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Unionsstreit zur Migrationspolitik
Ministerentscheid wäre "rechtlich nicht vollständig in Ordnung"

Innenminister Horst Seehofer hat damit gedroht, per Ministerentscheid seine Pläne für der Migrationspolitik durchzusetzen. Das ginge rechtlich nicht, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im Dlf. Die Kanzlerin könne sich auf ihre Richtlininenkompetenz berufen - dann bliebe Seehofer nichts anderes übrig als zurückzutreten.

Jürgen Falter im Gespräch mit Sarah Zerback | 14.06.2018
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Politikwissenschaftler Jürgen Falter sagt, Seehofer könnte nicht ohne weiteres einen Ministerentscheid durchsetzen (picture alliance / Erwin Elsner)
    Sarah Zerback: In die Analyse gehen können wir jetzt mit Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Uni Mainz. Guten Abend, Herr Falter!
    Jürgen Falter: Guten Abend!
    Zerback: Haben Sie die Union schon jemals so zerstritten erlebt?
    Falter: Ja. Ich bin ja schon etwas älter. In den 70er-Jahren gab es ja mal etwas Ähnliches. Da gab es die vorübergehende Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft. Das war zur Zeit von Franz-Josef Strauß, was aber dann wieder zurückgenommen worden ist. Anfang der 90er-Jahre gab es Überlegungen der CSU, ob sie bundesweit antreten solle. Nachdem sie aber festgestellt hat, dass dann die bayerische Staatsherrlichkeit, die Herrlichkeit der Staatspartei vorbei wäre, dann hat sie das wieder beerdigt, den Gedanken. Aber so klar, so zugespitzt hat man es doch selten erlebt.
    Zerback: Zumindest aus der CSU heißt es jetzt, wir stehen geschlossen hinter Horst Seehofer. Und die CDU, rückt die denn bei diesem Frontalangriff jetzt auch zusammen?
    Falter: Ja, sie ist schon zusammengerückt. Nach allem, was wir gehört haben, haben doch die meisten, die sich zu Wort gemeldet haben in dieser CDU-Klausur, die stattgefunden hat ohne die CSU-Abgeordneten, doch zu Gunsten von Merkel gesprochen. Man hat Angst, dass man die Bundeskanzlerin dann irreparabel beschädigt, dass das vielleicht sogar zu einem Sturz von Merkel führen könnte, und das schweißt zusammen.
    "Es gab ja nur so etwas wie eine Art Burgfrieden vor der Wahl"
    Zerback: Aber dieser irreparable Schaden, der ist noch nicht vonstattengegangen?
    Falter: Nein, ich glaube nicht. In der Politik ist ja doch sehr vieles möglich. Es war ja klar, dass Seehofer seine Meinung nicht deswegen ändert in der Flüchtlingsfrage, weil er Innenminister geworden ist. Das hat er die ganze Zeit mit sich herumgetragen. Es gab ja nur so etwas wie eine Art Burgfrieden vor der Wahl, damit man nicht die Wahlchancen völlig auf diese Weise kaputt gemacht hätte. Und jetzt, wo er in der Lage ist, etwas zu entscheiden, und wo die bayerische Landtagswahl vor der Tür steht, da möchte er tatsächlich dann doch klar seine Handschrift, seinen Stempel setzen, und da ist Angela Merkel nicht mit einverstanden.
    Zerback: Geht es der CSU nur darum, gegen die Kanzlerin mobil zu machen, oder ist das wirklich auch ein Streit in der Sache, eben um die Frage, ob an deutschen Grenzen abgewiesen werden soll oder nicht?
    Falter: Das ist eine Überlagerung von zwei Dingen. Es geht ganz eindeutig der CSU und Seehofer um die Sache, aber er vertritt das natürlich mit dieser Vehemenz, mit dieser Unnachgiebigkeit, weil es auch eine Machtfrage ist, weil es darum geht, wird die CSU in der Lage sein, noch mal eine absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen im Herbst einzufahren.
    Zerback: Angela Merkel will ja anders als Horst Seehofer tatsächlich eine europäische Lösung in der Sache auf dem Gipfel in zwei Wochen und spielt deshalb auf Zeit. Die CSU und Horst Seehofer, die wollen ja eine nationalstaatliche Lösung, am besten sofort. Ist das eigentlich die Konfliktlinie, gemeinsam mit Europa oder im Alleingang?
    Falter: Ich glaube, das ist in beiden Fällen überspitzt. Es ist ganz klar: Merkel will die europäische Lösung des Problems. Seehofer und die CSU möchten das auch. Sie sind aber sehr skeptisch, dass nach drei Jahren sich bisher kaum etwas getan hat, und möchten dann auf jeden Fall, dass die nationalstaatliche Lösung als ein Ausweg, als auch ein drohendes Schwert, das über den europäischen Verhandlungen hängt, verabschiedet wird, und das wäre auch die Möglichkeit eines Kompromisses, dass man sagt, okay, wenn in 14 Tagen nichts rauskommt, dann setzt die nationalstaatliche Lösung ein, die ja auch von anderen Staaten in Europa schon praktiziert wird. Das würde vielleicht sogar Angela Merkel helfen bei ihren Verhandlungen.
    Zerback: Sie glauben schon, dass die CSU der Kanzlerin jetzt diese zwei Wochen, die sie erbeten hat, noch geben wird?
    Falter: Ja, aber auf das Versprechen hin, auf jeden Fall – das muss auch ganz klar und deutlich sein -, wenn bis dann nichts geschieht, dass dann dieser eine Punkt des seehoferschen Maßnahmenkatalogs in Kraft gesetzt wird, und das bedeutet tatsächlich diese nationalstaatliche Lösung, dass an der Grenze zurückgewiesen wird, wer schon woanders als Asylsuchender registriert worden ist.
    "Das ist rechtlich nicht vollständig in Ordnung"
    Zerback: Diese Drohung von Horst Seehofer, dass er zur Not auch alleine vorpreschen würde, das wäre ja rechtlich in Ordnung, dieser sogenannte Ministerentscheid. Glauben Sie, soweit wird er nicht gehen?
    Falter: Ja gut, das ist rechtlich nicht vollständig in Ordnung, denn wenn Angela Merkel sich auf ihre Richtlinienkompetenz berufen würde, dann hat tatsächlich die Ministerentscheidung zurückzustehen. Der Kanzler bestimmt die Richtlinie der Politik. So steht es in der Verfassung. Das ist die Entscheidung dann, dass der Minister nicht von seinem Ministerrecht Gebrauch machen darf. So etwas hat es immer schon in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben, nur natürlich noch nicht in der Zuspitzung innerhalb eines parteipolitischen Lagers.
    Zerback: Und wird es das jetzt geben?
    Falter: Angela Merkel wird wahrscheinlich im Zweifelsfalle sich darauf berufen, und dann bliebe Seehofer eigentlich nichts anderes übrig, als zurückzutreten, beziehungsweise Angela Merkel müsste ihn dann entlassen, wenn er trotzdem versuchte, dagegen aufzustehen, und das wäre natürlich dann der Koalitionsbruch, wahrscheinlich auch der Bruch der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU.
    Zerback: Es läuft tatsächlich alles auf diese Frage hinaus, ob wir in zwei Wochen dann noch eine Regierung haben. Hält die das aus?
    Falter: Ja, die Regierung könnten wir immer noch haben. Angela Merkel hat ja auch die Möglichkeit, noch die Vertrauensfrage zu stellen, und da fehlten ihr, wenn SPD und CDU geschlossen für sie stimmten, ja nur zwei Stimmen, die bisher von der CSU kommen, und die könnte sie ja von anderen Parteien bekommen, von den Grünen oder von der FDP. Ich glaube, die Grünen haben sogar schon zu erkennen gegeben, dass sie dann für Merkel stimmen würden, weil Merkel ja deutlich ihrer Position näher ist, als das Seehofer ist.
    Zerback: Aus der SPD ist es ja im Moment recht still. Da heißt es nur, die Union, die soll sich mal einigen. Würde die denn eine weitere Verschärfung des Asylrechts überhaupt mitmachen?
    Falter: Das ist eine wirklich entscheidende Frage, die nicht geklärt ist. Es gibt natürlich in der SPD einen nicht geringen Teil von Abgeordneten und vor allem die konservativeren Abgeordneten des Seeheimer Kreises, die durchaus der CSU in dieser Frage nicht so unendlich fernstehen. Aber die SPD als Ganzes würde das vermutlich nicht mittragen, wenn es zu einer Kabinettsentscheidung käme. Wir haben ja auch noch das Kabinettsprinzip. Dann würde wahrscheinlich die SPD da nicht mitmachen, also nicht Seehofer pur.
    "Ich glaube nicht, dass das Führungsversagen ist"
    Zerback: Dass sie es so weit hat kommen lassen, dass diese Eskalation jetzt da ist, ist das Führungsversagen der Kanzlerin?
    Falter: Ich glaube, das spricht eigentlich dafür, dass das ihre innersten Werte berührt, dass sie sagt, ich kann nicht anders, ich muss so entscheiden, weil das humanitär begründet ist und weil es europäisch verlangt wird von mir. Ich glaube nicht, dass das Führungsversagen ist, sondern da versucht eine Kanzlerin, ihre eigene Meinung tatsächlich durchzusetzen, durchzustehen, selbst wenn der Wind ihr sehr stark ins Gesicht bläst.
    Zerback: Keine 100 Tage im Amt steht die Große Koalition auf der Kippe. Das Interview mit dem Politikwissenschaftler Jürgen Falter haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.