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UNO-Vollversammlung
"USA müssen Putin auf Augenhöhe akzeptieren"

Putin habe sich als eine neue Regionalmacht im Nahen Osten positioniert, während die USA mit ihrer Syrien-Strategie gescheitert seien, sagte der Politikwissenschaftler Christian Hacke im DLF. Um den Krieg zu beenden, "müssen sich die USA darauf einlassen, mit Assad zu sprechen und vor allem Putin auf Augenhöhe zu akzeptieren".

Christian Hacke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.09.2015
    US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin während eines Treffens der G-8-Gruppe in Irland.
    "Obama ließ durchsickern, dass er eigentlich nur Verachtung für Putin hat", sagte der Politologe Christian Hacke im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Archivbild 2013) (imago/Kyodo News)
    Tobias Armbrüster: Bei der UNO in New York beginnt heute die jährliche Vollversammlung. Das ist ein Stelldichein von Regierenden aus aller Welt, eigentlich ein Standardtermin. In dieser Woche könnte es dabei aber wirklich spannend werden, denn in vielen Hauptstädten der Welt wächst die Sorge über den Krieg in Syrien und über die internationalen Folgen. Nach über vier Jahren scheint einfach nur Zuschauen bei diesem Blutvergießen keine Option mehr zu sein. Auch Angela Merkel hat vergangene Woche international für Überraschung gesorgt mit ihrer Andeutung, dass man notfalls auch mit Assad reden müsse, um diesen Krieg zu beenden. Alle Augen sind nun heute nach New York gerichtet. Dort treffen sich auch die beiden Präsidenten Obama und Putin. Ohne beide zusammen - da sind sich eigentlich alle einig - kann es keine internationale Initiative für ein Ende dieses Konflikts geben. Aber beide Mächte sind noch immer weit voneinander entfernt. Mitgehört hat Christian Hacke, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Schönen guten Tag, Herr Hacke.
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Professor Hacke, wenn sich Obama und Putin heute treffen, was erwarten Sie von diesem Zusammentreffen?
    Hacke: Das ist doch mal sehr realistisch zu sehen. Die Amerikaner wollen sich natürlich nicht in eine Initiative einordnen, die von Russland geführt ist, und wir werden das in den nächsten Tagen in der UNO erleben, dass Putin sich sehr selbstbewusst präsentieren wird und natürlich seine Rolle im Nahen Osten deutlich darstellen will. Und auf der anderen Seite - das klang in Ihrem Bericht aus New York an - ist natürlich die westliche Politik in Syrien völlig gescheitert. Wir haben hier eine Situation, wie sie schlechter gar nicht sein könnte, und Präsident Obama und seine Regierung ist zerstritten in sich selbst und völlig ratlos.
    "Der Krieg muss eingedämmt werden"
    Armbrüster: Was sollte getan werden?
    Hacke: Ich glaube, zunächst ist es natürlich wichtig, dass Deutschland auch seine Mittlerrolle versucht, und zwar in der Hinsicht, dass es irgendeine Lösung geben muss, dass die Amerikaner ohne ihr Gesicht zu verlieren gemeinsam sich auf eine Linie mit Putin und Russland einigen, und der Knackpunkt ist natürlich die Situation von Präsident Assad von Syrien. Es gab schon einmal vor zwei, drei Jahren russische Initiativen, die andeuteten, dass man vielleicht eine Lösung finden könnte, dass zwar das Regime bleibt, aber Assad nach einer Übergangszeit auch abtritt. Aber wie gesagt: Das ist das Entscheidende. Doch bisher ist die westliche Strategie, sowohl den IS zu bekämpfen als auch Assad hinwegzufegen, völlig gescheitert und es bleibt nur der Weg - und das ist keine Option, das ist nur die Wahrheit zwischen schlimm und schlimmer - zu sagen, gut, zeitweise jetzt den Versuch, mit Assad ISIS und den IS zu bekämpfen, und dazu muss man Russland mit ins Boot holen und danach muss man weitersehen. Aber das Entscheidende: Der Krieg muss eingedämmt werden, damit natürlich auch diese enormen Flüchtlingsströme nach Europa möglichst bald zurückgehen.
    Armbrüster: Das heißt, Herr Hacke, wenn ich Sie da richtig verstehe: Sie sagen, wenn man da einigermaßen erfolgreich sein will in einer Beendigung dieses Krieges, dann müssen die USA sich ebenfalls darauf einlassen, mit Assad zu sprechen?
    Hacke: Sie müssen sich darauf einlassen, mit Assad zu sprechen, und sie müssen sich darauf einlassen, vor allem Putin auf Augenhöhe zu akzeptieren. Und Präsident Obama hat bisher alles andere als das getan. Er nannte Russland eine Regionalmacht. Er ließ durchsickern, dass er eigentlich nur Verachtung für Putin hat. Das ist sozusagen eine Wiederauflage der alten Arroganz, die wir gehabt haben unter seinem Vorgänger, und die führt nicht weiter. Es ist natürlich eine Machtrivalität zwischen den beiden Supermächten, aber hier ist Putin eindeutig in einer stärkeren Situation. Er hat sich glänzend positioniert und er wird eine Diplomatie betreiben, die auf jeden Fall darauf beruht, hier nun Fakten zu schaffen, in denen natürlich die militärische Präsenz auch wichtig ist.
    Christian Hacke
    wurde 1943 in Clausenhof, heutiges Polen, geoboren. Er studierte Politikwissenschaften, Soziologie und Rechtswissenschaften in Berlin und Freiburg, Habilitation 1980. Hacke lehrte an verschiedenen Universitäten, zuletzt am Institut für Politische Wissenschaften und Soziologie an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind die jüngere deutsche Geschichte, deutsche und Innen- und Außenpolitik, amerikanische Geschichte und Außenpolitik sowie die transatlantischen Beziehungen.
    "Die bisherige Strategie der Amerikaner ist gescheitert"
    Armbrüster: Da kann ich mir vorstellen, dass jetzt viele Leute, die Ihnen zuhören, sagen, das ist doch total unmenschlich, was der Herr Hacke da vorschlägt. Wir haben gehört in den vergangenen Jahren von Fassbomben, von unglaublichen Gräueltaten, davon, dass Assads Militär, Assads Armee sehr viel grausamer agiert als der IS, sehr viel mehr, ein Vielfaches mehr an Menschenleben auf dem Gewissen hat. Und mit dem sollen wir jetzt, soll der Westen jetzt tatsächlich in ein Gespräch eintreten?
    Hacke: Wir müssen die Kröte schlucken. Wir haben gar keine andere Möglichkeit. Denn bisher hat sich gezeigt, sowohl durch die Doppelstrategie gegen Assad als auch gegen den IS gibt es keine Chance, gibt es keinen Gewinn. Die bisherige Strategie der Amerikaner ist völlig gescheitert. Und dann natürlich auch die Frage, was könnte am Boden gemacht werden. Da muss was getan werden, das ist vorhin auch angeklungen. Ohne eine konzentrierte militärische Aktion am Boden geht es auch nicht voran. Aber die bisherige westliche Politik ist gescheitert. Wir müssen die Kröte Assad schlucken und dann muss man sehen, wie es danach weitergeht.
    Armbrüster: Und wenn Sie sich das anhören, was hier in Deutschland bei uns passiert, da geht es ja auch hin und her. Da formiert sich das Lager, das auch schon wieder fordert, diese Überlegung von Frau Merkel, mit Assad zu reden, die sei völlig fehlgeleitet, an der Realität vorbei.
    Hacke: Man darf auch nicht vergessen, das sind natürlich auch schwerwiegende Argumente, und ich sage nicht, dass das die einzige Lösung ist. Es ist immerhin eine Situation, wo Sie die alten Freunde gefährden und neue Freunde suchen oder neue Kooperationen suchen, dass das enorm gefährlich ist. Und hier haben wir natürlich eine Situation, wo die Amerikaner gefährden, dass sie ihre alten Verbündeten wie Saudi-Arabien und die Türkei und andere verprellen, aber das ist die Schwierigkeit. Da haben sie ja auch schon die Schwierigkeit gehabt, indem sie sich jetzt ganz stark mit dem Iran verbündet haben. Also es ist eine Gratwanderung und es gibt keine ideale Lösung, und selbst das, was ich vorgeschlagen habe oder was jetzt natürlich auch in der UNO hauptsächlich die Hauptfrage ist, soll und kann man mit Putin zusammenarbeiten, ist er dann auch tatsächlich gewillt, gegen den IS eine Koalition mitzutragen, das ist auch alles fraglich. Also es ist sehr, sehr schwierig.
    Organisierte Trostlosigkeit
    Armbrüster: Wenn wir uns dieses Szenario mal kurz vorstellen, Gespräche, Verhandlungen mit Assad, wie soll das gehen? Können wir uns da Fernsehbilder vorstellen, Assad trifft sich mit Putin und Obama in Genf, sie unterschreiben ein Abkommen, schütteln Hände?
    Hacke: Nein. Herr Armbrüster, das wird auch die Öffentlichkeit und auch die Beteiligten selbst werden das nicht wollen. Das kann alles nur in geheimen Verhandlungen gehen. Und ich vermute oder ich hoffe auch, dass es eigentlich jetzt schon Geheimverhandlungen gibt, und wie die aussehen werden, das wissen wir natürlich. Aber eins ist klar: Putin hat sich enorm positiv jetzt positioniert als eine neue Regionalmacht im Nahen Osten, und auf der anderen Seite haben die Amerikaner seit den letzten drei Jahren mit ihrer Syrien-Strategie aber auch nichts Positives vorzuweisen. Die Türken kämpfen gegen die Kurden, die gemäßigten Rebellen suchen Assad zu stürzen, und die Amerikaner selbst verfolgen diese Doppelstrategie, sowohl Assad als auch den IS und ohne Bodentruppen dann in die Knie zu zwingen. Das ist organisierte Trostlosigkeit und im Gegensatz dazu positioniert sich Putin glänzend mit einer Diplomatie, die natürlich auch militärisch abgesichert ist, und auf keinen Fall wird er seine Position in Syrien räumen. Das ist geostrategisch undenkbar.
    Armbrüster: Mit der Person Putin ist natürlich immer noch ein anderer Konflikt verbunden, nämlich der in der Ukraine. Muss erst die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen in der Ukraine beendet werden, in der Ukraine-Frage beendet werden, bevor es eine neue Initiative für Syrien geben kann?
    Hacke: Das ist sehr schwierig zu beurteilen. Ich gehöre zu denen, die von Anfang an eigentlich darauf gesetzt haben, dass die Amerikaner natürlich auch in der Ukraine-Frage vorsichtiger sein werden, dass sie eigentlich eher auf die Russen zugehen werden. Das ist bisher nicht passiert. Es wird auch eine Ukraine-Lösung nur geben gemeinsam mit Russland, und die Ideallösung wäre natürlich gewesen, noch vor einem Jahr eine neutrale Ukraine, offen nach West und Ost, aber nicht nur nach Westen angebunden. Aber es gibt jetzt eine Wechselwirkung natürlich zwischen Ukraine und dem Syrien-Konflikt, und wie sich das im Einzelnen entwickeln wird, das ist im Moment sehr schwer vorauszusehen. Aber Putin ist in beiden Brennpunkten in einer glänzenden Position. Das muss man objektiv feststellen.
    Armbrüster: Und was ist mit den anderen großen Playern in der Region, über die wir immer hören, mit dem Iran, mit Saudi-Arabien? Von denen hören wir relativ wenig, was Friedensbemühungen angeht.
    Hacke: Ja, das ist eigentlich die große Tragik. Sowohl in der Flüchtlingsfrage als auch aktuell bei der Beilegung des diplomatischen Konflikts ist natürlich ohne eine Beilegung oder sagen wir zumindest eine Verminderung des zentral schiitisch-sunnitischen Konflikts kaum etwas zu machen. Beide müssen sich zusammenraufen, um den IS zu bekämpfen. Das heißt auf der einen Seite, die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien muss mit der schiitischen Vormacht Iran in irgendeiner Form, auch wenn nur temporär, jetzt sich einigen, dass das gemeinsame Ziel ist - und die beiden mögen ja auch den IS nicht, um es mal salopp auszudrücken -, hier sich nun zu konzentrieren, den IS zu bekämpfen. Das ist völlig richtig. Aber hier haben die regionalen Anrainerstaaten bisher nicht das geleistet, was sein müsste, und das ist auch zum Teil natürlich Grund dazu, dass die amerikanische Strategie bisher gegen den IS nicht erfolgreich war.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Mittag" war das Christian Hacke, emeritierter Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Vielen Dank, Herr Hacke, für das Gespräch.
    Hacke: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.