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Ungarisches Pokerface

Der umstrittene Präsident Viktor Orban hat ein Problem: Ungarn braucht dringend Geld, aber bitte ohne Vorschriften. Die nötigen Kredite sollen vom Internationale Währungsfonds und der EU kommen. Doch die Geldgeber sind mit dem neuen Notenbankgesetz und anderen Änderungen in Ungarn nicht einverstanden.

Von Jörg Paas | 13.01.2012
    Wenn ein paar Dutzend Menschen zusammenstehen und Transparente hochhalten, dann wird man neugierig in diesen Tagen in Budapest, noch dazu, wenn sie ausgerechnet vor der Oper stehen - dort also, wo gleich zu Beginn des neuen Jahres Zehntausende gegen die neue Verfassung demonstrierten. Diesmal sind es Rentner. Die Gruppe ist überschaubar. Der rechtsgerichtete Fernsehsender "Echo TV" hat sie aufgerufen, Flagge zu zeigen für Premier Viktor Orban:

    "Es stimmt nicht, dass der FIDESZ-Partei die Anhänger davonlaufen. Das ist genauso falsch wie die Behauptung, dass Orban die Demokratie abschaffen will. Das Ausland hat doch ein völlig falsches Bild von unserer Regierung."

    Aus den Nachrichten erfahren die Ungarn wenig später, dass die EU-Kommission gleich mehrere Strafverfahren gegen diese Regierung angedroht hat. Den Premierminister scheint das zunächst nicht zu beeindrucken. Sein einziges öffentliches Statement an diesem Tag ist die Eröffnungsrede für eine neue Hochschule:

    "Wir haben uns Großes vorgenommen - und werden es realisieren, so wie wir die neue Verfassung verabschiedet, die Finanzlage des Landes stabilisiert und wichtige Bereiche unseres Lebens neu organisiert haben."

    Am nächsten Tag lässt Orban Journalisten zusammentrommeln. Die Interpretation seiner Worte fällt unterschiedlich aus. Die einen glauben Kompromissbereitschaft zu erkennen, die anderen eher die übliche Arroganz: Man sei ja durchaus bereit, jeden einzelnen Kritikpunkt mit der EU zu diskutieren, aber dafür brauche man nicht politische Meinungen, sondern bitteschön Argumente. Dem Politikwissenschaftler Zoltan Kiszely kommt diese Haltung bekannt vor:

    "Budapest wartet jetzt darauf, dass die Kommission ganz genau sagt, Paragraf soundso verstößt nach unserer Auffassung gegen das Gemeinschaftsrecht. Das ist auch schon beim Mediengesetz passiert: Vieles ist kritisiert worden, aber die Kommission konnte nur drei konkrete Punkte beanstanden, die gegen die audiovisuelle Richtlinie der EU verstoßen haben. Und Budapest hat diese drei konkreten Punkte sofort revidiert."

    Im Grunde steht Viktor Orban mit dem Rücken zur Wand. Doch nach außen tut er alles, um genau diesen Eindruck zu vermeiden. Ebenso wie er stets beteuert hat, dass Ungarn auf Geldgeber, die dem Land Vorschriften machen wollen, nicht angewiesen ist. Jetzt offenbar doch. Die Frage ist, ob die Menschen ihm das abnehmen. Politikwissenschaftler Kiszely traut es ihm zu:

    "In der Politik gibt es immer Sätze, die man nicht hätte sagen sollen. Solche Sätze sind: Wir haben den IMF hinausgeschmissen. Oder: Wir lassen uns nichts diktieren. Natürlich ist Ungarn demokratisch souverän. Aber dort, wo sich Ungarn durch internationale Verträge verpflichtet hat, gemeinschaftliches Recht anzuerkennen, müssen wir uns diktieren lassen. Die anderen Staaten haben sich ja auch diktieren lassen müssen. Also, ich glaube, dort wird man nachgeben. Es ist die Aufgabe der Kommunikation, das zu erklären, warum das, was gestern noch schwarz war, heute schon weiß ist. Aber ich glaube, das wird man machen können."

    Der Wirtschaftswissenschaftler Andras Inotai ist da skeptischer. Aus seiner Sicht ist die Glaubwürdigkeit von Viktor Orban und seiner Regierung, sollte sie überhaupt jemals bestanden haben, mittlerweile schwer angeschlagen:

    "Das Vertrauen in Ungarn als weiterhin teilweise wettbewerbsfähige Wirtschaft gibt es noch. Das Vertrauen in die Regierung gibt es nicht. Ich möchte diesen Unterschied ganz klar machen. Und dieses Vertrauen kann diese Regierung nicht zurückgewinnen. Ich sehe keine Möglichkeit dafür. Das ist eben das Problem, wenn Orban immer wieder sagt, wir haben Ohrfeigen gegeben, an die EU und an das Europäische Parlament. Diese Ohrfeigen kommen früher oder später zurück. Das wird nicht vergessen."

    Auch die Wähler, die Viktor Orban und seiner FIDESZ-Partei vor eineinhalb Jahren zu einer Zweidrittelmehrheit im Parlament verholfen haben, gehen offenbar zur Regierung immer mehr auf Distanz. Nach der jüngsten Umfrage sind mittlerweile 84 Prozent der Ansicht, dass Ungarn sich auf dem falschen Weg befindet. Weit mehr als die Hälfte der Befragten scheint von Politik generell die Nase voll zu haben und gibt an, bei der nächsten Wahl keiner Partei ihre Stimme geben zu wollen.