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Unpolitisch und karriereorientiert

Die großen Paraden zum 60-jährigen Bestehen der Volksrepublik China interessiert sie kaum: Die Jugend des kommunistischen Landes gibt sich unpolitisch. Karriere, Konsum und Computer sind für viele wichtiger.

Von Nina Ritter | 26.09.2009
    So wird es klingen, wenn China am 1. Oktober den 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik feiern wird. Bereits für die Probe zwei Wochen zuvor kreisten Hubschrauber über der Stadt, wurde die gesamte Innenstadt rund um den Platz des himmlischen Friedens weiträumig abgesperrt. Der Jahrestag selbst ist pompös inszeniert: Das Militär wird Panzer auffahren lassen und rund 200.000 Chinesen werden Fahnen schwenkend vorüberziehen.

    Doch während Peking den Tag mit großem Aufwand begehen wird, sehen viele junge Chinesen keinen speziellen Grund zum Feiern. Auch Ma Tong kann sich nicht begeistern:

    "Ich habe keinen besonderen Bezug zu diesem Jubiläum. Den alten Leuten in China wird der Jahrestag mehr bedeuten. Sie haben diese ganze Zeit miterlebt; so wie meine Großeltern. Aber wir Jugendlichen? Wir sind zu jung. Ich bin gerade 26 Jahre alt. Was weiß ich denn schon davon."

    Ma Tong lebt in Peking, er ist Webdesigner und arbeitet als Selbstständiger. Trotz seiner Skepsis ist er stolz auf sein Land:

    "Ich bin stolz auf China, aber für mich ist ein Jahrestag nicht wichtig. Hauptsache ist doch, dass man sein Land liebt. Liebe einfach dein Land, deine Kultur und den Ort, an dem du lebst."

    Ähnlich wie Ma Tong sind viele andere junge Chinesen sehr patriotisch eingestellt. Für sie ist der wirtschaftliche Aufstieg ihres Landes wichtig und auch, dass China international wieder von Bedeutung ist. So denkt auch die 23-jährige Zhu Yingxin. Sie arbeitet bei einer ausländischen Firma, die im Exportgeschäft tätig ist.

    ""Ich habe das Gefühl, dass China heute viel stärker ist als früher. Heute kann ich überall hingehen. Und ich kann voll Stolz sagen: Ich bin Chinesin."

    Dass Zhu Yingxin und auch Ma Tong so hinter ihrem Land stehen, hat konkrete Gründe. Beide gehören der sogenannten "Post-80er-Generation" an; sie wurden geboren, als - nach Mao Zedongs Tod - der Reformer Deng Xiaoping dem Land vorstand und China in eine neue Ära führte. Deng Xiaoping öffnete das Land wirtschaftlich, seine Nachfolger führten seine Reformen fort und schufen damit vor allem für die städtische Bevölkerung Freiräume und Möglichkeiten, die es vorher nicht gegeben hatte.

    Doch damit stiegen auch die Anforderungen an die Menschen. Die städtische Jugend hat viel mehr Möglichkeiten, sie kann Studienfach und Beruf frei wählen, doch sie muss sich auch viel mehr anstrengen als die Generationen vor ihr.

    Morgengymnastik in einer Pekinger Grundschule. Der Lehrer brüllt Kommandos in ein Megafon. Die Kinder heben die Arme, beugen sich zu den Füßen, wippen im Takt. Chinesische Schüler kommen kaum zum Verschnaufen. Schon die Kleinsten haben Unterricht bis zum späten Nachmittag. Chinesische Eltern versuchen so, ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung zu geben. Sie glauben, nur dadurch können sie sich später bei der Jobsuche gegen die vielen Mitbewerber durchsetzen.

    Die viele Aufmerksamkeit, die chinesische Kinder und Jugendliche daheim bekommen, zieht allerdings auch Probleme nach sich. Vor allem ältere Menschen fühlen sich irritiert. Sie werfen den Jugendlichen vor, zu verwöhnt, zu sehr auf sich bezogen zu sein.

    Professor Shan Guangnai, Experte für Jugendstudien an der Akademie der Sozialwissenschaften in Peking, bestätigt diese Entwicklung. Er sieht einen Grund dafür in der staatlichen Familienpolitik, in der "Ein-Kind-Politik". Obwohl diese Regel nach und nach gelockert wurde, war die Politik gerade zu Anfang sehr rigide. Mit der Folge, dass seit den 1980er-Jahren in den Städten eine ganze Generation von Einzelkindern herangewachsen ist.

    "Das hat die Familienstruktur völlig verändert. Jedes dieser Kinder steht im Mittelpunkt seiner Familie. Es ist damit sehr auf sich selbst fixiert."

    Die traditionellen Werte würden unter jungen Chinesen nicht mehr viel gelten, meint Professor Shan.

    "Heute streiten Kinder häufig mit ihren Eltern. Sie haben andere Wertvorstellungen. Früher basierte das Zusammenleben noch auf dem Gemeinschaftsgedanken. Jeder musste lernen, sich und seine eigenen Wünsche für das Gemeinwohl zurückzustellen. Die Jüngeren verstehen das nicht."

    Eine Einkaufsmeile in Peking. Junge hip gekleidete Chinesen flanieren an den Schaufenstern vorbei und begutachten die Auslagen. Die meisten Frauen sind gestylt wie Models. Was die Mode betrifft, ist alles vertreten, was international von Namen ist: Filialen europäischer Modehäuser wie Esprit, Mango oder Zarah, aber auch edle Designerboutiquen bestimmen das Bild. Die Cafés rings um die Läden sind gut gefüllt. Viele der Gäste arbeiten an ihren Laptops oder tippen auf nagelneuen Handys herum.

    20 Jahre nach den Studentenprotesten scheint sich für Politik kaum mehr jemand zu interessieren. Der materielle Wohlstand und die vielen Möglichkeiten, die damit einhergehen, lenken zumindest die jungen Städter von den zahlreichen Problemen des Landes ab, von den Umweltskandalen, der Korruption und der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land.

    Nachgefragt auf dem Campus der Peking Universität, einer der renommiertesten Hochschulen des Landes. Die Studentinnen klingen, als würden sie aus dem Parteibuch zitieren.

    "Die Regierung hat das Ziel, eine harmonische und friedliche Gesellschaft zu schaffen, und wir sollten alle unseren Teil dazu beitragen. Wir an der Uni sollten fleißig studieren und jeder Bürger sollte tun, was er kann. Das wird der Regierung helfen, die Gesellschaft stabil zu halten."

    International wird die Menschenrechtspraxis der jetzigen chinesischen Führung immer wieder an den Pranger gestellt. Im eigenen Land aber scheinen die meisten zufrieden, auch und gerade die jüngere Generation.

    Dafür gibt es Gründe: Im Privaten kann man alles sagen, was man will - auch Kritik an der Regierung ist erlaubt. Erst, wer mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit tritt, muss mit Abmahnung oder gar Verhaftung rechnen. Vor allem für chinesische Mitarbeiter von NGOs, Journalisten oder Menschen, die sich gegen geschehenes Unrecht auflehnen, wird das häufig zum Balanceakt - mit riskantem Ausgang. Die Mehrheit der Chinesen bekommt davon aber wenig mit, auch dafür sorgt die Führung in Peking.

    "Ich habe nicht das Gefühl, irgendwie in meinen Rechten eingeschränkt zu sein. Für manche Leute ist das vielleicht so, aber für mich persönlich nicht. Verglichen mit früher ist es jetzt in China viel besser."

    Ma Tong - der Webdesigner aus Peking - ist in vielerlei Hinsicht eine große Ausnahme unter den jungen Chinesen. Doch selbst ein Freigeist wie er glaubt nicht, dass eine schnelle Demokratisierung China gut tun würde. Und mit dieser Meinung steht er nicht allein:

    "Die Situation ist zwar noch nicht gut genug, aber wir müssen die Balance halten. Wir können nicht einfach sagen, wir öffnen China jetzt über Nacht und jeder kann sagen, was er will, ohne Einschränkung. Das ist unmöglich. China ist so groß. Das gäbe ein Riesenchaos."

    Das aber möchte der Machtapparat um jeden Preis verhindern. Kurz vor den Jubiläumsfeierlichkeiten ist die Lage angespannt, die Nervosität spürbar. An allen öffentlichen Orten ist die Kontrolle verschärft, stehen Regimekritiker unter noch größerer Beobachtung als sonst. Viele Internetseiten wurden gesperrt. Youtube wurde bereits vor dem 20. Jahrestag der Studentenproteste im Juni blockiert und seit den Unruhen in der Uighurenprovinz Xinjiang im Juli lässt sich auch Facebook nicht mehr über chinesische Server öffnen. Und das stört den passionierten Internetnutzer Ma Tong dann doch:

    "Ich dachte, mein Gott, ich kann Youtube nicht mehr öffnen. Für mich ist das schrecklich. Das ist eine große Einschränkung meiner Rechte."