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Undurchsichtiges Irland
Anti-Korruptionsgruppen organisieren sich

Irland steht bei internationalen Korruptionswächtern unter Beobachtung: wegen unsauberer Machenschaften, Vetternwirtschaft und Berichten von Beweisfälschungen - und das auf allen Ebenen des politischen Lebens. Die Organisation "Integrity Ireland" will das nicht länger hinnehmen.

Von Christian Ignatzi | 09.05.2017
    Blick auf ein Stop-Schild im Dunkeln.
    Anti-Korruptions-Gruppen wie "Integrity Ireland", "Reality Ireland" oder "Land of the Free" versuchen der Korruption in Irland zu begegnen. (deutschlandradio.de / Daniela Kurz)
    Ein paar Dutzend Demonstranten stehen vor dem Parlament in Dublin, um gegen die Diffamierung von Whistleblowern zu protestieren. Mittendrin, mit einem Megafon in der Hand, Stephen Manning. Der Mann, Ende 50, gründete vor fünf Jahren die Protestorganisation "Integrity Ireland". Stephen Manning:

    "Die Idee dahinter war, dass sich diejenigen zusammentun, die glauben, der Staat habe ihnen Unrecht getan. Wir haben die Geschichten der Menschen gesammelt, um sie zu veröffentlichen. Irgendwann waren wir 320."
    Es sind Geschichten, die dem Staat willkürliche Verhaftungen und Verurteilungen oder Fälschung von Beweisen unterstellen. Mit den Geschichten im Gepäck sind Stephen Manning und seine Mitstreiter vor das Justizministerium gezogen. Doch die Türen blieben geschlossen, niemand wollte ihre Berichte und ihre Beweise zur Kenntnis nehmen. Es folgen viele weitere Versuche, wie zahlreiche Videodokumentationen beweisen. "Stonewalling" wird diese Form der Hinhaltetaktik genannt, die nicht nur Mannings Organisation "Integrity Ireland" kritisiert. Auch "Transparency International" zählt die irische Polizei zu den undurchsichtigsten in der westlichen Welt. Schattenbanken, Polizeikorruption, Vetternwirtschaft - in der internationalen Rangliste von "Transparency International" spielt die grüne Insel in einer Liga mit Uruguay oder Chile. Die Anti-Korruptionsstelle des Europarats "GRECO" ermahnte Irland im Jahr 2014, die Strukturen innerhalb der Regierung und Justiz zu verbessern. Die Probleme in Irland haben vor allem einen Grund, sagt die renommierte irische Investigativjournalistin Gemma O'Doherty: "Das Problem, das wir in Irland haben, sind die sehr engen Beziehungen zwischen Medien, Polizei und Staat. Das Ergebnis ist, dass wir Journalisten unseren Job nicht machen können."
    Verleumdung und Vertuschung
    O'Doherty verlor 2013 ihren Job, nachdem sie aufgedeckt hatte, dass der Präsident der irischen Polizei, Martin Callinan, zahlreiche Strafzettel löschen ließ, die er wegen überhöhter Geschwindigkeit erhalten hatte. Sie hatte den Polizeichef ohne Erlaubnis ihres Redaktionsleiters angerufen. Inzwischen hat sich ihr ehemaliger Arbeitgeber öffentlich entschuldigt. Doch der Strafzettel-Skandal zog weite Kreise: Ein Informant wurde verleumdet, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs stand im Raum - zu Unrecht. Am Ende mussten der damalige Polizeichef und der Justizminister ihren Hut nehmen. Doch viele andere dokumentierte Korruptions-, Verleumdungs- und Vertuschungsfälle bleiben unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit.
    "Sexueller Missbrauch" - gegen diesen Vorwurf musste sich auch "Integrity-Ireland"-Gründer Stephen Manning wehren. In seinem Fall schickten Polizisten gefälschte Aussagen seiner eigenen Töchter an die irische Kinderhilfe-Stelle. Manning versuchte gegen die Polizisten vor Gericht vorzugehen, doch alle Instanzen blockten seine Versuche ab. Ein Ziel von "Integrity Ireland" ist deshalb, so viele Fälle wie möglich zusammenzutragen und so gegen das "Stonewalling" vorzugehen. Die Organisation unterstützt Gleichgesinnte, indem sie ihnen die Möglichkeit eines Erfahrungsaustausches bietet.

    "Wir wollten sicherstellen, dass es regelmäßige Treffen gibt, dass unsere Mitglieder sich bei Gerichtsverhandlungen gegenseitig unterstützen, dass sie sich zu Verhören bei der Polizei begleiten. Denn das Hauptproblem, das die meisten Menschen hier haben, ist, dass sie blind in Konflikte mit dem Staat gehen. Wir planen, durchs Land zu touren, um lokale Gruppen aufzustellen, die sich gegenseitig unterstützen, damit ich nicht alle Arbeit für sie machen muss", sagt Stephen Manning.

    Betroffene gründen Netzwerke
    Neben "Integrity Ireland" erreichen Anti-Korruptions-Gruppen wie "Reality Ireland" oder "Land of the Free" in Social-Media-Netzwerken mehrere tausend User. Journalistin Gemma O'Doherty hält es für wichtig, dass sich Geschädigte zusammenschließen: "Jeder Whistleblower, der in Irland versucht hat, Korruption aufzudecken, hatte mit großen Problemen zu kämpfen. So ist das hier. Wenn jemand versucht, Missstände aufzudecken, wird er von der Instanz, die sie beschuldigt, ruhiggestellt."
    Diese Erfahrung macht auch Stephen Manning. Er erwartet im Mai eine zweimonatige Haftstrafe. Angeblich hat er einen Richter im Saal beschimpft. Der Abschnitt der Tonaufnahme, die das beweisen soll, ist gelöscht. Warum? - darauf gibt die Justiz auf Nachfrage keine Antwort.