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Ungemachte Betten

Mangelnde Schulbildung, Alkoholexzesse, ausufernde Sexualität, Kinderlosigkeit, Armut - Tracey Emin hat ihr Leben und Zeugnisse davon zur Kunst erklärt. Ihr berühmtestes Kunstwerk ist eine Installation "My Bed", die das gebrauchte Bett der britischen Künstlerin ausstellt. Das Kunstmuseum Bern widmet Tracey Emin eine Retrospektive - samt Bett.

Von Christian Gampert | 19.03.2009
    Das berühmte Bett, wenn man dann davorsteht, ist einfach nur ein schmuddeliges, verflecktes Laken mit zurückgeschlagener Bettdecke und einem hindekorierten Slip, davor ein Haufen Abfall, Alkoholika, Präservative, Tampons, Notizblöcke, Zigarettenkippen. Man ist erstaunlich wenig berührt von all dem, denn man hat Ähnliches schon außerhalb des Museums gesehen; man versteht auch die Aufregung nicht, die 1999 um diese Installation gemacht wurde, schon eher kann man den Frust der Museumsleute nachvollziehen, die jedes Einzelteil dieser Müllhalde mit Pinzette in Plastiktüten verpacken, wieder auspacken und das Ganze haltbar machen müssen.

    Angeblich hat Tracey Emin in diesem Bett gelegen und war tätig in ihm, angeblich wäre sie fast gestorben in diesem Bett, und egal, ob diese Legende nun stimmt oder nicht, es ist allemal clever gemacht: alle Welt kommt und guckt, auch wir; die Kuratorin nennt das Werk eine Ikone, der Museumsdirektor vergleicht es mit Courbets "L'Origine du Monde" und mit der Mona Lisa.

    So funktioniert der Kunstbetrieb, und so funktioniert Tracey Emin. Das kleine Mädchen mit türkischem Vater, das als 13-Jährige am Strand des südenglischen Margate vergewaltigt wurde und dann den Sex als Lebenselixier entdeckte, hat sich entschlossen, ihr Leben als Kunstwerk zu betrachten. Was daran wahr ist und was Fiktion, kann und will man nicht wirklich überprüfen; die Naivität und Geradlinigkeit, mit der Privatestes in Kunstobjekte übersetzt wird, spricht tatsächlich für traumatische Erfahrungen, allerdings auch für künstlerische Eindimensionalität.

    Die Retrospektive, die jetzt in Bern zu sehen ist, resümiert 20 Jahre dieses Schaffens. Tracey Emin hat eine Mode- und mehrere Kunstschulen besucht, sie weiß, was ein Konzept ist. Sie weiß, dass man sich am besten auf ein Thema beschränkt. So erfahren wir manches über eine triste Provinz-Jugend zwischen Disco, schnellem Sex und Fish and Chips; Emins künstlerische Fertigkeiten allerdings werden nur angedeutet. Denn die fahnengroßen, auf dem Kunstmarkt hoch gehandelten, mit Namen und Parolen verzierten Teppichstickereien, die Videos der ekstatisch, befreit tanzenden ("you make me feel real") oder ihre Wohnstätten abfilmenden Überlebenskönigin Tracey, die hölzerne Achterbahn(-des Lebens-)Installation und die herzigen Polaroid-Selbstportraits einer offenbar gerade sexuell erregten Künstlerin zeigen nur eines: ein weibliches Wesen zwischen Hilferuf und Selbstvermarktung. Oder? Tracey Emin:

    "Meine Arbeit scheint sehr offen zu sein. Und bis zu einem bestimmten Grad ist sie das auch. Aber ich war sieben Jahre auf der Kunstschule, und ich habe gelernt, was ich zeige und was nicht. Das hier ist kein Tagebuch, sondern ein Museum. Ich wähle aus, was das Publikum wissen soll und was nicht."

    Es scheint zu funktionieren. In Bern redet man ernsthaft darüber, dass Tracey Emin irgendwo zwischen Andy Warhol und Joseph Beuys anzusiedeln sei. Ihre eher ungelenk-mainstreamige Malerei sei von Cy Twombly inspiriert. Emins ausufernde Auseinandersetzung mit der Frage, ob man ein Kind haben oder doch abtreiben solle, kulminiert, nach vielen eng beschriebenen Tagebuchseiten, in einem Video, das Bezug nimmt auf Edvard Munchs "Schrei".

    Kunstgeschichte also allerorten. Wenn die 47-Jährige mit der handelsüblichen Verspätung zur Pressekonferenz erscheint, wird klar: hier kommt der Star, der professionell Medieninteressen bedient. Ihre Kernaussagen, im Zeitraffer: Sex sells. Art saved my life. I'm clever. I'm a troublemaker. I won't tolerate injustice. Stop analysing yourself - just live.

    In der Tat verführen die immerdar gespreizten Beine in ihren Selbstbildnissen nicht unbedingt zur Analyse. Es entsteht eher der Eindruck, hier kuriere sich jemand zwanghaft selbst - mit Hilfe der Öffentlichkeit. Derzeit scheint der Ausgang eher günstig: Emin sagt, sie lebe mit ihrer Katze, ihr Freund komme alle zwei Wochen zu Besuch. Seit zwei Jahren ist sie Mitglied der Royal Academy of Arts. Vielleicht gewinnt die Kunst ja doch noch die Oberhand in diesem Leben.