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Ungarns Flüchtlingspolitik
Orbans Zaun und Brüssels Fragen

Ungarns Premierminister kommt heute nach Brüssel - ein Routinetermin, der angesichts der aktuellen Flüchtlingsdramen neue Brisanz erhält. Denn die Europäischen Institutionen betrachten mit Argwohn, wie Ungarn mit den Flüchtlingen umgeht. Vor allem wird Viktor Orban erklären müssen, wie das Land seine EU-Außengrenze schützt.

Von Annette Riedel | 03.09.2015
    Ungarische Arbeiter errichten an der EU-Außengrenze einen Zaun (24.08.2015).
    Ungarn will seine EU-Außengrenze mit einem Zaun schützen. (dpa / picture-alliance / AA)
    Der Besuch des ungarischen Premierministers Orban in Brüssel ist schon länger verabredet. Es gehört zu den Gepflogenheiten von EU-Kommissionspräsident Juncker regelmäßig Regierungschefs der 28 EU-Länder zu Gesprächen zu empfangen. Trotzdem wird es kein Routine-Besuch sein, der sich mehr oder weniger auf den Austausch von Nettigkeiten beschränkt, bestätige Junckers Sprecherin, Natasha Bertaud: "Natürlich findet dieser Besuch im speziellen Kontext der Flüchtlingskrise statt, mit der Ungarn konfrontiert ist. In den Gesprächen werden sämtliche Fragen in diesem Zusammenhang diskutiert und ausgelotet werden, wie die EU Ungarn zusätzlich unterstützen kann."
    Der Fragen gibt es aus europäischer Sicht viele an Ungarn. Eine der vielleicht sensibelsten ist die des Zauns, den Ungarn an der Grenze zu Serbien, einer EU-Außengrenze also, errichtet hat. Flüchtlinge, die über die sogenannte Westbalkan-Route in die EU kommen wollen, sollen aufgehalten werden. Die EU-Kommission positioniert sich dazu mit einem klaren Einerseits und Andererseits. In den Worten von EU-Migrations-Kommissar Avramopoulos klang das am Montag in Calais so: "Barrieren, Zäune - eine der größten Errungenschaften der europäischen Integration bleibt die Bewegungsfreiheit der EU-Bürger in Europa. Wir sind gegen alles, was sie behindert. Aber, ja, wir müssen auch die europäischen Grenzen schützen."
    Der Schutz der jeweiligen Außengrenze ist in Brüssel erwünscht, ist Teil der Vereinbarungen, mit denen im Schengen-Raum von 22 EU-Staaten und vier Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz zwischen-staatliche Grenzen faktisch abgeschafft sind.
    Vorwürfe an Deutschland weist die EU-Kommission zurück
    "Die EU-Kommission hat wiederholt gesagt, dass wir nicht glauben, dass Zäune die richtige Botschaft oder Mauern die Lösung für das Problem sein werden. Aber: Ungarn hat das Recht seine Grenzen so zu schützen, wie es das für richtig hält. Der Schutz unserer gemeinsamen Außengrenzen ist nationale Angelegenheit", versucht Junckers Sprecherin sich in der Übung, alles und nichts zum Thema 'ungarischer Grenzzaun' zu sagen. Aber nicht nur der Schutz seiner EU-Außengrenze ist Sache der Ungarn - auch, nach dem Dublin-System, die menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen und die korrekte Durchführung der Registrierung der Ankommenden. Beides kann oder will Ungarn erkennbar zurzeit nicht leisten.
    "Wir müssen verstärkt dafür sorgen, dass die Regeln des Schengen-Systems und des europäischen Asylsystems tatsächlich EU-weit angewandt werden", sagt EU-Kommisisions-Vize Timmermans. Vorwürfe von Ungarn und auch Österreich, dass Deutschland Asylbewerber geradezu anlocke, mit seiner Politik, Syrien-Flüchtlinge bis auf Weiteres nicht in die eigentlich zuständigen Länder zurückzuschicken, wo sie zuerst EU-Territorium betreten haben - solche Vorwürfe weist die EU-Kommission zurück. Deutschland mache lediglich von seinem in den Dublin-Regeln durchaus vorgesehenen Recht gebraucht, die Zuständigkeit freiwillig zu übernehmen. Im Gegenteil, so die EU-Kommission, sei dies ein Zeichen von gewünschter Solidarität mit überforderten Ländern wie Griechenland, Italien oder eben auch Ungarn.
    Europäische Empfangszentren in Ungarn?
    Ungarn kann mit weiterer Unterstützung aus Brüssel rechnen. Beantragt hat Budapest acht Millionen Euro, um seine Erstaufnahme-Kapazitäten auszubauen. Weitere tätige Unterstützung ist denkbar, sagt Avramopoulos: "Wenn notwendig, werden wir europäische Empfangszentren in Ungarn aufbauen, denn das Land ist ähnlich unter Druck wie Italien und Griechenland."
    In Italien gibt es bereits ein solches Empfangszentrum, 'Hot Spot' genannt. In Griechenland wird es in Kürze eines geben. Experten-Teams der EU-Grenzschutzagentur Frontex, der EU-Justizbehörde Europol und des EU-Asyl-Unterstützungsbüros sollen den überforderten Ländern helfen, die Flüchtlinge regelgerecht zu empfangen. "Die Teams werden bei der Bearbeitung der Asylanträge helfen und generell mit dem großen Zustrom klarzukommen sowie Fingerabdrücke zu nehmen."