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Undemokratischer als die Papstwahl?

Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts machen große Politik: Sie können umstrittene Gesetze und Entscheidungen bestätigen oder verwerfen, sie entscheiden über den Maastricht-Vertrag, über Parteiverbote oder die Auflösung des Bundestages. Angesichts dieser Macht kann das Verfahren erstaunen, mit dem die Richter selbst ins Amt gelangen.

Von Gudula Geuther und Klaus Remme | 15.02.2008
    "Ich verkünde das folgende Urteil im Namen des Volkes: Die Anträge werden zurückgewiesen. Die Anträge betreffen die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan."

    30. Juli 2007. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer verkündet: Deutsche Tornados dürfen in Afghanistan bleiben. Eine Entscheidung von Tausenden im Jahr.

    Die 16 Verfassungsrichter können umstrittene Gesetze und Entscheidungen bestätigen, sie können nach lange verhandelten politischen Kompromissen die Bundestagsabgeordneten aber auch "zurück auf Null" schicken. Sie entscheiden über Fragen der großen Politik, den Maastricht-Vertrag, Parteiverbote oder die Auflösung des Bundestages. Viele Fälle betreffen den Einzelnen direkt, vom Schwangerschaftsabbruch bis zur Frage der Online-Durchsuchung privater Computer.

    Angesichts dieser "Macht der 16" kann das Verfahren erstaunen, mit dem die Richter selbst ins Amt gelangen. Hinter verschlossenen Türen bestimmen einige wenige Politiker aus SPD und Union, wem sie es in die Hand geben, über ihre eigenen Gesetze zu urteilen. Ein Verfahren, von dem der Karlsruher Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", Helmut Kerscher, einmal schrieb:

    "Verglichen mit der Wahl deutscher Verfassungsrichter ist die Papstwahl ein Vorbild an Transparenz und Demokratie."

    Heute hat der Bundesrat den Verfassungsrechtsexperten Johannes Masing gewählt, der Wolfgang Hoffmann-Riem nachfolgen wird. Wie üblich ohne Aussprache, in ganzen 36 Sekunden. Nach dem gleichen Verfahren hätte auch der Staatsrechtsprofessor Horst Dreier gewählt werden müssen. Doch seine Berufung ist hoch umstritten. Denn Dreier soll Vizepräsident Winfried Hassemer nachfolgen; und würde nach den Gepflogenheiten später Präsident des Gerichts werden. Die Union aber will Dreier, dem Kandidaten der SPD, wegen seiner Haltung zur Menschenwürde nicht zustimmen. Die Fronten sind verhärtet.

    Das Verfahren, das zur Wahl der neuen Richter führt, bewerten Politiker höchst unterschiedlich: Wolfgang Neškoviæ und Rupert Scholz:

    "Hier hat sich ein System der Heimlichkeit und der Mauschelei etabliert, das ist vordemokratisch und einer Demokratie unwürdig."

    ""Ich glaube nicht, dass es im Ergebnis wirklich Kritik verdient. Es hat sich aus vielen Gründen bewährt und verfassungswidrig ist es mit Sicherheit nicht, denn das Grundgesetz legt ja die entsprechenden Daten selber fest. Und das wird praktiziert.""

    Beide wissen, wovon sie reden: Wolfgang Neskovic, selbst früher Richter am Bundesgerichtshof, sitzt für die Linksfraktion in dem Ausschuss, der die Verfassungsrichter wählt, die vom Bundestag bestimmt werden. Rupert Scholz war in diesem Gremium viele Jahre lang Obmann der Union. Und er war als solcher einer der so genannten "Richtermacher": Eine von vier Personen, die – inoffiziell und außerhalb des Ausschusses - im Wesentlichen unter sich ausmachen, wer die scharlachrote Robe tragen darf, und zwar mit festen, je nach Richterstelle auf Union und SPD verteilten Vorschlagsrechten. Im Fall der beiden neuen Richter liegt das für beide Posten bei der SPD.

    Im Grundgesetz findet sich zur Wahl der einflussreichsten deutschen Richter lediglich ein Satz:

    "Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt."

    Konkreter steht das im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht: Nötig ist jeweils eine Mehrheit von zwei Dritteln. Im Bundesrat entscheidet das Plenum, im Bundestag ein zwölfköpfiger Wahlausschuss. So weit, so theoretisch. Die eigentliche Entscheidung ist im Zeitpunkt der Wahl längst gefallen. Das Ausschussmitglied Wolfgang Neskovic beschreibt seine ersten beiden Sitzungen so:

    "Es war also morgens um acht Uhr, wirklich zwischen Tür und Angel in einem Casino-Raum des Reichstages, also kalter Rauch und auch Alkoholgeruch prägten das Raumklima und das Ganze war auf eine Fünf-Minuten-Abnick-Aktion ausgerichtet. Es lagen also vorbereitete Stimmzettel bereit, wo auch nur ein Kandidat aufgeführt war, den bis auf die beiden Mitglieder, die diesen Kandidaten ausgeguckt hatten, praktisch niemand kannte. Und alle waren auch bereit, ohne weitere Vorstellung diesen Vorschlag abzunicken. Bei der zweiten Sitzung waren die räumlichen Verhältnisse etwas angemessener, das Verfahren war genauso unangemessen."

    Sein Urteil über das Wahlverfahren ist deshalb vernichtend:

    "Also, wenn man dort dressierte Meerschweinchen hinsetzen würde, dann wäre das genauso zielführend als wenn wir da sitzen würden."

    Rupert Scholz widerspricht aus den Erfahrungen in seiner Zeit: Natürlich werde diskutiert im Ausschuss und natürlich übernähmen es die Obleute, die Ausschussmitglieder ihrer Partei im Vorfeld zu informieren; und auch den "kleinen Partner". Aber auch Rupert Scholz sagt:

    "Wenn die Vorschläge da sind, spricht man miteinander. Natürlich, das ist ganz klar, gerade weil es auch darum geht, auch abzuklopfen und zu gucken und zu schauen, wie ist ein Kandidat sozusagen unproblematisch, um ihn auch nicht zu beschädigen, wohlgemerkt."

    Bei diesen Gesprächen kommt es – wegen der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit - auf die kleinen Fraktionen nicht an. Rupert Scholz hält solche informellen Vorgespräche für nötig, um die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen:

    "Wenn etwa der Bundesrat zuständig ist für eine bestimmte Richterstelle, dann kann es doch – ich sage mal – für Proporzbildung insgesamt, für fachliche Ausrichtungen nach den entsprechenden Ressortlinien, kann es hier auch gelegentlich Abstimmungsbedarf geben etwa mit dem Bundestag. Deshalb ist es natürlich richtig, dass es informelle Vorgespräche gibt."

    Auf diese Weise entsteht ein inoffizielles Gremium von vier Personen. Derzeit sind das – mit leichten Variationen im Einzelfall - Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, SPD, und Hermann Gröhe, CDU, für den Bundestag. Auf Bundesratsseite vertritt Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger die Union, sein Bremer Kollege Jens Böhrnsen die SPD. Das Vorschlagsrecht, das den Parteien dabei zukommt, ist durchaus ernst zu nehmen. Rupert Scholz:

    "Es ist schon so, zunächst einmal haben wir die Stelle X und die steht beispielsweise der SPD zu, dann wartet die andere Seite darauf, dass die SPD einen Vorschlag macht. Und dann guckt man sich den Vorschlag an. Und wenn der Vorschlag fachlich, es geht in aller Regel wirklich nur um die fachliche Seite dabei, die nötige Kompetenz ausweist, dann geht dieser Vorschlag auch durch."

    Die Reichweite dieses Vorschlagsrechts ist es, die derzeit umstritten ist. Die feste Verteilung auf SPD und Union hat sich sehr früh nach Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts eingebürgert, nachdem es anfangs zu Streitigkeiten gekommen war. Das öffentliche Kräftemessen im Fall Horst Dreier wurde möglich, weil der SPD-Vorschlag vor der Einigung mit der Union bekannt geworden war. Offen drohte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann vor zwei Tagen mit einer Aufkündigung des derzeitigen Ver-fahrens mit seiner Zuschreibung der Stellen auf die Parteien: Sollte die Union bei der Weigerung bleiben, Horst Dreier mitzutragen, könnte sich das auch auf andere Richterwahlen auswirken.

    Das Verfahren ist unbefriedigend, denn es ist für den Bürger völlig undurchschaubar und so mit demokratischen Grundsätzen schwer vereinbar. Nur: Wie kann die Alternative aussehen? Kritiker blicken gern in die USA, denn dort finden öffentliche Anhörungen statt, scheinbar mustergültig in der Demokratie. In den Vereinigten Staaten selbst allerdings sind durchaus nicht alle mit dem Verfahren zufrieden.

    Die neun Richter des Supreme Court haben enorme Macht, viele Urteile dieses höchsten Gerichts sind Weichenstellungen gewesen und der Kulturkampf um Themen wie die Rassenfrage, die Todesstrafe oder die Abtreibung ist ohne die Rolle des höchsten Gerichts nicht zu verstehen. Herman Schwartz ist angesehener Rechtsprofessor am College of Law an der American University in Washington. Die Berufung der Richter ist eine höchst politische Entscheidung, viel politischer als in anderen Ländern, so Schwartz.

    Das Verfahren in Kürze: Der Präsident hat das Recht, einen Kandidaten zu nominieren. Im Vorfeld arbeiten Lobbyisten mit großem Aufwand, um diesen Vorschlag des Präsidenten zu beeinflussen. Dieser muss dann nach einer ausführlichen Anhörung vom Senat mit einfacher Mehrheit bestätigt werden. Dabei gilt traditionell:

    Wenn es keine ausgesprochen triftigen Gründe gegen einen Kandidaten gibt, wird er bestätigt, selbst wenn die Mehrheit des Senats nicht eben glücklich mit der Auswahl ist, so Herman Schwartz. Natürlich hilft es, wenn – wie bis zu den Wahlen 2006 – eine Partei den Präsidenten und die Senatsmehrheit stellt. So wäre es für George Bush, jetzt, am Ende seiner Amtszeit, mit dem aktuellen Senat nicht möglich, einen Kandidaten durchzusetzen. Das Nominierungrecht ist ein mächtiges Instrument des Präsidenten, denn die Richter am Supreme Court werden auf Lebenszeit berufen. Amtszeiten von über 25 Jahren sind keine Seltenheit.

    John Paul Stevens ist noch von Präsident Ford im Jahr 1975 berufen worden. George Bush hat mit den Richtern Roberts und Alito zwei Richter nominiert, die noch urteilen werden, wenn die Namen McCain, Clinton oder Obama, ja selbst deren Nachfolger bereits Geschichte sind. Ein schrecklicher Fehler im System, meint Professor Schwartz. Sie können nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Macht passe nicht zur Demokratie.

    Von den letzten vier Präsidenten war nur einer, Bill Clinton, Demokrat. Die gegenwärtige Ausrichtung des Supreme Court ist deshalb auch keine Überraschung. Vier, vielleicht sogar fünf Richter stehen politisch viel weiter rechts als die amerikanische Öffentlichkeit.

    Die zukünftige Zusammensetzung des höchsten Gerichts ist auch heftig diskutiertes Thema im laufenden Wahlkampf. Der nächste Präsident wird einen, vielleicht zwei oder gar drei Posten neu besetzen können.

    Gefragt, was er am System der Richterauswahl ändern würde, sagt Schwarz, ich würde die Amtszeit auf 12 bis 14 Jahre beschränken, ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl, und die erforderliche Mehrheit für die Bestätigung im Senat von 50 auf 60 heraufsetzen, so wäre es praktisch unmöglich für einen extrem rechten oder linken Kandidaten, gewählt zu werden.
    Nach diesen Erfahrungen in den USA sind sich Kritiker und Befürworter des deutschen Systems einig: Es ist gut, dass die Amtszeit der Richter begrenzt ist, auf derzeit 12 Jahre. Es ist wichtig für die politische Unabhängigkeit, dass sie nicht wiedergewählt werden können, denn so sind die Entscheidungen unbeeinflusst von der Hoffnung auf eine neue Amtszeit. Aber schon in der Frage der notwendigen Mehrheiten gibt es vereinzelte Abweichler.

    Wolfgang Neškoviæ wünscht sich einfache Mehrheiten. Das, so glaubt er, würde gewährleisten, dass das ganze Meinungsspektrum in der Bevölkerung zum Tragen käme. Das eben ist das Problem, sagt dagegen Dieter Grimm. Der frühere Verfassungsrichter und Rektor des Wissenschaftskollegs in Berlin verweist auf die Polarisierung im US-Supreme-Court:

    "Da kann ich nur mit der größten Entschiedenheit warnen davor. Die Verfassung ist die Konsensbasis für die unterschiedlichen Kräfte und für die Konkurrenten und deswegen kann sie nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit erlassen oder verändert werden. Und die Institution, die die Verfassung anwendet auf politische Konflikte, muss denselben Status haben. Das heißt, die Zwei-Drittel-Mehrheit ist völlig unverzichtbar dafür. Die Diagnose ist richtig, man wird keine extremen Parteigänger kriegen, aber ich finde auch, extreme Parteigänger haben im Gericht nichts zu suchen."

    Mit der Zwei-Drittel-Mehrheit werde verhindert, dass eine Partei ihre Kandidaten durchdrücken könne, und dabei vielleicht sogar der politischen Ausrichtung mehr Gewicht beimesse als der fachlichen Kompetenz. Sascha Kneip, der sich am Berliner Wissenschaftskolleg im Rahmen seiner Promotion aus politikwissenschaftlicher Sicht mit dem Bundesverfassungs-gericht beschäftigt, findet ohnehin nicht, dass die Richter die Gesellschaft widerspiegeln sollten – im Gegenteil. Er plädiert für das Bild des neutralen Richters.

    "Dass neutrale Richter im Bundesverfassungsgericht sitzen, sorgt zum einen dafür, dass die Urteile fern von partei-politischen Gesichtspunkten getroffen werden, hat aber auch im Wesentlichen einen Legitimationsvorteil für das Gericht selbst. Dadurch, dass die Urteile des Verfassungsgerichts als politisch neutral wahrgenommen werden, schafft das Gericht es tatsächlich, eine hohe Legitimationsbasis in der Bevölkerung zu generieren."

    Bleibt also die wesentliche Frage, wie mehr Transparenz bei der Richterauswahl erreicht werden könnte. Das weitestgehende Modell ist das der öffentlichen Anhörung. Früher forderten die vor allem die Grünen, heute ist es im politischen Raum die Linkspartei. Aber auch Staatsrechtler oder Politikwissenschaftler regen sie immer wieder an. Mit ähnlichen Gründen wie Wolfgang Neskovic:

    "Weil natürlich in der Politik die Öffentlichkeit ein wesentliches Struktur- und auch Disziplinierungselement ist, dann kann man sich sowohl von seinen Abgeordneten ein Bild machen, als auch von den Kandidaten. Es sind Wertungsfragen. So dass man in dem Zusammenhang die Wertung, die Wert-vorstellung, die diesen Kandidaten prägen, dass die letztlich für die Wahlentscheidung wichtig und entscheidend sind."

    Auch der Politikwissenschaftler Sascha Kneip hält mehr Transparenz im Wahlverfahren für dringend erforderlich. Die öffentliche Anhörung hält er aber für den falschen Weg:

    "Wenn wir in die USA zum Beispiel blicken, sehen wir dass dort die Kandidaten zumindest seit Mitte der 80er Jahre regelrecht gegrillt werden in diesen Anhörungsverfahren. Das ist zum einen ein Problem für die Kandidaten selber, zum anderen auch fürs Ansehen des Gerichts, weil die Kandidaten beschädigt werden und wenn sie doch gewählt werden, schon beschädigt in das Gericht gehen. Zum anderen ist es aber auch die Frage, ob es tatsächlich mehr Transparenz bringen würde. Denn man sieht in den USA ja, dass sehr viele Kandidaten in den Anhörungen sich sehr bedeckt halten, was ihre rechts-politischen Positionen angeht, auch was ihre politischen Positionen angeht. Denn jeder Kandidat, der dort in den Anhörungen sitzt, weiß natürlich, dass er bestimmte Themen besser nicht anschneidet."

    Dieter Grimm hält – ebenso wie Rupert Scholz - solche Zurückhaltung des Kandidaten sogar für nötig – und bezweifelt deshalb den Wert der Anhörung.

    "Da würden die Politiker am liebsten wissen, wie will der entscheiden, wenn der nächste Stammzellfall kommt. Oder wie wird der entscheiden, wenn wieder die Abtreibung ansteht. Darüber darf der nichts sagen. Auf der einen Seite muss er offen sein für die Argumente, die er in dem Verfahren hört, andererseits, wenn er etwas sagt dazu in so einer Anhörung, ist er sofort befangen und fliegt raus, wenn das Verfahren kommt."

    Stattdessen hält er eine öffentliche Präsentation ohne Fragen für möglich. So könnten sich die Abgeordneten ein Bild machen, die Namen wären bekannt. Und die Richtermacher wären möglicherweise motivierter, in einem frühen Stadium mehrere Vorschläge zu machen, statt nur einen Namen zu nennen.

    "Dann bleibt ja immer noch die Option, nachher sich zu entscheiden, wen präsentieren wir dann wirklich."

    So wie diesen gibt es noch weitere Vorschläge, gegen die sehr viel weniger einzuwenden wäre als gegen die Anhörung. Der Politikwissenschaftler Sascha Kneip kann sich vorstellen,

    "…dass man vielleicht über die Vorschläge im Plenum des Bundestages abstimmen lässt, aber möglicherweise ohne Aussprache. Wie es bei anderen Wahlverfahren ja auch der Fall ist, etwa beim Bundeskanzler oder beim Bundespräsident."

    Das brächte – da die Abgeordneten informiert wären – automatisch mehr Öffentlichkeit mit sich. Und den Vorteil, dass eine solche Wahl eher dem Grundgesetz entspräche. Denn dort ist schlicht vom Bundestag die Rede, der seine Hälfte der Richter wählt, nicht von einem Ausschuss.

    Wie immer man das Verfahren bewertet, in einem sind sich wohl alle einig, auch der Kritiker Wolfgang Neskovic: Das Ergebnis – die Auswahl der Richter – ist gut. Die Richter sind zwar – anders als in den USA – namentlich nicht besonders bekannt, aber ihre Entscheidungen werden breit akzeptiert, ihre fachliche Qualifikation steht in aller Regel außer Frage. Sascha Kneip:

    "Ich glaube schon, dass die Qualität der Bewerber das erste Kriterium deswegen spielt, weil die Politiker und die politischen Parteien kein Interesse daran haben, schlecht qualifizierte Bewerber ins höchste Gericht zu bringen, weil sie wissen, das dieser Akteur Bundesverfassungsgericht ihre Interessen ja beschneiden kann."

    Hinzu kommt, dass sich keine Partei die Blöße geben will, für einen Totalausfall verantwortlich zu sein. Und dass auch in der Politik bekannt ist, dass man sich in Karlsruhe im Senat oder in der Kammer nur mit guten Argumenten durchsetzen kann. Keine Partei will sich die Möglichkeit nehmen lassen, hier über ihre – notwendig guten - Kandidaten Einfluss zu nehmen.

    Trotzdem betreiben die Gewählten, einmal in Karlsruhe - in aller Regel - keine Parteipolitik. Einstellungen zu Grundwerten, eine eher konservative oder liberale Grundhaltung, werden zwar öfter deutlich, selten aber die Loyalität zu einer parteipolitischen Richtung. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn die organisatorische Unabhängigkeit, die die Richter genießen, ist das eine. Sie schließt aber nicht aus, dass sich die Verfassungsrichter selbst als Vertreter ihrer Partei begreifen. Dieter Grimm nennt das "Selbstpolitisierung". Und die findet nach seiner Erfahrung im Gericht nicht statt.

    "Ich habe immer mit Begeisterung erlebt, wie weit der Umstand, dass man weiß, wie man Streitfragen juristisch zu behandeln hat, über Differenzen weltanschaulicher Art hinweghilft. Und es spielt das Selbstverständnis eine ganz große Rolle. Man setzt nicht das politische Spiel im Gericht fort. Das heißt also, es gibt keine Koalitionen, die vorher sich besprechen, wie sie’s denn gerne hätten, sondern man kommt immer in eine offene Diskussionssituation hinein und weiß, man kann da mit Argumenten was ausrichten - die anderen natürlich auch, das finde ich, ist ganz unschätzbar. Wenn der parteipolitische Einfluss stärker würde, würde ich nicht mehr die Hand dafür ins Feuer legen, dass das so bleiben könnte."

    Das mag beruhigend sein, und es spricht gegen eine revolutionäre Umgestaltung des Wahlverfahrens. Die heimliche Kür im Hinterzimmer rechtfertigt es nicht. Dieter Grimm:

    "Wenn ich die besonders glückliche Vereinbarung von sachlichem Diskurs und öffentlicher Transparenz finden könnte, würde ich für die unbedingt sein. Die wird man nicht finden, dann aber immerhin die eine oder andere Zwischenstufe, die auch möglich wäre."