Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Ungarn
Das Wunder von Cserdi

Mindestens 700.000 Roma leben in Ungarn. Tief verwurzelter Hass schlägt ihnen entgegen, meist leben sie in bitterer Armut. Das will ein Bürgermeister aus dem Dorf Cserdi bei Pécs ändern. Er ist selber Rom und hat gemeinsam mit den Bewohnern seinen kleinen Ort zum Vorzeigemodell gemacht.

Von Stephan Ozsváth | 04.11.2014
    Der Bürgermeister von Cserdi, László Bogdán, hat viel in seinem Dorf verändert. Hier steht er vor selbst produziertem Gemüse aus dem Dorf.
    Der Bürgermeister von Cserdi, László Bogdán, hat viel in seinem Dorf verändert (AFP / Attila Kisenedek)
    Der Bürgermeister von Cserdi, einem 400-Seelen-Dorf im Südwesten Ungarns hält seinen Arbeitern eine Standpauke. László Bogdán ist sauer. Er kniet auf dem Boden und wühlt im sandigen Feld, kleine Kartoffeln zieht er heraus – offenbar haben die Arbeiter sie übersehen.
    "Was ist das?" schimpft der Rom. "Na, was schlagt Ihr vor – sollen wir eine Maschine kaufen, und Euch alle rausschmeißen?" - "Lieber noch mal durchgehen", schlägt eine der Feldarbeiterinnen kleinlaut vor.
    Erst jetzt ist László Bogdán zufrieden.
    "Ich bin seit 2006 Bürgermeister", sagt der resolute 41-Jährige, "davor hatten wir ungefähr 200 Einbrüche im Jahr. Heute ist es nur noch ein Drittel, und da reißen sie mir schon den Kopf ab. Wir haben jetzt ein Erholungsheim am Plattensee, 20 Hektar Wald, wir bauen auf 15 Hektar Gemüse an, und haben 3.000 Quadratmeter Gewächshäuser."
    Das Wunder von Cserdi – so nannte die Presse, was der Bürgermeister der kleinen Gemeinde aufgebaut hat.
    Bogdán schloss als Erstes die örtliche Kneipe, er baute eine Brücke zwischen Nicht-Roma- und Roma-Viertel, ließ Häuser rekonstruieren. Und das Wichtigste: Er brachte mit öffentlichen Mitteln seine Bürger in Arbeit. "Ich glaube nicht an eine Demokratie, in der man um Sozialhilfe Schlange steht, aber nicht um Arbeit", sagt er.
    Schuldscheine hängen sichtbar im Bürgermeisteramt von der Decke, in der Ecke steht ein großer Kontrabass für die Feste. Vor der Tür: ein Holocaust-Mahnmal, gebaut von Roma. In Bogdáns Büro beraten die Bürger mit ihm alle Fragen. "Wenn wir in sein Büro kommen, ist es, als ob wir nach Hause kommen", sagt Romni Gizella, auch sie kommunal beschäftigt.
    Bogdán will was in den Köpfen verändern
    Hier trinken sie zusammen Kaffee, hier reden sie, hier heckt Bogdán seine Projekte aus: Verhaltenstrainings im öffentlichen Nahverkehr oder den Knastbesuch als Schocktherapie. "Wir haben die jugendlichen Straftäter und die Erwachsenen besucht", erzählt Erzsi Márton. Das war schrecklich. Ich hätte das nicht gerne, dass meine Kinder oder ich dort wären.
    Mit jungen Romni-Mädchen fährt der Roma-Bürgermeister in die Universität Pécs, damit sie Bildungsluft schnuppern. Auch das macht offenbar Eindruck. "Ich würde gerne Abitur machen", erzählt eins der Mädchen, "meine Eltern haben das nicht". Im Dorf arbeiten sie als kommunal Beschäftigte. Und eine andere meint: "Es ist gut, zu lernen. Nur so wird man nicht automatisch Billiglöhner", sagt die Kleine.
    Auch in den Köpfen der anderen Ungarn – der Nicht-Roma – möchte der Bürgermeister von Cserdi etwas verändern. So fährt er mit Dorfbewohnern nach Budapest und verteilt Lebensmittel aus den eigenen Überschüssen an Bedürftige. "Schämen Sie sich nicht", ruft er den schüchternen Armen zu.
    Dem Bürgermeister von Cserdi geht es ums Helfen. Aber auch um die Schlagzeile: Roma helfen Armen. "Ich glaube: Das gute Beispiel erweckt in jedem wohlmeinenden Menschen Akzeptanz, und nicht Hass. Es ist eine Mahnung: Immer Mensch zu bleiben."