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Unrechtmäßige Unabhängigkeit?

Serbien erkennt die einseitig erklärte Eigenstaatlichkeit der Provinz Kosovo nicht an und hat daher den Internationalen Gerichtshof in Den Haag angerufen. Basis ist eine UNO-Resolution. Sie legte 1999 fest, dass das Kosovo integraler Bestandteil Serbiens bleibt - und ist immer noch in Kraft.

Von Kerstin Schweighöfer | 01.12.2009
    Beim Betreten der hohen gewölbten Eingangshalle bleibt so mancher Besucher ehrfürchtig stehen. "Sol Justitiae illustra nos", steht in der Mitte auf dem Mosaikfussboden. "Das bedeutet: Die Sonne der Gerechtigkeit erleuchte uns", erklärt Arthur Eyffinger.

    Der 61-Jährige hat als Bibliothekar 16 Jahre im Haager Friedenspalast gearbeitet. Er kennt das Gebäude wie seine Westentasche – auch das Allerheiligste, den Großen Sitzungssaal im linken Seitenflügel: eine imposante gotische Halle mit holzvertäfelten Wänden und prachtvollen bunten Glasfenstern:

    Hier sitzen die 15 Richter des Internationalen Gerichtshofes IGH nebeneinander an einem langen Tisch, um sich die Argumente der streitenden Parteien vor ihnen anzuhören. "Und zwar leicht erhöht", erklärt Eyffinger: "Sie sitzen vier Stufen höher als der Rest der Menschheit."

    Das ist auch heute so, bei den Anhörungen zur Kosovo-Anerkennung. Den Auftakt macht Serbien heute Vormittag drei Stunden lang. Denn die serbische Regierung war es gewesen, die die UNO-Vollversammlung dazu aufgerufen hatte, den IGH damit zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit der Abspaltung in einem Rechtsgutachten zu klären. "Kein leichter Auftrag", sagt der deutsche Richter am IGH Bruno Simma:

    "Wir sind nicht verpflichtet, die Gutachten zu erstatten, aber wir sind ein Organ der UNO. Und wenn ein anderes Organ der UNO wie der Sicherheitsrat oder die Generalversammlung kommt und sagt: 'Lieber Gerichtshof, mach ein Gutachten', dann ist bisher diesem Wunsch immer entsprochen worden, weil es für einen Gerichtshof keine einfache Sache ist zu sagen, 'das mag für euch wichtig und interessant sein, aber nein danke, das ist uns zu heiß!'"

    Basis ist die UNO-Resolution 1244. Sie legte im Juni 1999 fest, dass der Kosovo unter die Verwaltung einer Übergangsverwaltungskommission der Vereinten Nationen kommt, kurz UNMIK genannt, aber integraler Bestandteil Serbiens bleibt. "Diese Resoluton ist nie rückgängig gemacht worden", erklärt Simma:

    "Sodass es sehr schwierig ist zu sagen: War diese Unabhängigkeitserklärung trotzdem rechtens? Sind diese Leute so unterdrückt worden von Serbien, dass ihnen ein Verbleiben im serbischen Staatsverband nicht zugemutet werden kann? Das wird man sicher bejahen müssen. Welche Alternativen hätte es gegeben? Wäre Serbien bereit gewesen, dem Kosovo eine Autonomie zu gewähren? Also, alle diese Sachen werden aufkommen. Kosovo ist ein besonders schwieriger Fall, auch im Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht und diese Dinge."

    Von den 192 UNO-Staaten haben lediglich 63 den Kosovo anerkannt, darunter 22 EU-Länder wie Deutschland. Fünf EU-Länder allerdings lehnen die Unabhängigkeit so wie China und Russland ab: Sie halten die Abspaltung Kosovos für einen gefährlichen Präzedenzfall, auf den sich sezessionistische Bewegungen in ihren eigenen Ländern berufen könnten: nämlich Spanien, Griechenland, Rumänien, die Slowakei und Zypern.

    Nach den Anhörungen ziehen sich die 15 Richer zurück, um jeder ein persönliches Gutachten zu erstellen. Dann beraten sie sich, um sich auf ein Urteil zu einigen. Das wird mindestens ein halbes Jahr dauern. Dabei gilt das Mehrheitsprinzip: Es gab auch schon Urteile, die ganz knapp acht zu sieben ausgegangen sind, nach heftigen Diskussionen.

    Völkerrechtsexperten halten das auch in diesem Falle nicht für ausgeschlossen.