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Unglück als Medienereignis

Medien pochen nur zu gern auf ihre Berichterstattungspflicht. Ob bei einem bunten Massenspektakel, das reibungslos über die Bühne geht – oder erst recht bei einer Katastrophe, in der die Loveparade von Duisburg endete. Denn Katastrophen wie diese, um es stocknüchtern zu formulieren, bieten medial einfach mehr Material.

Von Klaus Deuse | 31.07.2010
    Lange über den Tag des Unglücks hinaus. Egal wie viel - oder gerade, weil so viel menschliches Leid damit verbunden ist. Doch wo beginnt und vor allem, wo endet diese objektive Pflicht zur Berichterstattung wie in diesem Fall? Allerspätestens am Unglücksort im Tunnel, wenn Rettungskräfte Schwerstverletzte versorgen und zu reanimieren versuchen. Hier gibt es keine Pflicht, die Kamera drauf zu halten, nur um TV-Sender mit vermeintlich spektakulären Bildern zu versorgen. Und Kamerateams, die nur Stunden später in Fernsehstudios mit schreckstarren Gesichtszügen noch atemlos berichteten, auch sie hätten um ihr nacktes Leben gebangt, da sie bei ihrer Arbeit im Duisburger Tunnel von aufgebrachten Menschen massiv bedrängt wurden, sei in ihr Stammbuch des aufklärenden Journalismus diktiert: In solchen Notfällen gebietet es schlicht der Respekt vor den Opfern, auf Distanz zu bleiben und die Rettungsdienste nicht zu behindern.

    Aber offenbar haben Medien aus vorher gegangenen Katastrophen diese humanitäre Lektion nicht gelernt oder ignorieren sie aus kommerziellen Gründen. Kaum hatte der Krisenstab die ersten Todesfälle bestätigt, lief auf den Bildschirmen eine geradezu geölte Medienmaschinerie an. Vor die Kameras geholt wurden wahllos sogenannte Augenzeugen, die zwar nichts gesehen, aber irgendwie was gehört haben wollten und das gar nicht schön fanden, dass deswegen die Loveparade beendet werden musste.

    Politiker äußerten sich früh fernab des tödlichen Geschehens bereitwillig über Umstände, die sie nicht kannten. Gegen Höchstgebote suchten Medien zudem Handybesitzer, die ein paar nichtssagende Videoaufnahmen gemacht hatten. Und fertig waren die ersten Katastrophenberichte für die Primetime-Sendezeit, ohne dass die Medien diese verifiziert haben konnten. Sozusagen Business as usual bei noch ungeklärten Ereignissen.

    Als sich allmählich das wahre Ausmaß abzeichnete, stand Duisburg fortan unter absoluter medialer Überwachung. Der Nachrichtensender n-tv beispielsweise schaltete am Morgen danach viertelstündlich zu einem Reporter, der einsam auf dem Vorplatz des Duisburger Rathauses stand und stets nichts Neues zu kolportieren wusste. Medien wollen und sollen zur Aufklärung von Ereignissen beitragen. Mit dem gebotenen Sarkasmus muss man aber im Fall der Duisburger Loveparade konstatieren, dass sich die Medien wie eine Biene gerierten, die den Nektar einer verwelkten Blüte bis zum letzten Tropfen auslutscht.

    Vorbehalte am Sicherheitskonzept wollen inzwischen fast jede Zeitung und jeder TV-Sender gekannt haben. Nur warum haben sie sich dann nicht zuvor kritisch an die Öffentlichkeit gewandt? Selbstverständlich hat die Staatsanwaltschaft unmittelbar die Ermittlungen auf der Suche nach potenziell Verantwortlichen übernommen. Doch es läuft längst eine öffentliche Großfahndung. Tagtäglich, bis hin zur Befragung von jedem Duisburger, der wenigstens in der Nähe des Todestunnels seinen Vorgarten pflegt. Nämlich in den Medien. Fatal aber wahr: bei Katastrophen wie bei der Loveparade in Duisburg handelt es sich für Medien um ein nur gelegentlich zu findendes Fressen, das unter kommerziellen Aspekten einfach großen Appetit auf eine möglichst ausgiebige Ausschlachtung macht. Unter dem Mantel der Anteilnahme und dem Anspruch, mögliche Verantwortliche an den Pranger zu stellen. Jedenfalls solange die Quote stimmt.