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"Unsere Kritik geht an die Airlines"

Bei Streit mit ihrer Fluggesellschaft können sich Passagiere bald an eine Schlichtungsstelle wenden. So will es ein heute im Bundeskabinett beschlossener Gesetzentwurf. Wenig begeistert von der Umsetzung ist man jedoch beim Verkehrsclub Deutschland. Denn weiterhin boykottierten die Fluggesellschaften eine übergeordnete Schlichtungsstelle für alle Verkehrsarten.

Heidi Tischmann im Gespräch mit Benjamin Hammer | 04.07.2012
    Benjamin Hammer: Hatten Sie schon mal Ärger mit einer Fluggesellschaft? Das kann ja manchmal ziemlich schnell passieren: ein verlorenes Gepäckstück, ein annullierter Flug oder heftige Verspätung. Wenn sich Verbraucher absolut nicht mit der Airline einigen können, dann bleibt in vielen Fällen nur der Gang vors Gericht, denn eine Schlichtungsstelle, die von allen Fluggesellschaften akzeptiert wird, die gibt es einfach nicht. Heute will das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf für eine Schlichtungsstelle für die Luftfahrt beschließen, es hat ihn vor Kurzem beschlossen. Was davon zu halten ist, darüber spreche ich jetzt am Telefon mit Heidi Tischmann vom Verkehrsclub Deutschland. Guten Morgen, Frau Tischmann.

    Heidi Tischmann: Guten Morgen.

    Hammer: Frau Tischmann, Fluggesellschaften, die haben Kundenberater, sie haben Telefonnummern, sie haben E-Mail-Adressen. Reicht das nicht, um einen Streit aus der Welt zu schaffen?

    Tischmann: Wahrscheinlich reicht es nicht, denn diese Fluggastrechte-Verordnung, über die Sie ja gerade berichteten, die gibt es seit 2005 und es gibt immer noch Ärger, dass Flugpassagiere nicht zu ihrem Recht kommen. Das macht sich auch darin bemerkbar, dass es inzwischen sogenannte Rechtseintreiber gibt, die dieses Recht dann umsetzen, die aber natürlich dafür Geld verlangen, was ja nicht im Sinne des Gesetzgebers ist. Unsere Kritik geht auch an die europäische Politik, die eine Fluggastrechte-Verordnung erlässt, also im Jahre 2005, aber dann die Fluggäste im Grunde alleine lässt.

    Hammer: Die Bundesregierung will jetzt eine Schlichtungsstelle einführen. Was halten Sie davon?

    Tischmann: …, dass das längst überfällig ist. Es gibt eigentlich seit 2004 im Herbst nahtlos eine Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, verkehrsträgerübergreifend – erst fünf Jahre bei uns, beim Verkehrsclub Deutschland. Damals haben wir mit 83 ausländischen Flugunternehmen sehr gut zusammengearbeitet, nur die deutschen Flugunternehmen haben sich der Schlichtung verweigert. Und jetzt gibt es die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, aber dort verweigern wieder die deutschen Flugunternehmen die Zusammenarbeit. Unsere Kritik geht natürlich an die Airlines, die aus unserer Sicht den Wert der außergerichtlichen Schlichtung nicht erkannt haben.

    Hammer: Das klingt aber nach einer Menge Chaos. Wird sich das jetzt ändern mit einer von der Regierung eingeführten Schlichtungsstelle?

    Tischmann: Auch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr hat die Fahrgastrechte-Verordnung in diesem Falle als Vorläufer gehabt und arbeitet jetzt erfolgreich im Bahnbereich, aber nur, weil die Bahnen in Deutschland freiwillig an der Schlichtung mitarbeiten. Auch hier gibt es keine Verpflichtung, weil ein Kritikpunkt bei der Fluggastrechte-Verordnung ist ja, dass es nicht verpflichtend dort hineingeschrieben wird, dass die Airlines mitarbeiten müssen. Aus meiner Sicht widerspricht der außergerichtlichen Schlichtung ein Zwang. Da muss man schon sagen, dass Verbraucher und Verbraucherinnen und dann das Unternehmen auf der anderen Seite dort freiwillig sich hinwenden müssen. Das funktioniert in anderen Geschäftsbereichen wie zum Beispiel bei den Banken und auch bei den Versicherungen, da klappt das vorzüglich.

    Hammer: Jetzt müssen Sie uns aber noch einmal helfen. Es gibt bereits eine Schlichtungsstelle für den öffentlichen Verkehr, zum Beispiel bei Bahnkunden. Die wird aber von Fluggesellschaften nicht akzeptiert. Jetzt will die Bundesregierung eine neue Schlichtungsstelle einführen. Wie sollen Verbraucher da die Orientierung behalten?

    Tischmann: Ja das ist auch die größte Kritik. Die Idee war ja, dass es eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle gibt für alle Verkehrsarten, also für Bahn, Bus, fürs Schiff und auch für den Flugverkehr. Diese wirklich positive Institution für Verbraucher und Verbraucherinnen boykottieren die Airlines, allen voran die deutschen, und das ist ein Unding. Aber man kann sie, muss ich noch mal wiederholen, nicht dazu zwingen. Im Grunde bleibt für die Passagiere nur der Rechtsweg zurzeit, den schlagen sie sehr ungern ein, der ist auch kostspielig, und vielleicht muss man auch noch mal auf europäischer Ebene dafür sorgen, weil Flugverkehr ist ja eigentlich europäisch eher zu organisieren oder auch weltweit, dass dort etwas passiert.

    Hammer: Frau Tischmann, mein Flug wurde gestern annulliert, es gibt aber noch keine Schlichtungsstelle. Was raten Sie mir? Wie soll ich mich verhalten?

    Tischmann: Sie werden sich erst mal an die Airline wenden, bei der das passiert ist, und sie werden dann auf die Fluggastrechte-Verordnung hinweisen und die Zahlung verlangen. Dann gibt es wahrscheinlich die Zahlungsverweigerung, schätze ich. Dann werden Sie ordnungsrechtlich aktiv und melden diese Annullierung beim Luftfahrt-Bundesamt, die dann ein Bußgeldverfahren gegen die Airline verhängen können, was sie wahrscheinlich auch tun. Aber Sie haben da selber nichts von. Und dann können Sie als der Mensch, der geflogen ist, eine Beschwerde bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) einreichen. Die würde ich immer einreichen, auch wenn das nicht hilft, allein für die Statistik. Und dann müssen Sie sich an einen Anwalt wenden und die Airline verklagen. Das ist im Moment die Möglichkeit.

    Hammer: Klingt kompliziert.

    Tischmann: Ist auch kompliziert.

    Hammer: Die Bundesregierung plant eine Schlichtungsstelle für den Luftverkehr – Heidi Tischmann vom Verkehrsclub Deutschland, Sie sind von der Umsetzung nicht wirklich begeistert. Besten Dank!

    Tischmann: Bitte sehr!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.