Dienstag, 19. März 2024

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UNO fordert eine Agrarwende
"Kleinbauern stärker unterstützen"

Kleinbauern spielten eine sehr wichtige Rolle bei der Nahrungsmittelversorgung, sagte Dominik Ziller vom Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung im Dlf. Sie würden deutlich weniger zum Klimawandel beitragen, aber am stärksten darunter leiden.

Dominik Ziller im Gespräch mit Jule Reimer | 26.07.2021
Aethiopisches Liebesgras, Teff-Getreide, Teffgetreide (Eragrostis tef), einheimische Frau sammelt Garben von Teff zum Dreschen, Hawzien, Aethiopien, Tigray, Gheralta | Teff (Eragrostis tef), local female farmer collecting sheaves of Teff for threshing, Hawzien, Ethiopia, Tigray, Gheralta
Niemand habe den Lebenstraum, Kleinstbauer zu sein und von der Hand in den Mund zu leben, sagte Ziller im Dlf. (blickwinkel / dpa)
Im September will UN-Generalsekretär António Guterres auf einem großen internationalen Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs dieser Erde die Sicherheit unserer Ernährungssysteme diskutieren. In Rom hat dafür heute ein dreitägiger Vorbereitungsgipfel begonnen, an dem Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und auch Dominik Ziller teilnehmen. Ziller ist Vizepräsident des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD).
Im Dlf-Interview sagte er, dass Kleinbauern eine wichtige Rolle bei der Versorgung spielen würden. Diese müssten sich mit dem Klimawandel und neuen Anbautechniken auseinandersetzen, würden selber aber deutlich weniger zum Klimawandel beitragen. Kleinbauer bekommen nach Angaben von Dominik Ziller noch nicht einmal zwei Prozent der Mittel, die insgesamt für die Anpassung an den Klimawandel weltweit zur Verfügung gestellt werden. "Das ist die eigentliche Revolution, dass man die Leute besser mit Finanzmitteln ausstattet", sagte Ziller im Dlf.
Niemand habe den Lebenstraum, Kleinstbauer zu sein und von der Hand in den Mund zu leben. "Natürlich wollen die Leute alle auch ihre Unternehmen vergrößern, wollen eine gesicherte wirtschaftliche Perspektive haben, und die Erfahrung lehrt, wenn man das schafft, Wertschöpfungsketten aufzubauen, dann prosperieren nicht nur die einzelnen Bauern, sondern dann wird der gesamte ländliche Raum gestärkt", betonte Ziller.
Die Pandemie habe zudem gezeigt, dass auch "schwerwiegende gesundheitliche Herausforderungen die Versorgungssicherheit gefährden können", so Ziller.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Reimer: Wieso mahnt die UNO jetzt so dringlich eine Art Agrarwende an, um die Sicherheit der Ernährungsversorgung zu gewährleisten?
Dominik Ziller: Da gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen sind gerade die kleinen Erzeuger, die 60 Prozent der Nahrungsmittel auf der Welt herstellen, in manchen Ländern sogar 80 Prozent der Versorgung gewährleisten, immer stärker mit dem Thema Klimawandel auseinandergesetzt, wo sie neues Saatgut brauchen, neue Anbautechniken brauchen.
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Zum anderen hat die Pandemie gezeigt, dass auch schwerwiegende gesundheitliche Herausforderungen die Versorgungssicherheit gefährden können. Und dann – und das ist eine besonders schwierige Herausforderung – sehen wir, dass immer mehr Fragilität, Konflikte, bewaffnete Auseinandersetzungen in einzelnen Ländern natürlich auch starke Auswirkungen auf die Ernährungssicherung, auf die Nahrungsmittelversorgung haben.
Reimer: Sie sagen, die Kleinbauern spielen eine sehr wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle bei der Versorgung, wenn man es als Ganzes anguckt. Heißt denn dann zum Beispiel Agrarwende – Sie sind ja als Fonds vor allen Dingen in Afrika aktiv – Abschied von den Zielen der Alliance for a green Revolution in Africa (AGRA)? Das war ja das Projekt von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan, der eine weitere grüne Revolution in Afrika wollte, und die ist ja eher industriell orientiert.
Ziller: Wir sehen bei den Kleinbauern, dass sie bei gleichem, wenn nicht höherem Ertrag, als eher industriell wirtschaftende Landwirtschaft, deutlich weniger zum Klimawandel beitragen, und das hängt damit zusammen, dass sie die unterschiedlichen Sorten, die angebaut werden, auf andere Art und Weise in der Abfolge anbauen, dass sie weniger stark auf industriellen Dünger zurückgreifen, dafür mit besonderem Know-how unterwegs sind, was gerade auf ihren kleinen Anbauflächen die beste Methode ist, um große Erträge zu erzielen.
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Insofern finde ich, einer Industrialisierung das Wort zu reden, ist sicherlich schwierig. Was wir aber tun müssen ist, diese Kleinbauern stärker zu unterstützen, weil sie diejenigen sind, die am stärksten unter dem Klimawandel leiden, aber am wenigsten von den Mitteln zur Verfügung bekommen - noch nicht einmal zwei Prozent der Mittel, die insgesamt für die Anpassung an den Klimawandel weltweit zur Verfügung gestellt werden. Das ist die eigentliche Revolution, dass man die Leute besser mit Finanzmitteln ausstattet.

Wertschöpfungsketten in ländlichen Gebieten aufbauen

Reimer: Ihr Fonds ist eine internationale Finanzinstitution. So wie die Weltbank zum Beispiel vergeben Sie Kredite oder auch Zuschüsse, Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden. Was ist Ihr Part dabei?
Ziller: Unser Partner in der Umsetzung der Projekte sind die Regierungen der Empfängerländer, mit denen wir gemeinsam, aber unter Federführung dieser Regierungen die Projekte umsetzen, die sich richten an die ärmsten Regionen, also an die ländlichen Gebiete, die gestärkt werden müssen, wenn man einer Urbanisierung nicht Vorschub leisten will, die am Ende dazu führt, dass auch eine Verslumung stattfindet, weil viele gerade junge Leute das Gefühl haben, wenn sie in die großen Städte gehen, haben sie bessere wirtschaftliche Perspektiven, und wenn sie dort ankommen, stellen sie häufig fest, dass das nicht der Fall ist. Auch deswegen sprechen wir ja von Ernährungssystemen.
Es geht nicht nur um den Anbau von Mais oder Getreidesorten, sondern es geht auch darum, wie kann man in den ländlichen Gebieten Wertschöpfungsketten aufbauen, dass auch die Nahrungsmittel, die Rohnahrungsmittel verarbeitet werden, dass man auch exportfertige Güter vor Ort zur Verfügung stellen kann. Weil niemand hat den Lebenstraum, Subsistenzbauer zu sein, Kleinstbauer zu sein und von der Hand in den Mund zu leben. Natürlich wollen die Leute alle auch ihre Unternehmen vergrößern, wollen eine gesicherte wirtschaftliche Perspektive haben, und die Erfahrung lehrt, wenn man das schafft, Wertschöpfungsketten aufzubauen, dann prosperieren nicht nur die einzelnen Bauern, sondern dann wird der gesamte ländliche Raum gestärkt.
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Reimer: Misereor, Brot für die Welt, die Arbeitsgemeinschaft für bäuerliche Landwirtschaft und noch weitere deutsche Nichtregierungsorganisationen, die im entwicklungspolitischen Bereich aktiv sind, werfen den Organisatoren des Gipfels vor, sie würden Systeme zusammenbringen, die nicht zusammen passen, nämlich zum Beispiel, dass das Machtgefälle zwischen Agrarkonzernen und kleinen und mittelständischen Lebensmittelerzeugern viel zu groß ist, als dass da eine produktive Entwicklung herauskommen kann.
Ziller: Das würde ich so nicht stehen lassen wollen. Wir haben von Seiten IFADs mehr als 40 nationale, regionale, globale Dialoge organisiert, die von den Kleinbauern-Vereinigungen, von den Vereinigungen Indigener bestimmt wurden und wo wir gerade den Endkunden intensiv zugehört haben. Und wenn ich sage, natürlich ist es niemandes Lebenstraum, Kleinstbauer, Subsistenzbauer zu sein, dann gilt auf der anderen Seite, diese Kleinbauern sind so weit davon entfernt, industrielle Landwirtschaft zu betreiben, dass eine Vergrößerung des Betriebes – hier reden wir davon, dass statt einem Hektar vielleicht zwei, drei, vier Hektar bewirtschaftet werden – für diese Leute schon ein absoluter Quantensprung ist. Daher geht es eher darum, hier zum Beispiel über zinsgünstige Kredite, die zur Verfügung gestellt werden müssen, den Leuten behilflich zu sein, zusätzliche Institutionen zu tätigen, und da geht es dann nicht um den Kauf eines Mähdreschers, sondern im Zweifel darum, eine Parzelle zusätzlich zu kaufen oder einen besseren Zugang zu den Märkten zu haben, indem man ein kleines Motorrad kauft, mit dem man Dinge zum Markt bringen kann, und Ähnliches.
Reimer: In welche Richtung geht denn dann die Produktion? Die Nichtregierungsorganisationen sagen, die Kleinbauern fahren mit agrarökologischen Modellen besser, wo sie zum Beispiel die Möglichkeit haben, ihr Saatgut selber zu entwickeln. Wenn Saatgut gekauft wird, dann muss man auch direkt Nachbaugebühren bezahlen beziehungsweise darf das Saatgut im nächsten Jahr möglicherweise gar nicht erneut verwenden. Und, dass solche Modelle, die in Verbindung mit den Agrarkonzernen immer die Gefahr bergen, dass letztendlich die Leute in Verschuldung landen, wenn mal was schiefgeht, weil das Wetter nicht mitspielt oder Ähnliches.

"Für extreme Wetterereignisse Versicherungen anbieten"

Ziller: Na ja. Deswegen ist es wichtig, dass man die Anpassung an den Klimawandel nicht aus den Augen verliert, und es gibt zum Beispiel – Sie haben es angesprochen – Saatgut, was mit Trockenheit oder höheren Temperaturen besser zurechtkommt. Ich würde jetzt nicht sagen, dass jeder Bauer oder jede Kleinbauern-Vereinigung sich jetzt selber in die Gentechnik begeben sollte und versuchen sollte, solches Saatgut herzustellen.
Reimer: Sollten sie überhaupt Gentechnik nutzen, weil noch haben wir ja diese trockenresistenten Sorten nicht, und im Bereich früherer Versuche, dieser goldene Reis, Vitamin A, das ist ja auch alles nicht so richtig erfolgreich gewesen, aber teuer.
Ziller: Ja! Aber da sprechen wir nicht über Gentechnik; dann sprechen wir über Züchtung von neuen Sorten, von resistenteren Sorten. Ich glaube auf der einen Seite nicht, wie gesagt, dass das jede Kleinbauern-Vereinigung selber in die Hand nehmen muss. Auf der anderen Seite – Sie haben das Problem angesprochen: Wenn man Saatgut kauft, was nur einmal verwendet werden kann, sei es, dass es hinterher Lizenzgebühren zu entrichten gäbe, wenn man es weiter nutzen wollte, sei es, dass das Saatgut schon von Haus aus so angelegt ist, dass es nur eine Ernte generiert und man dann diese Ernte nicht erneut als Saatgut verwenden kann, dann entstehen natürlich Abhängigkeiten. Das kann auch nicht die Lösung sein.
Das Verschuldungsrisiko kann man minimieren, wenn man den Kleinbauern zum einen zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellt über staatliche Entwicklungsbanken oder auch über strukturierte Fonds mit Mikro-Krediten. Zum anderen muss man natürlich für extreme Wetterereignisse entweder Versicherungen anbieten oder staatliche Hilfen zur Verfügung stellen, wenn so was passiert.

"Wir finanzieren nicht nur Investitionsprojekte"

Reimer: Können Sie als IFAD auf die Inhalte oder die Rahmenbedingungen ein bisschen Einfluss nehmen, oder sagen Sie, das ist eine Frage der Souveränität auch der Regierungen, mit denen wir zusammenarbeiten?
Ziller: Na ja, wir sind natürlich auch eine Art Bank, eine internationale Entwicklungs-Finanzorganisation. Aber wir finanzieren nicht nur Investitionsprojekte, sondern wir leisten auch Beratung. Das, was in Deutschland die GIZ machen würde, die sogenannte technische Zusammenarbeit. Über diese Beratung versuchen wir natürlich auch, Regierungen zu stärken, die Landwirtschaftspolitik nachhaltiger auszugestalten und stärker auch gerade die Kleinbauern und gerade die ärmsten Regionen, die ländlichen Regionen zu fördern.
Reimer: Sie bekommen auch Geld vom Bundesministerium für Entwicklung. Inwieweit gibt es da Vorgaben? Das BMZ finanziert ja auch, ist auch bei AGRA mit als Finanzier im Spiel, bei dieser Allianz für eine grüne Revolution in Afrika. Spielt das eine Rolle bei der Richtung, in die Sie beraten?
Ziller: Ich möchte erst mal sagen, IFAD muss sich sehr bei der Bundesregierung bedanken, denn Deutschland ist im Moment unser größter Sponsor, unser stärkster Finanzier. Wir bekommen von Deutschland einen Beitrag zu unseren sogenannten Kernbeiträgen. Alle drei Jahre gibt es eine sogenannte Wiederauffüllung, bekommt IFAD neues Geld, weil wir – Sie haben es angesprochen – ja auch einen Gutteil über Zuschüsse vergeben. Das heißt, da braucht es dann frisches Geld, damit neue Zuschüsse vergeben werden können. Diese Kernbeiträge gibt es ohne jede Auflagen. Deutschland bestimmt aber über seinen Sitz in unserem Exekutivdirektorium darüber mit, was mit dem Geld passiert. Da werden alle Projekte zur Abstimmung gestellt und im Regelfall auch im Konsens beschlossen mit allen Ländern, die in diesem Exekutivdirektorium vertreten sind.
Daneben bekommen wir von Deutschland auch ganz gezielte Beiträge für bestimmte Projekte, zuletzt im Haushalt dieses Jahres Mittel zum Beispiel für ein Projekt im Regenwald in Brasilien, dass wir eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung des Regenwaldes ermöglichen für die Indigenen, ohne dass der Regenwald abgeholzt wird – unter dem Gedanken der Nachhaltigkeit, glaube ich, ein wirklich wegweisendes Projekt. Das heißt, BMZ, aber auch andere unserer Sponsoren haben bei uns immer die Möglichkeit, entweder zu sagen, Kernbeitrag, damit könnt ihr eure regulären Programme finanzieren, oder ganz gezielt, wir haben eine Projektidee, wir haben was, was wir machen wollen, dafür gibt es noch mal gesondert extra Geld.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.