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Unmut in Afghanistan
"Warum gibt es in unserem Land keine Sicherheit?“

Ashraf Ghani Ahmadzai ist seit Herbst 2014 Präsident Afghanistans. Mit seinem Amtsantritt waren große Hoffnungen verbunden. Inzwischen macht sich Ernüchterung breit. Die Sicherheitslage im Land hat sich verschlechtert, viele Menschen sehen kaum noch Zukunftsperspektiven für sich.

Von Sandra Petersmann | 02.12.2015
    Der afghanische Präsident Ghani spricht Ende Mai 2015 während einer Pressekonferenz in Kabul in Mikrofone.
    Afghanistans Präsident Ghani kann die Erwartungen offenbar nicht erfüllen. (picture alliance / dpa / Hedayatullah Amid)
    Die Menschen sind wütend auf Ashraf Ghani. Es ist Mitte November, ein nasskalter Tag im politischen Herzen Kabuls. Rund 20.000 Demonstranten haben sich vor dem Präsidentenpalast versammelt. Einige werfen Steine. Sicherheitskräfte schießen in die Luft. Die Menschen an der Spitze des Demonstrationszuges tragen sieben Särge auf ihren Schultern. Die Opfer, die in den Särgen liegen, wurden von Extremisten aus einem Reisebus gezerrt und geköpft.
    "Wir verlangen, dass der Präsident zu uns kommt und uns erklärt, warum diese Menschen sterben mussten. Warum gibt es in unserem Land keine Sicherheit?"
    Wunsch nach einem normalen Leben
    Es war die bisher größte Demonstration seit dem Sturz der Taliban. Es gelingt Präsident Ashraf Ghani heute kaum noch, eine Zukunftsperspektive zu vermitteln. Bevor er im September 2014 Präsident wurde, hatte er den Aufbruch in bessere Zeiten versprochen. Viele Menschen hatten ihm das Versprechen abgenommen.
    "Wir wollen in Frieden leben. Wir wollen eine normale Nation sein. Wir wollen mit unseren Kindern und Enkelkindern spazieren gehen können. Wir wollen, dass die Soldaten gehen und dass die Touristen kommen. Die Menschen in Afghanistan haben ihr Leben riskiert, um zu wählen. Jetzt erwarten sie zu Recht von uns, dass wir ehrliche Arbeit abliefern. In dem wir für Sicherheit, Frieden, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sorgen. Unsere Aufgaben heißen Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und gute Regierungsführung."
    Der Frust wächst
    Doch von all dem ist das Land heute weit entfernt. Der Vertrauensverlust ist so groß, dass Afghanistan einen neuen Exodus erlebt. Es ist der vierte in der jüngeren Geschichte des Landes. Die erste Massenflucht wurde durch die sowjetische Besatzung ausgelöst, die zweite durch den Bürgerkrieg, die dritte durch das Taliban-Regime. Der internationale Militäreinsatz unter Führung der USA hat Afghanistan nicht befriedet. Ein junger Soldat, der gerade eine Offiziersausbildung absolviert, fragt sich, für was er eigentlich kämpft.

    "Als die Welt vor 14 Jahren nach Afghanistan kam, hieß es, dass sie uns den Frieden bringen. Aber es herrscht Krieg. Vor 14 Jahren sind hier weniger Menschen gestorben. Weiß deine Regierung in Deutschland, gegen wen wir kämpfen? Weiß unsere Regierung, wer unser Feind ist? Wir sind verunsichert."
    Ein junger afghanischer Soldat.
    Der afghanische Soldat Bakhtullah ist mit der Lage in seinem Land unzufrieden. (DLF / Sandra Petersmann)
    Afghanistan ist auf Hilfe von Außen angewiesen
    Die Zahl der getöteten Zivilisten steuert auf einen neuen Höchststand zu. Auch die afghanischen Sicherheitskräfte erleiden hohe Verluste. Die Taliban kontrollieren rund ein Drittel aller Distrikte. Lokale Milizenführer, die als Partner des Westens reich und mächtig geworden sind, buhlen in anderen Regionen um die Macht. Mit dem selbst ernannten Islamischen Staat ist ein neuer Akteur auf das afghanische Schlachtfeld gezogen. Den Staat erleben viele Bürger als korrupt oder als ganz abwesend. Die Lage ist so ernst, dass die USA und ihre Partner wie Deutschland entschieden haben, länger als geplant und mit mehr Soldaten im Land zu bleiben.
    "Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, bin ich kalt wie Eis."
    Afghanistans Präsident Ashraf Ghani hat lange für die Weltbank gearbeitet und ein Buch über den Wiederaufbau gescheiterter Staaten geschrieben. Afghanistan gehört in diese Kategorie. Der kaputte Staat, den der 66-jährige aufbauen will und soll, ist finanziell und militärisch komplett vom Ausland abhängig. Vor allem von den USA.