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Unionspolitiker schlägt Betreuungsgeld nach regionalem Bedarf vor

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann kann sich vorstellen, das Betreuungsgeld nach dem Vorbild Thüringens regional einzuführen. Es gebe Landstriche, in denen das sinnvoll sei. In ihrer jetzigen Form sei die Leistung aber "schädlich".

Das Gespräch führte Peter Kapern | 23.04.2012
    Peter Kapern: "Eine Regierung, die ihre eigenen Beschlüsse nicht umsetzt, braucht man nicht." Das sagte der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer am Wochenende mit Blick auf das sogenannte Betreuungsgeld und er legte sogar noch mal nach.

    O-Ton Horst Seehofer: "Wenn ein Kompromiss nicht umgesetzt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch weitere Vereinbarungen nicht mehr zum Tragen kommen, und das wäre eine in der Tat sehr ernste Gefahr für eine Koalition."

    Kapern: Düstere Prognosen von Horst Seehofer. – Zerbricht die Koalition also vielleicht am Streit um das Betreuungsgeld, das sogar vom liberalen Partner als Herdprämie verspottet wird? Bei uns am Telefon der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann. Guten Morgen!

    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Wellmann, Sie gehören zu den Kritikern, fraktionsinternen Kritikern der Union, die angekündigt haben, dem Betreuungsgeld in dieser Form nicht zustimmen zu wollen. Haben Sie damit die Koalition an de Rand des Abgrunds geführt?

    Wellmann: Nein, überhaupt nicht. Horst Seehofer spricht ja auch von einem Kompromiss. Keiner von uns ist ja gegen familienpolitische Leistungen, dafür sind wir immer zu haben. Aber ich komme aus Berlin und ich weiß, zu welch negativen Folgen ein Betreuungsgeld hier bei uns und auch in anderen Ballungsgebieten führen würde.

    Kapern: Aber Horst Seehofer hat gestern auch beteuert, wer jetzt nachträglich noch etwas am bereits gefundenen Konzept für das Betreuungsgeld ändern wolle, der werde bei der CSU auf Granit beißen. Das klingt ja nicht so, als sei der noch auf Kompromisssuche.

    Wellmann: Ja, wissen Sie, ich bin ja meinen Wählern verpflichtet, meinen Wählern und meinem Gewissen verpflichtet, und wenn ich ein Vorhaben für schwierig halte, dann muss ich das sagen und dann wird es eine Diskussion in der Fraktion geben. Ich räume ja ein, dass es Landstriche in Deutschland geben mag, wo ein großes Bedürfnis nach so etwas besteht und wo es sinnvoll ist. Deshalb könnte man vielleicht über eine Regionalisierung nachdenken. Aber in der Form, wie es vorgeschlagen ist, halte ich das Betreuungsgeld für sehr schädlich.

    Kapern: Noch mal kurz zurück zu Horst Seehofer. Wenn der so etwas sagt, wie das, was wir da gerade gehört haben, dann muss aber die Lage doch sehr ernst sein?

    Wellmann: Wenn Horst Seehofer etwas sagt, hat das immer Gewicht, deshalb nehmen wir das auch ernst. Aber es fängt jetzt diese Woche die erste Sitzungswoche nach Ostern wieder an, wir werden das bei uns intern und in aller Freundschaft besprechen.

    Kapern: Jetzt müssen Sie uns noch erklären, wie man ein Betreuungsgeld regionalisiert.

    Wellmann: Nun, so was gibt es ja auch in Thüringen schon, und wenn in einem Bundesland ein schreiendes Bedürfnis bestünde für so ein Betreuungsgeld, dann mag es dort eingerichtet werden. Ich kann doch nur in meiner Verantwortung für meine Wähler in meinem Wahlkreis und in Berlin sprechen und sagen, für hier wäre es kontraproduktiv – nicht, weil wir gegen Familien sind, für Familien geben wir fast 200 Milliarden Euro im Jahr aus in der Bundesrepublik Deutschland. Also man kann nicht sagen, wir wären nicht familienfreundlich. Aber diese zusätzliche Betreuungsgeld-Maßnahme ist nach meiner Überzeugung jedenfalls nicht positiv.

    Kapern: Aber diese Regionalisierung, Herr Wellmann, von der Sie da sprechen, das wäre ja die Botschaft an den Koalitionspartner CSU, macht was ihr wollt, aber macht es in Bayern und zahlt auch selbst dafür.

    Wellmann: Wie gesagt, in Thüringen gibt es das auch und ich kann nicht für die CSU sprechen, ich kann für Berlin sprechen, unser Landesgruppenvorsitzender hat das auch unterschrieben, diesen Brief, um den es hier geht. Für Berlin hätte es negative Folgen.

    Kapern: Gäbe es denn noch andere Mittel und Wege, Ihnen das Betreuungsgeld-Konzept schmackhafter zu machen?

    Wellmann: Das werden wir besprechen. Es ist ja auch schon mal überlegt worden, ob wir mehr für Elternteile, die zuhause bleiben und ihre Kinder erziehen, tun, etwa bei der Rente. Aber ich glaube nicht, dass Barauszahlungen monatlich von den geplanten 150 Euro den Kindern zugutekommen. Darum geht es uns ja, mehr für die Kinder zu tun, und es gibt Untersuchungen in Berlin ganz jüngster Art, die sagen, Kinder, die in Einrichtungen waren, in Kindertagesstätten, Kindergärten, haben mehr Chancen in der Schule. Darum geht es mir.

    Kapern: Aber Horst Seehofer weist darauf hin, dass dieses Beharren darauf, dass kein Bargeld fließen soll, ein großes Misstrauensvotum gegen Eltern sei.

    Wellmann: Das halte ich für völlig abwegig. Ich habe eben gesagt, wir geben über 200 Milliarden Euro im Jahr - nach Untersuchungen des Familienministeriums - für Eltern in der Bundesrepublik Deutschland aus. Man kann nun wirklich nicht sagen, wir machen nichts für Eltern. Fast 50 Milliarden Euro jährlich Kindergeld und andere Leistungen mehr, also da müssen wir uns von niemandem Familienfeindlichkeit nachsagen lassen, ganz im Gegenteil. Ich habe selbst drei Kinder und weiß, wovon die Rede ist.

    Kapern: Nun haben Sie gerade das Stichwort Rente ins Gespräch eingebracht, Herr Wellmann. Das trifft sich möglicherweise ja mit dem Angebot, das da aus der Union, und zwar aus der Koalitionsführung lanciert wird, nämlich dass der Rentenanspruch von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, im Gegenzug für das Betreuungsgeld angehoben werden könnte. Wäre das schon ein gangbarer Weg für Sie?

    Wellmann: Das werden wir in der Fraktion vielleicht in dieser Woche schon besprechen. Aber ich denke nicht, dass wir das über die Medien tun sollten. Wie gesagt: Ich habe eben gesagt, dass bei der Rente man sich das eine oder andere vorstellen kann, aber das werden wir intern mit unseren Kollegen und Freunden besprechen diese Woche.

    Kapern: Aber wenn das ein Kompromissweg wäre, dann liefe das ja darauf hinaus, dass auf das Betreuungsgeld, das Sie so heftig kritisieren und das viel Geld kostet, noch eine andere familienpolitische Leistung oben draufgesattelt wird.

    Wellmann: Ich glaube, dass unser Finanzminister Schäuble gut daran tut, auf die Ausgaben zu achten, und wir werden alle miteinander in der Koalition sehr darauf achten, dass wir uns nicht überheben und jetzt nicht zusätzliche soziale Wohltaten ausgeben, die erstens nicht zielgenau sind, die zu Fehlsteuerungen führen, und deshalb werden wir intern in aller Freundschaft und Ruhe besprechen, ob man etwas tut und was man tut, und das werden wir natürlich auch mit den Freunden von der CSU machen.

    Kapern: SPD und Grüne, Herr Wellmann, planen eine Klage oder erwägen jedenfalls eine Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld, wenn es denn kommt. Teilen Sie rechtliche Bedenken, verfassungsrechtliche Bedenken bei dieser familienpolitischen Leistung?

    Wellmann: Ich habe das jetzt juristisch nicht untersucht. Ich finde auch, wir sollten da keine Rechtsanwaltsdiskussionen jetzt führen. Meine Überlegung, die meiner Kollegen war, welche Wirkungen hat dieses Betreuungsgeld, ist es positiv, sind die Wirkungen positiv oder negativ. Wir sind der Überzeugung, sie sind negativ, und aus den Gründen lehnen wir sie ab. Ob da verfassungsrechtlich noch was dran ist, mögen die anderen prüfen und mal Karlsruhe prüfen.

    Kapern: Und möglicherweise auch die Justizministerin. Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt auch, das Betreuungsgeld könnte gegebenenfalls verfassungsrechtlich schwierig sein.

    Wellmann: Dann nehmen wir das zur Kenntnis und Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist ja Mitglied dieser Regierung und wird dieses Argument innerhalb der Regierung vorbringen. Ich hoffe, sie hat es schon getan.

    Kapern: Karl-Georg Wellmann, ein betreuungsgeldkritischer Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag. Herr Wellmann, vielen Dank, dass Sie sich heute Früh Zeit für uns genommen haben.

    Wellmann: Danke Ihnen! Tschüss!

    Kapern: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.