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Unentdecktes Eis

Nord- und Südpol gehören bis heute zu den Regionen der Erde, die nur spärlich erforscht sind. Dabei nehmen gerade Arktis und Antarktis eine Schlüsselstellung im Klimasystem ein. Denn in diesen sensiblen Naturräumen sind die Folgen der Erderwärmung am ehesten sichtbar.

Von Folkert Lenz | 02.01.2007
    Schon jetzt lauschen Bremerhavener Meeresbiologen mit großen Mikrofonen in die Tiefe des antarktischen Ozeans und stoßen dabei nicht nur auf die Unterwasserrufe von Weddel-Robben. Dabei geht es offiziell erst am 1. März los. Die Kommunikation der Meeressäuger, eins von zahllosen Projekten im Rahmen des Polarjahres, das in der Praxis für die Wissenschaftler schon längst begonnen hat.

    Zwar gibt es Forschungsstationen in Arktis und Antarktis. Doch noch immer ist das Wissen dürftig, wenn es um die menschenleeren Regionen rund um die Pole geht, sagt der Bremerhavener Geophysiker Karsten Gohl vom Alfred-Wegener-Institut (AWI):

    "Es ist so, dass wir über die Rückseite des Mondes und über die Oberfläche des Mars mehr wissen als über den Untergrund der Antarktis oder Grönlands zum Beispiel, oder der Tiefsee, gerade der polaren Tiefsee. Das sind alles noch große weiße Flecken auf der Erde."

    Die sollen nun erforscht werden. Vor allem die Umwelt steht dabei im Fokus. Im Internationalen Polarjahr sollen mit möglichst großer Genauigkeit die Veränderungen festgehalten werden, der die Polarregionen derzeit unterliegen, ob beim Plankton im Meer, ob beim Schwund von Gletschern, bei Partikeln in der Luft oder Strömungen im Wasser. Karsten Gohl ist auch wissenschaftlicher Sekretär für die deutsche Polarjahr-Kommission.

    "Gerade während des Internationalen Polarjahres versucht die internationale Wissenschaftsgemeinde, Daten über Klimaveränderungen und über Umweltveränderungen sowohl in der Vergangenheit sowie die jetzigen Veränderungen quantitativ ganz hochauflösend festzustellen und zu messen."

    Denn bisher ist es schwierig, Entwicklungen deuten zu können. Es gibt zu wenig Daten. Einen richtigen Schub an Erkenntnissen erhoffen sich nun Geologen, Ozeanografen und Eisexperten, die bei der konzertierten internationalen Aktion genauso dabei sind wie Meteorologen und Biologen. Mit geballter Kraft könne in zwei arktischen und antarktischen Sommern zusammengetragen werden, wofür die Wissenschaftler sonst 20 Jahre und mehr bräuchten, so die Schätzung von Gohl.

    Stand früher die Erforschung unbekannter Gebiete im Vordergrund, rückt nun das Klimageschehen in den Mittelpunkt. Die Polargebiete spielen eine entscheidende Rolle für den Klimahaushalt der Erde, doch viele Zusammenhänge sind den Forschern noch nicht ganz klar. Bei mehrmonatigen Expeditionen in die Polarmeere sollen nun Strömungen im Südpazifik ermittelt, Zuflüsse des Arktischen Meers untersucht oder Sedimentkerne aus dem Meeresboden geholt werden. AWI-Ozeanografin Ursula Schauer:

    "Die Ozeane haben im Klimasystem eine wichtige Rolle, weil Wasser sehr viel Wärme speichern kann. Und wenn diese Wärme durch Ozeanströmungen zu anderen Gebieten transportiert wird - also zum Beispiel aus dem Nordatlantik, wo es ja den Golfstrom gibt, in die Arktis -, dann ist das ein wichtiger Beitrag zum Wärmehaushalt der gesamten Arktis."

    In den vergangenen Jahren haben Forscher alarmierende Beobachtungen gemacht: 2002 lösten sich riesige Teile des schwimmenden Meereises an der Antarktischen Halbinsel auf, das so genannte Larsen-Schelf zerbrach. Und in diesem Herbst war das Meereis rund um den Nordpol so klein wie noch nie, die Temperaturen der Arktis um drei Grad höher als noch vor 30 Jahren. Um den Status quo zu dokumentieren, wollen die Forscher jetzt Bojen in Wasser und Eis aussetzen, Messsonden in die Atmosphäre schicken, Lebewesen zählen und Proben nehmen. Dabei spielt das deutsche Forschungsschiff "Polarstern" eine wichtige Rolle, denn es ermöglicht den Zugang in unwegsame Regionen. "Polarstern"-Koordinator Eberhard Fahrbach:

    "Polarstern ist halt ein Schiff, was sehr vielfältige Nutzungsmöglichkeiten hat. Auf der einen Seite macht man also komplizierte Verankerungen für die physikalischen Ozeanografen. Auf der anderen Seite bringe ich also die aufwendigsten Tieftauchboote aus."

    Außerdem besitzt die Bremerhavener "Polarstern" Labore für 50 Wissenschaftler. Auch das zweite deutsche Forschungsschiff "Maria Merian" aus Rostock wird im Polarjahr zu Expeditionen ausrücken. Insgesamt 60 Nationen beteiligen sich am Datensammeln. So entsteht eine Art wissenschaftlicher Schnappschuss von den Polargebieten, ein Schnappschuss, der auch den Politikern gezeigt werden soll, die Verantwortung für das Weltklima tragen.