese Facette läßt sie unangetastet. Das Genie Picasso taucht im Buch nicht auf. Vielmehr zieht sich Marinas emotionale Geladenheit gegenüber dem Privatmann Pablo Picasso wie ein roter Faden durch das Buch. Wer eine objektive, wertfreie Anaylse des Menschen Pablo Picasso erwartet, wird enttäuscht werden. Der 51jährigen Marina Picasso geht es um Gefühle, nicht um Fakten:

    Natürlich wünsche ich, mein Großvater könnte dieses Buch lesen, um nachzuvollziehen, wie er uns mißachtet hat. Aber viel mehr wünschte ich, mich ihm ganz normal darüber sprechen zu können. Das habe ich nie gekonnt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Abwesenheit meines Großvaters zu bedauern.