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Unser Mann in Bagdad

Zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins wird der Irak von einer neuen Welle der Gewalt überrollt. Der deutsche Diplomat Martin Kobler soll für die Vereinten Nationen die nationale Aussöhnung vorantreiben. Trotz aller Rückschläge blickt er zuversichtlich in die Zukunft des Irak.

Von Björn Blaschke | 25.05.2013
    "In so einer Entwicklung ist es eben nötig, dass man sich auf bestimmte Prinzipien einigt – und das ist die Vermeidung von Gewalt, friedliche Konfliktlösung, und Hetzsprache zu vermeiden!"

    Seit gut anderthalb Jahren ist der deutsche Diplomat und Ex-Botschafter Martin Kobler Sondergesandter des UN-Generalsekretärs in Bagdad und als solcher Chef der UNAMI, einer Organisation der Vereinten Nationen, die eigens für den Irak ins Leben gerufen wurde. Wie die meisten irakischen Ministerien oder die US-Botschaft hat auch Kobler seinen Sitz in der "Grünen Zone", einem weit ausladenden Hochsicherheitsareal im Zentrum von Bagdad, das von meterhohen Sprengschutzmauern umgeben - und nur mit besonderen Passierscheinen zu betreten ist.

    Wenn er nicht gerade durch die Region oder den Irak reist, um Gespräche zu führen, trifft Martin Kobler, ein 59-jähriger, drahtiger Mann mit Brille und Kinnbärtchen, allmorgendlich sein Kernteam, um die anstehenden Themen zu erörtern. Und die Aktivitäten seiner mehr als tausend – irakischen wie internationalen – Mitarbeiter. Sie sind damit beschäftigt, die irakischen Institutionen zu unterstützen. In vielfältiger Weise: Die UNAMI-Leute stehen mit Rat und Tat den irakischen Behörden bei der Vorbereitung von Wahlen zur Seite - oder in humanitären Fragen; und die UNAMI-Leute sind Ratgeber der irakischen Regierung in Fragen der nationalen Aussöhnung oder des Dialogs. Und gerade daran mangelt es derzeit – insbesondere zwischen den großen Bevölkerungsgruppen: Kurden und Turkmenen; sunnitischen und schiitischen Arabern. Vielmehr steigen seit Monaten die Spannungen zwischen den arabischen Sunniten, zu denen auch Saddam Hussein gehörte, und den arabischen Schiiten, die den Regierungschef, Nuri al-Maliki, stellen:

    "Das ist ganz schwierig: Das ist ein Gefühl aufseiten der Schiiten, dass so was wie Saddam Hussein nie wieder passieren darf; auf der anderen Seite, bei den Sunniten, das Gefühl‚ genug ist genug‘. Und wir versuchen diese Stimmung aufzunehmen, keine Position zu beziehen, aber die Stimmung aufzunehmen, sie mit der Regierung zu erörtern, und auch Kontakte herzustellen – zwischen den Demonstranten und der Regierung."

    Die Demonstranten, sunnitische Araber, die unzufrieden sind mit Regierungschef Nuri al-Maliki: Nach der Parlamentswahl 2010 hatte Maliki sich mit einer säkular-sunnitischen Bewegung auf die Bildung einer Koalition mit Beteiligung der Sunniten geeinigt. Das Abkommen wurde jedoch nie gänzlich umgesetzt, umstrittene Ministerien verwaltet der schiitische Premier selbst. Auch deshalb begannen Ende des vergangenen Jahres in den vornehmlich von Sunniten bewohnten Gebieten Demonstranten auf die Straße zu gehen. Maliki, ein Mann mit sprichwörtlicher "eiserner Faust" - drohte den Demonstranten: Wer sich an der Bildung von Milizen beteilige, erklärte er, werde zur Rechenschaft gezogen.

    Und er setzte diese Drohung auch in die Tat um: Im April hatten Unbekannte – wie es heißt, möglicherweise al-Qaida-Angehörige - auf Soldaten gefeuert, um dann in einem Zeltlager von sunnitischen Anti-Maliki-Demonstranten unterzutauchen. Die irakischen Sicherheitskräfte eröffneten daraufhin das Feuer auf das Camp der Protestierenden und töteten mehr als 50 von ihnen. Kobler versucht zu vermitteln; Vertrauen aufzubauen: Er trifft die irakischen Politiker in der Grünen Zone, und er trifft - außerhalb des gesicherten Areals – Demonstranten. Er ist im Gespräch mit wichtigen religiösen Führern, wie mit Menschenrechtsorganisationen. Und manchmal bleibt auch Zeit für andere Projekte, die auf den ersten Blick hin klein erscheinen mögen, aber auf das große Ganze wirken sollen – gegen Vorbehalte, die die religiösen Gruppen des Irak gegeneinander hegen:

    "Was ich mache, meistens, das sind - wenn ich raus fahre aus der Grünen Zone - Projekte besuchen. Ruhig mit Medienaufwand, dass die Leute sehen, dass wir uns um sie kümmern. Neulich zum Beispiel mit einer Gruppe von dreißig Jugendlichen. Innerhalb einer Woche nach Qadhamiya zum schiitischen Schrein, Adhamiya - zu der sunnitischen Moschee, dann waren wir in einer Kirche. Wir haben dann auch immer mit den Würdenträgern diskutiert."

    Die schiitisch-sunnitischen Spannungen – der eine Konflikt im Irak, der Kobler beschäftigt.

    "Der andere Konflikt ist der noch immer ungelöste kurdisch-arabische Konflikt. Es gibt keine feste Grenze zwischen Kurdistan und dem Rest-Irak, das ist eine Binnengrenze im Irak, wo sich Kurden und Araber, aber auch Christen und Minderheiten überschneiden teilweise. Und das ist ganz schwierig zu lösen."

    Gebietsstreitigkeiten wie um Kirkuk: Gehört die Stadt im Norden des Landes zu Irakisch-Kurdistan oder zum Zentralirak? Und – selbstverständlich – die Ölfelder um Kirkuk herum. Wie überhaupt noch nicht geklärt ist, ob beispielsweise die autonomen Kurden eigenständig Verträge mit Ölfirmen schließen dürfen oder ob das über die Zentralregierung in Bagdad laufen muss:

    "Die Verteilung der Öleinnahmen - und die Organisation der Ölverwaltung, das ist das zentrale Problem des Landes. Das Ölgesetz, das 2007 auf dem Tisch ist, muss endlich verabschiedet werden. Das ist einer unserer Hauptpunkte von uns mit der Regierung."

    Die ungeklärten Regionalgrenzen sowie das fehlende Ölgesetz führen immer wieder zu neuen Zerwürfnissen zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der autonomen Kurdenregierung. Zerwürfnisse auf politischer Ebene, die jedoch bisweilen in Gewalt münden, weil sie militante Gruppen befeuern; Gruppen, die zum Teil aus dem Ausland unterstützt werden. Daher auch macht Regierungschef Maliki für viele Probleme im Irak den Konflikt im Nachbarland Syrien verantwortlich.

    Das ist richtig und falsch. Der syrische Bürgerkrieg wirkt sich selbstverständlich auf den Irak aus: Einerseits kommen Flüchtlinge aus Syrien in den Irak. Und irakische Schiiten sollen aufseiten des Regimes in Damaskus kämpfen, da Baschar al-Assad wie manch schiitische Organisation im Irak - gute Kontakte zu Iran unterhält. Assad ist selbst Alawit, also Angehöriger einer Religionsgemeinschaft, die aus dem schiitischen Islam hervorging. Andererseits sollen irakische Sunniten über die Grenze gehen, um ihre syrischen Glaubensbrüder zu unterstützen; al-Qaida im Irak gab unlängst sogar die Kooperation mit der syrisch-islamistischen Jabha al-Nusra bekannt. Ja, und es gibt sogar Anschläge von Syrern auf Iraker im Irak. Und dennoch ist es falsch, wenn Maliki den Bürgerkrieg in Syrien verantwortlich macht für die Probleme in seinem Land - sagt Martin Kobler:

    "Die Mehrheit der Probleme hier sind hausgemacht. Die sind nicht regional. Nehmen wir an, Syrien ist ganz ruhig und alles andere ist auch ganz ruhig; um Syrien herum. Ja, alles wäre ruhig. Dann hätten wir im Prinzip die gleichen Probleme hier auch. Das Gezerre um Geld, wie werden die Öleinnahmen gerecht in dem Land verteilt. Das hat nix mit Syrien zu tun. Auch nichts mit Saudi Arabien und Iran."

    Eine neue Gewaltwelle; politische Querelen - Droht der Irak an seinen internen Problemen auseinanderzubrechen? Werden die Kurden einen eigenen Staat ausrufen? Oder sich gar die Sunniten abspalten? Martin Kobler sagt Nein. So wie er überhaupt optimistisch ist, was die Zukunft des Landes betrifft:

    "Das Land hat drei Komponenten. Das eine ist die Kultur und die Tradition. Das Zweite ist die Jugendfrage; 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 18, das heißt, 16 Millionen Einwohner sind unter 18. Diese Menschen brauchen letztlich Jobs, brauchen Ausbildung - und das wird auch passieren. Das dritte ist, das Land ist reich. Es hat die drittgrößten Ölreserven der Welt. Nichts ist eine Frage des Geldes. Wenn man das alles zusammennimmt, ist das Land auf einem guten Weg."