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Uneins im Osten

In Leipzig soll ein Denkmal für diejenigen entstehen, die gegen das SED-Regime auf die Straße gingen. Bezahlen wird es der Bund, aber in Leipzig will es keiner haben. Vor allem die Demonstranten von damals sehen das geplante Kunstwerk kritisch.

Von Manuel Waltz | 07.11.2013
    Direkt am Innenstadt-Ring, wo sich täglich unzählige Autos und Straßenbahnen vorbeischieben, sperren große Bauzäune den Wilhelm-Leuschner-Platz ab, andere Teile der weiten Fläche werden als Parkplatz genutzt. Seit die Bomben des Zweiten Weltkriegs den Platz zerstörten, ist er eine Brache geblieben. Das soll sich mit dem geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal ändern, so wurde es im Jahr 2007 beschlossen. Doch es ist fraglich geworden, ob es überhaupt gebaut werden wird. Denn schon der Name des Denkmals ruft Widerstand bei denen hervor, die damals gegen das SED-Regime auf die Straße gingen. Einer von ihnen ist Egbert Pietsch, Herausgeber des Stadtmagazins "Kreuzer".

    "Es ist der Kampf um die Deutungshoheit und es ist typisch, dass das deutsche Establishment sich auf diesen Begriff setzen will. Das hat aber mit Leipzig nichts zu tun. Darum ist das ja auch ein Ding vom Bund."

    Rund sechs Millionen Euro stellt der Bund für das Denkmal zur Verfügung – und die Stadt Leipzig soll das Projekt umsetzen. Den ausgelobten Wettbewerb hat im vergangenen Sommer ein Team aus München und Berlin gewonnen. Daneben wurden ein zweiter und ein dritter Platz vergeben. Doch kaum jemand wollte wirklich einen dieser Entwürfe als Denkmal haben. Und was den Streit besonders delikat macht ist: Es sind vor allem diejenigen, die eigentlich geehrt werden sollen, die 1989 ihr Leben riskierten, die sich gegen ein Denkmal aussprechen. Das, so sagt Susanne Kucharski-Huniat, habe auch die Stadtverwaltung anfangs unterschätzt. Die heutige Leiterin des Kulturamtes der Stadt war damals auch mit dabei:

    "Und hier setzt ein großes Problem tatsächlich ein, dass wir auch gemerkt haben, dass die Umsetzung dessen, was diese Menschen erwarten in Kunst eine Herausforderung ist für Künstler, Architekten, die wir angesprochen haben mit dem Wettbewerb, die man kaum einlösen kann."

    Freude soll das Denkmal ausstrahlen. Das war die Vorgabe des Wettbewerbs. Doch damit bewegt sich die Aussage schon weit von dem Empfinden der Zeitzeugen weg. Vielmehr interpretiert es für viele die Geschehnisse in eine vorgegebene Richtung. Denn Freude sei damals nicht das vorherrschende Gefühl gewesen, erinnert sich Ansgar Maria König, der heute für Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat sitzt. Gefühle kann man nicht einfach vorgeben – oder nachbessern, sagt er:

    "Als wir damals zur Nikolaikirche gegangen sind, eine kleine Gruppe von Leuten nur, da war das mehr ein Ausdruck von vielleicht auch Trauer zum Beispiel, war da ganz stark dabei. Trauer, dass viele von unseren Freunden weg sind."

    Viele wie Ansgar Maria König wollten damals vor allem eines: dass die Menschen nicht länger in Massen in den Westen fliehen. Sie wollten das System der DDR verändern. König steht vor einem der großen Bauzäune und schaut auf den weiten leeren Platz. Trotzdem: Er unterstützt das Denkmal, obwohl, ...

    "Es kann sich keiner so richtig in diesen Entwürfen wiederfinden, ich glaube in allen dreien nicht. Und das macht das ganze Prozedere natürlich unglaublich schwierig."

    Bunte Würfel sollten die Unterschiedlichkeit der demonstrierenden Menschen symbolisieren – so der Entwurf aus München und Berlin. Doch gerade damit konnten weder Ansgar Maria König noch viele andere etwas anfangen. Dazu kommt, dass die Künstler aus dem Westen stammen - und nicht aus Leipzig – oder zumindest aus Ostdeutschland:

    "Das kann man nicht nachempfinden, wenn man nicht hier gelebt hat, irgendwo. Auch dieses Gefühl von ... aus einer Ohnmacht, in der man viele Jahre gelebt hat und einer Anpassung natürlich, wie es jeder musste, der hier lebte, plötzlich auch ausbrechen zu können."

    Aber selbst der Name des Denkmals – nämlich Einheitsdenkmal - ist für viele Leipziger eine gewagte Interpretation der Geschehnisse, beobachtet auch die Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat. Denn es war damals so, dass …

    "… der öffentliche Gedanke an die Wiedervereinigung keine Rolle spielte, wir hatten hier wirklich erst mal mit den elementarsten Dingen zu tun, die wir für uns erreichen wollten, und Einige waren ja auch dabei, die durchaus die damalige DDR als reformwürdig und reformfähig auch noch angesehen haben."

    Verändern und gestalten – statt aufgehen in der Bundesrepublik. Noch heute meinen viele – nicht nur in Leipzig - dass es noch einen anderen Weg hätte geben können. Die Wiedervereinigung erleben sie bis heute als Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik, übrig blieb nur das Ampelmännchen, das hört Egbert Pietsch vom Stadtmagazin Kreuzer oft. Und die Freude über die gewonnene Freiheit wurde von der anschließenden Massenarbeitslosigkeit zunichtegemacht, so Pietsch:

    "Was hat es uns gebracht, was hat es den Leipzigern denn gebracht? Die Freiheit von Arbeitsplätzen hat es ihnen gebracht."

    Die Stadt hat im Sommer alle drei Entwürfe überarbeiten lassen und danach neu bewertet. Nun sollte plötzlich der ehemals Dritt-Platzierte Sieger sein, der Entwurf der bei den Leipzigern noch am besten ankam. Dagegen haben die ehemals Erstplatzierten aus München und Berlin geklagt, eine Entscheidung wird kommende Woche erwartet. Am Ende muss der Stadtrat beschließen, ob ein Denkmal gebaut werden soll und wenn ja welches. Bei aller Kritik ist Egbert Pietsch aber pragmatisch, wie viele andere in Leipzig auch. Er möchte, dass der Wilhelm-Leuschner-Platz - die große Brachfläche im Herzen der Stadt - mit Mitteln aus Berlin wiederbelebt wird. Er hat genug Vertrauen in seine Mitbürger, lacht er, dass sie das Beste daraus machen, denn:

    "Der Leipziger ist aufrührerisch und frech. Der wird dem Ding den passenden Namen verpassen und da freue ich mich schon drauf."