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Ungarn und die EU-Kommission
Gut zu sprechen auf Europa?

Nachdem der eigentliche Kandidat ausgeschieden ist, hat Ungarn mit Oliver Varhelyi einen neuen Namen für die EU-Kommission benannt. Das ändert allerdings nichts am Unmut der ungarischen Regierung: Sie kritisiert weiterhin das Auswahlverfahren.

Stephan Ozsváth im Gespräch mit Christoph Schäfer | 02.10.2019
Bisher Ungarns EU-Botschafter und bald vielleicht EU-Kommissar: Oliver Varhelyi
Bisher Ungarns EU-Botschafter und bald vielleicht EU-Kommissar: Oliver Varhelyi (imago stock&people)
Christoph Schäfer: Mit seiner möglichen neuen Chefin Ursula von der Leyen soll er schon gesprochen haben - Oliver Varhelyi, Ungarns EU-Botschafter. Varhelyi ist die neue Personalie aus Budapest für einen Sitz in der nächsten EU-Kommission. Denn den eigentlich angedachten Kandidaten aus Ungarn hatte der Rechtsausschuss des EU-Parlaments ja in den vergangenen Tagen gestoppt – wegen finanzieller Interessenkonflikte. Das war nicht nur ein Rückschlag für Ursula von der Leyen, sondern auch für den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán. Wie Ungarn nun auf die Entwicklungen im Auswahlverfahren für die EU-Kommission blickt, darüber spreche ich jetzt mit meinem Kollegen und Ungarn-Kenner Stephan Ozsváth in Wien. Warum geht die ungarische Regierung davon aus, dass sie mit ihrer neuen Nominierung nun mehr Erfolg haben wird?
Stephan Ozsváth: Na ja, Viktor Orbán hat es so formuliert, das sei eben ein Technokrat, kein politischer Kandidat, sprich, keiner aus dem Regierungsteam, wie ja der durchgefallene Lászlo Trócsányi, der war ja Justizminister, und damit ist Varhelyi auch keiner, der sich sozusagen die Finger hat schmutzig machen können, bei Trócsányi war das schwierig. Ich persönlich habe mich sehr gewundert, dass der überhaupt aufgestellt wurde, denn der war verantwortlich für die Knebelung der Nichtregierungsorganisationen, er war verantwortlich für dieses sehr umstrittene sogenannte Stop-Soros-Gesetzespaket, und er war auch mitverantwortlich für die Affäre Gruevski, wir erinnern uns, der ehemalige mazedonische Ministerpräsident hat ja Asyl in Budapest erhalten und das, obwohl er in seiner Heimat, in Nordmazedonien, wegen Korruption eigentlich schon verurteilt war, und da haben ungarische Diplomaten Gruevski dann mit Diplomatenfahrzeugen in die ungarische Hauptstadt gebracht. Also völlig klar: Trócsányi war indiskutabel.
"Ein beinharter Verhandler, ein loyaler Orbánist"
Schäfer: Was ist denn über die neue Kandidatur aus Ungarn bekannt?
Ozsváth: Also Oliver Varhelyi, Sie haben es ja schon angesprochen, ist EU-Botschafter seit einigen Jahren, vorher war er schon der stellvertretende Botschafter für die EU, das heißt, er kennt sich sehr gut aus. Er weiß, wie EU-Institutionen ticken, hat auch vorher schon in Ungarn quasi die Harmonisierung Ungarns mit der EU, also Gesetzgebungsverfahren et cetera, vorbereitet. Varhelyi ist 47 Jahre alt, Jurist, stammt aus Szeged in Südungarn, gilt als ausgesprochener Fachmann, also wirklich einer, der sich sehr gut auskennt, auch in diesem EU-Orbit. Aber, das sagen auch viele, er gilt auch als ausgesprochen schwierig, ein beinharter Verhandler, ein loyaler Orbánist, einer, der immer auf Sieg spielt und auch eigene Fehler gerne mal anderen ankreidet, so hört man von ihm, also von der Persönlichkeitsstruktur her, würde ich sagen, eher ein Pitbull. Meine Einschätzung: Das wird nicht einfach, den zu zähmen.
Schäfer: Der erste Kandidat aus Ungarn ist ausgeschieden, der neue ist in den Startlöchern. Welche Reaktionen ruft das in Ungarn hinsichtlich des Auswahlverfahrens denn hervor?
Ozsváth: Also Viktor Orbán, der Ministerpräsident, hat ja so reagiert, es ging ja zum Beispiel um das Thema Rechtsstaatlichkeit, und so hat man auch das Aussortieren Trócsányis begründet, da sagte Orbán, Rechtsstaatlichkeit sei eine Frage der Ehre und wenn man das Ungarn jetzt ankreide, verletze man die Ehre des Landes. Er spricht auch immer wieder davon, ein liberales Imperium, so nennt er Brüssel gerne, bekämpfen zu wollen. Also Orbán bedient hier den Opfermodus, wenn man so will, die beleidigte Leberwurst. Und interessant ist ja auch, für welches Portfolio der ungarische Kandidat, wer es jetzt auch immer wird, vorgesehen ist: Der wäre dann für Erweiterungen zuständig. Ungarn hat sich immer für eine schnelle Erweiterungsrunde auf dem Westbalkan ausgesprochen. Da kann man vermuten, dass es auch sehr eigene Interessen gibt. Ungarische Oligarchen investieren zum Beispiel in Medien in Mazedonien, jetzt Nordmazedonien, und in Slowenien, und featuren eben entsprechende Kandidaten wie zum Beispiel Janez Jansa in Slowenien.
Schäfer: Auch die eigentliche Anwärterin aus Rumänien ist ja ausgeschieden, aber neue Namen sind im Umlauf, Herr Ozsváth, ganz kurz: Um wen handelt es sich?
Ozsváth: Dan Nica, Europaparlamentarier, sitzt zum zweiten Mal im Europaparlament, früher mal Innenminister, und auch gegen ihn gab es Korruptionsermittlungen, die waren dann aber verjährt, deswegen wurden sie eingestellt. Er war schon mal im Gespräch gewesen, wurde aussortiert. Warum man ihn jetzt noch mal bringt, keine Ahnung. Die zweite, Melania-Gabriela Ciot, sie ist Europaministerin im Rang einer Staatssekretärin, und sie lehrt an der Universität Cluj-Napoca in Siebenbürgen internationale Beziehungen, und auch sie kennt sich bestens aus im EU-Orbit. Also das ist, glaube ich, eher eine gute Wahl.