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Unsichere Zukunft für Tagebau
Die Lausitz zwischen Wut und Hoffnung

Jahrelang hatten sich Bürger aus der Lausitz im Norden Sachsens darauf vorbereitet, umgesiedelt zu werden: Vattenfall plante dort einen großen Tagebau. Doch nun hat der Tagebaubetreiber die Umsiedlungspläne gestoppt - seit Monaten sucht der Konzern schon einen Käufer für seine deutsche Braunkohlesparte.

Von Nadine Lindner | 21.08.2015
    Abendlicher Blick vom Aussichtspunkt Welzow auf die beleuchtete Abraumfoerderbruecke F60 und einen Absetzer im Tagebau Welzow-Süd.
    Ob mit oder ohne Tagebauerweiterungen: Die Lausitz wird eines Tages ohne die Braunkohle leben müssen. (dpa / picture-alliance / Andreas Franke)
    Es ist sehr still im kleinen Örtchen Schleife im Norden Sachsens. Nur hin und wieder fahren ein paar Autos über die Dorfstraße. Die Stille, das könnte sich bald ändern, wenn hier große Tagebaubagger anrücken, erklärt Jadwika Mahling. Die junge Frau ist Pastorin in der evangelischen Kirche von Schleife und kennt die Sorgen ihrer Gemeindemitglieder gut, die in acht Dörfern verstreut leben:
    "Insgesamt von den acht Dörfern sollen dreieinhalb der Braunkohle weichen. Das sind Mulkwitz, Mühlrose und Rohne, dann noch ein Teil von Trebendorf und ein Teil von Schleife."
    Nervenprobe für die Dorfbewohner
    400 Meter entfernt vom alten Pfarrhaus könnte eines Tages die Bergbaukante des Tagebaus Nochten II liegen. Könnte – denn ob es so kommt, ist keine Gewissheit mehr. Ein Anlass zur Freude für die Dorfbewohner? Eher eine Nervenprobe: Jahrelang hatten sich die Bürger von Schleife und den anderen Orten darauf vorbereitet, umgesiedelt zu werden. Hatten schon mit dem Tagebaubetreiber, dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall, darüber verhandelt, wie sie entschädigt werden. Doch nun ist alles auf null gesetzt. Ende Juni verkündete Vattenfall, dass die Umsiedlungspläne vorerst gestoppt werden.
    "Die Betroffenen haben Briefe bekommen, dass es erst mal durchs Bergbauunternehmen Vattenfall erst mal nicht weitergeht. Sodass hier von Resignation, Wut, bis hin zu leiser Hoffnung alle Emotionen in der Kirchengemeinde vertreten sind."
    Wie soll es jetzt weitergehen? Mit meiner Familie? Mit unserer Region? Das Fragen sich auch die Bewohner von Rohne, ein weiteres der betroffenen Dörfer. Ortsvorsteher Jörg Funda wirkt zupackend, vertritt etwa 500 Einwohner. Aber bei diesem Thema blickt auch er ratlos in die Zukunft:
    "Dieses Planen, dieses sich mit dem eigenen Leben auseinandersetzen, viel, viel Zeit darauf zu verwenden. Ist jetzt alles auf einmal obsolet, sieht auf einmal alles ganz anders aus. Ja, und jetzt müssen wir schauen, wie wir damit umgehen. Psychisch ist das sehr belastend."
    Braunkohle: ein Wirtschaftsfaktor in der Lausitz
    Funda zählt einige Beispiele auf: Junge Leute würden eigentlich gern auf den Grundstücken der Eltern bauen, wenn sie Arbeit in der Region finden. Doch wenn die Zukunft des ganzen Dorfes unsicher ist, gilt das natürlich auch für die Neubauten.
    Oder auch dieser Fall: Angehörige müssten sich fragen, ob sie ihre verstorbenen Verwandten in einer Erd- oder Urnenbestattung beisetzen lassen. Der Gedanke, dass ein Grab nach einer Erdbestattung nach wenigen Jahren umgebettet wird, ist für viele mehr als unangenehm. Es sind also ganz private Lebensbereiche, die betroffen sind, infrage stehen.
    Das gilt auch für manche der 2.500 Arbeitnehmer, die in Sachsen direkt für Vattenfall arbeiten. Gerade in der strukturschwachen Lausitz ein Wirtschaftsfaktor. Dennoch, Wirtschaftsminister Martin Dulig, SPD, kann wenig Auskunft geben:
    "Von daher ist das so ein Schwebezustand, der sehr unbefriedigend ist für die Menschen vor Ort, für uns in der Landesregierung. Denn wir wollen Sicherheit, Planungssicherheit, egal, wie es ausgeht. Man will irgendwann mal wissen, wie es weitergeht."
    Zurzeit gibt es zwei Unsicherheitsfaktoren: Das ist zum einen die Klimapolitik der Bundesregierung, die Vattenfall mit dem Gedankenspiel aufgeschreckt hatte, alte Braunkohlekraftwerke mit einer Klimaabgabe zu belegen. Das wurde zwar wieder verworfen – zeigt aber, dass Politik und Wirtschaft andere Planungshorizonte haben.
    Eine Zukunft ohne Braunkohle
    Zum anderen sucht Vattenfall seit mehreren Monaten einen Käufer für seine deutsche Braunkohlesparte, weil das Geschäft mit konventionellen Kraftwerken sich bald nicht mehr lohnt. Hier spielt sich also globale Klima- und Unternehmenspolitik in kleinen Dörfern ab.
    Adrian Rinnert vom Bündnis "Strukturwandel jetzt", das gegen den Ausbau von Nochten II geklagt hat, sieht die Zukunft seiner Region in anderen Branchen:
    "Die Lösung sehe ich im Kleineren, ich sehe sie eher im Mittelstand. Ich sehe sie darin, dass ein Selbstbewusstsein in der Lausitz entstehen sollte, dass man auch unabhängig von einem großen Konzern wie Vattenfall selber kann."
    Ob mit oder ohne Tagebauerweiterungen, die Lausitz wird eines Tages ohne die Braunkohle leben müssen.