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Universität Hildesheim
Ein sicherer Hafen für verfolgte Künstler

Künstler, Literaten und Musiker sind in vielen Ländern von Zensur und Verfolgung bedroht, so wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Viele mussten ihre Heimat bereits verlassen. Die Universität in Hildesheim bietet ihnen künftig einen temporären Zufluchtsort an und appelliert an weitere deutsche Hochschulen, Schutzräume für sie zu schaffen.

Von Manfred Götzke | 01.09.2017
    in Mädchen geht durch eine zerstörte Straße in der Stadt Ayn Tarma in der Region Ghouta östlich von Damaskus
    Eine Kulturszene gebe es aufgrund des Krieges in Syrien nur noch im Exil, sagt einer der Teilnehmer (AFP / Abdulmonam Eassa)
    Abazaar Hamid Musa spielt "Genocide" - ein Reggaesong über ethnische Säuberungen, in Armenien, in Bosnien und in seinem Land. Sudan. Im Publikum der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin sitzen Kulturpolitiker, Menschenrechtler - und Künstler wie er. Verfolgte Künstler.
    Wegen Liedern wie diesem musste Musa den Sudan verlassen. 2008 war das, als das islamistische Regime mit Reitermilizen die schwarzafrikanischen Bevölkerungsgruppen massakrierte.
    "Der Genozid im Sudan ist ein Tabu, sobald du darüber sprichst, wirst du bedroht. Ich habe Sudan verlassen, um das Tabu in meiner Musik zu brechen. Wir Künstler sind im Sudan nicht die einzige verfolgte Gruppe, wir machen nur darauf aufmerksam: Es ist gefährlich, ein Kind zu sein im Sudan, es ist gefährlich, nicht-muslimisch zu sein, nicht Araber zu sein."
    99 Peitschenhiebe wegen Blasphemie
    Seit zehn Jahren lebt Musa nun im Exil, erst in Ägypten, seit zwei Jahren im hohen Norden Norwegens. Sein sicherer Hafen.
    "Wir verfolgte Künstler werden dort solidarisch behandelt, nicht nur toleriert. Es ist ein guter Ort, um neu anzufangen, vor allem für jemanden wie mich, der hungrig ist, Musik zu machen, nach acht Jahren Zensur. Mit der Zensur ist es ja so: Sie können Dir verbieten aufzutreten, aber nicht zu komponieren. Seit ich den Sudan verlassen habe, habe ich 150 Songs aufgenommen."
    Die 40 Musiker, bildenden Künstler, Literaten die in dieser Woche in Hildesheim und Berlin zusammengekommen sind, teilen Musas Erfahrungen. Für ihre Kunst haben sie ihre Freiheit, manche ihr Leben riskiert. Sind schließlich geflohen. Wie die junge iranische Dichterein Fatheme Efthesari. Sie wurde 2015 zu 99 Peitschenhieben und elf Jahren Gefängnis verurteilt - wegen "unmoralischen Verhaltens und Blasphemie". Was wirklich dahinter steckte, weiß sie bis heute nicht.
    "Meine Gedichte waren nicht mal besonders politisch. Die iranische Regierung überwacht Künstler, die etwas berühmter sind, wie ich. Und wenn du dann unabhängig bleiben und nicht mit ihnen zusammenarbeiten willst, setzen sie dich unter Druck. Werfen Dir vor, das Land schlecht zu machen, wenn du nicht alles rosarot zeichnest. Und wenn Du dann nicht mitspielst, sperren sie dich ein."
    Einen sicheren Hafen gefunden
    Nach 40 Tagen Isolationshaft kam sie auf Kaution frei - und floh über die Türkei nach Westeuropa, schließlich ebenfalls nach Norwegen. Verfolgung und Haft haben ihr Schreiben verändert, erzählt sie. Sie ist politischer geworden, kritisiert das Regime direkt.
    "Meine Fans finden meine Untergrundliteratur jetzt über Social Media. Aber es ist natürlich schwer, ich kann nicht für sie werben, nicht richtig veröffentlichen. Ich lebe jetzt in Social Media - mit meinen Freunden und Fans."
    Die meisten verfolgten Künstler hier haben ihren "safe haven", ihren sicheren Hafen in Skandinavien gefunden, sagt die Kulturwissenschaftlerin Nele Tast, die die Konferenz mitorganisiert hat. Deutschland hätte da vieles nachzuholen.
    "In Deutschland ist das noch nicht verbreitet, dass es diese Künstlerresidenzen gibt. Und das ist auch das Anliegen unserer Konferenz, dass es auf Tagesordnungspunkt eins auf die deutsche Agenda kommt. Skandinavien ist uns da weit voraus, da gibt es viele Residenzen und auch eine Anerkennung in der Gesellschaft, dass es wichtig ist, für Künstler, die woanders bedroht sind, in der Gesellschaft einen Schutzraum zu schaffen."
    Die deutschen Universitäten, aber auch Theater und Museen sollten eine Strategie für verfolgte Wissenschaftler und Künstler entwickeln und ihnen Schutz gewähren, fordert sie. Ihre Hochschule, die Uni Hildesheim, will 2018 immerhin eine Residenz für verfolgte Künstler einrichten.
    Syrische Kulturszene nur noch im Exil
    Der Künstler Khaled Barakeh hat seine Heimat Syrien 2005 verlassen. Damals noch mehr oder weniger aus freien Stücken, um unabhängig von den Zwängen und Tabus des Regimes arbeiten zu können.
    "Auch damals konnten wir uns nicht frei ausdrücken, weder in der Kunst noch sonst wie, es gibt drei Tabus, die Du in Syrien nicht berühren darfst, Politik, Sex Religion – aber worüber will man sonst sprechen? Ich fühlte mich da entfremdet."
    Barakeh sieht sich als Weltbürger, er hat mittlerweile auf der Biennale in Schanghai, in Istanbul, Neuseeland und Frankfurt ausgestellt. Und doch ist Deutschland zu seinem Exil geworden, zurück nach Damaskus kann er auf absehbare Zeit nicht mehr. Wie Tausende andere syrische Künstler, die nach ihm das Land verlassen haben. Die syrische Kulturszene existiere eigentlich nur noch im europäischen Exil, erzählt Barakeh. Er versucht, die vertriebenen syrischen Künstler wieder zusammen zu bringen, zumindest im Netz.
    "Ich habe eine Plattform entwickelt, eine Art Online-Museum, um unsere kulturelle Identität zu erhalten. Denn wir verlieren sie, wir sind überall in der Welt und unsere künstlerischen Traditionen lösen sich in den neuen Gesellschaften auf. Wir Syrer verlieren das, was man kulturelles Erbe nennt."