Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Uniklinik Münster sieht keine schweren Verstöße bei Transplantationen

Kontrolleure haben im Uniklinikum Münster in 25 Fällen von Organtransplantationen Richtlinienverstöße festgestellt. Davon erkenne man aber nur neun Fälle an, sagt der ärztliche Direktor der Klinik, Norbert Roeder. Die Richtlinien könnten unterschiedlich interpretiert werden.

Norbert Roeder im Gespräch mit Peter Kapern | 05.09.2013
    Dirk Müller: Der Organspendenskandal in Deutschland zieht weitere Kreise. Nicht nur in Göttingen, nicht nur in Leipzig oder auch in München, sondern die Uniklinik in Münster hat ebenfalls manipuliert, hat Ranglisten, hat Dringlichkeitslisten der Patienten geändert im Fall zahlreicher Lebertransplantationen. Mein Kollege Peter Kapern hat darüber mit Professor Norbert Roeder gesprochen, ärztlicher Direktor der Universitätsklinik in Münster.

    Peter Kapern: Herr Roeder, in Münster wurden 67 Fälle geprüft, und bei 25 davon hat die Kommission Richtlinienverstöße festgestellt. Machen bei Ihnen die Ärzte, was sie wollen?

    Norbert Roeder: Nein, das machen sie nicht. Die 25 Fälle sind festgestellte Richtlinienverstöße durch die Kommission, die wir in diesem Umfang aber nicht anerkennen. Die 25 Fälle muss man in zwei Gruppen teilen. Die eine Gruppe betrifft neun Fälle, diese neun Fälle sind Richtlinienverstöße, die sich bei rückblickender Betrachtung nicht mehr rechtfertigen lassen als richtige Meldungen an Eurotransplant. Eurotransplant ist die Vermittlungsorganisation, über die die Organe vermittelt werden. Und dort muss man die Meldung abgeben über den Zustand der Patienten, und über den Zustand wird dann letztendlich die Dringlichkeit der Organvermittlung festgestellt. Bei weiteren 16 Patienten sind jedoch die Richtlinienverstöße von uns nicht anerkannt worden.

    Kapern: Das heißt, Sie sprechen von nur neun Fällen.

    Roeder: Von neun Fällen, die wir anerkennen, und wo wir auch bedauern, dass es zu Richtlinienverstößen gekommen ist. Bei uns wurden allerdings abweichend von den anderen Zentren der Zeitraum 2007 bis 2013 überprüft. In diesem ganzen Zeitraum wurden 230 Lebertransplantationen am Universitätsklinikum Münster durchgeführt.

    Kapern: Gleichwohl, lassen Sie mich das noch mal aufgreifen, Sie sprechen von nur neun Fällen, die Kommission von 25 – das heißt dann doch aber mindestens, dass sich die deutsche Transplantationsmedizin nicht einmal darüber im Klaren ist, welche Regeln denn nun gelten?

    Roeder: Ja, weil die Richtlinien unterschiedlich ausgelegt werden, von der Kommission anders ausgelegt werden als von uns. Und wir meinen, dass wir uns richtlinienkonform verhalten haben und sind auch bereit, so etwas öffentlich zu diskutieren an den einzelnen Fällen und haben eine andere Sicht für diese 16 Fälle, als die Kommission sie hat.

    Kapern: Wie klärt man das denn? So kann das ja nicht weitergehen, dass es da eine unterschiedliche Regelauslegung gibt.

    Roeder: Indem man zunächst mal prüft, welche Regelauslegung richtig ist, oder ob die Regeln vielleicht so unscharf, so unpräzise formuliert waren, dass sie unterschiedlich ausgelegt werden konnten an unterschiedlichen Zentren. Man muss dieses Problem aber grundsätzlich lösen, indem man die Regeln so gestaltet, dass die gar nicht unterschiedlich ausgelegt werden können. Und da begrüßen wir sehr, dass der Gesetzgeber jetzt eine gesetzliche Regelung verabschiedet hat, die vorschreibt, dass die Regeln, nämlich diese Richtlinien, auch kommentiert werden müssen. Die müssen begründet werden, warum sind die Richtlinien wie gemacht worden, wie man das bei Gesetzen normalerweise auch macht. Und das schafft dann mehr Sicherheit für die Transplantationszentren in der Auslegung, der Interpretation der Richtlinien und auch der Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Richtlinien.

    Kapern: Welche Konsequenzen ziehen Sie am Universitätsklinikum in Münster?

    Roeder: Es handelt sich ja alles um alte Fälle, es handelt sich also nicht um Fälle aus dem Jahr 2012 oder aus dem Jahr 2013. Dort werden wir ganz sicher keine Richtlinienverstöße haben. Wir haben schon vor längerer Zeit Konsequenzen gezogen. Wir haben ein Transplantationsbüro, was diese Meldungen durchführt an Eurotransplant. Dieses Transplantationsbüro habe ich mir direkt unterstellt, also aus der Transplantationsmedizin quasi ausgegliedert, um es unabhängig zu machen. Wir haben elektronische Dokumentationen eingeführt, wo sichergestellt wird, dass alle an der Transplantation Beteiligten, das sind ja viele verschiedene Fachrichtungen aus der Medizin – Internisten, Chirurgen, Anästhesisten –, auch jederzeit über den Zustand der Patienten Bescheid wissen, und auch lückenlos dokumentiert ist, wie welche Informationen von den Ärzten über das Transplantationsbüro an Eurotransplant übergeben werden. Sodass wir auch in Zukunft immer nachweisen können, wo es, wenn es ein Problem gegeben hat, ein Problem gegeben hat und wer verantwortlich ist. Das können wir, konnten wir für die Vergangenheit leider nicht so dokumentiert darlegen.

    Kapern: In Göttingen steht ein Mediziner vor Gericht, der Transplantationen manipuliert hat. Hatten Sie auch schon Besuch vom Staatsanwalt?

    Roeder: Nein, das hatten wir nicht, und es wird auch in den Kommentierungen der Prüfungskommission ausgeschlossen, dass bei uns manipulativ oder mit krimineller Energie irgendetwas gemacht wurde. Wir sind deshalb auch sehr überrascht, dass wir in diese Gruppe der vier Zentren mit schwerwiegenden Verstößen eingruppiert wurden, weil wir uns nicht in dieser Gruppe sehen. Wir haben aber selber vor einigen Wochen schon die Staatsanwaltschaft informiert, weil es einen anonymen Hinweis gab auf Unregelmäßigkeiten, die auch überprüft wurden durch die Prüfungskommission, aber dieser anonyme Hinweis wurde komplett entkräftet. Und in dem Zusammenhang haben wir die Staatsanwaltschaft Münster informiert und gebeten, uns auch zu überprüfen.

    Kapern: Als die erste Welle von Manipulationen bei Transplantationen bekannt wurde, da brach die Zahl der Organspenden in Deutschland drastisch ein. Herr Roeder, gehen Sie davon aus, dass das jetzt auch wieder passiert?

    Roeder: Das ist schwer einschätzbar. Ich würde sagen, die Zahl der Organspenden ist in Deutschland verglichen mit anderen europäischen Staaten schon ziemlich am Boden. Ob die noch viel weiter einbrechen kann, weiß ich gar nicht. Ich finde das sehr, sehr bedauerlich, weil wir durch diese ganze Diskussion darüber – natürlich muss über Manipulation diskutiert werden, damit ich da nicht falsch verstanden werde, das möchte ich gleich klarstellen, aber die ganze Diskussion, die führt zu einer Verunsicherung und hat den sowieso niedrigen Stand der Organspenden in Deutschland eben noch weiter zurückgedrängt. Damit wird das Verteilungsproblem, das Organzuteilungsproblem ein noch größeres. Und immer mehr Menschen versterben auf der Warteliste.

    Müller: Mein Kollege Peter Kapern im Gespräch mit Professor Norbert Roeder, ärztlicher Direktor der Uniklinik in Münster.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.