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Unsichere Zukunft

Kafka, Zeitschrift für Mitteleuropa gibt es seit Januar 2001. Ihre Gründung ging vom damaligen Leiter von Inter Nationes, Peter Sötje, aus und fiel genau in die Zeit, als das Goethe-Institut und Inter Nationes fusionierten. Sie wird bis heute vom Goethe-Institut Inter Nationes herausgegeben und ist kostenlos über die Goethe-Institute zu beziehen. Mit der Finanzierung aber hapert es. Das 14. Heft, das dem Thema Antisemitismus gewidmet ist und im September erscheinen wird, könnte das letzte sein.

Von Cornelia Staudacher | 13.09.2004
    Kafka will sowohl einem diskursiv-essayistischen als auch einem aesthetisch-literarischen Anspruch genügen. Ihr phantasievoll gestalteter Einband und ein klar gegliedertes, lesefreundliches Lay-out, das Anleihen bei der klassischen europäische Moderne macht, sind ebenso Programm wie ihr Name. Die Redakteurin Ingka Brodersen:
    "Kafka" bezieht sich auf eine von der jüdischen Kultur geprägte Moderne, deren Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ländern erst durch Stalinismus und Faschismus gekappt worden sind, und nicht daß wir glauben, man könne einfach an die zwanziger Jahre anknüpfen, aber dennoch gilt es, dieses ins Bewußtsein zu heben, daß mindestens die intellektuelle, künstlerische Welt und die Welt der Metropolen in Mittel- und Osteuropa und Westeuropa mal wesentlich mehr verbunden hat, als uns in den letzten fünf Jahrzehnten bewußt gewesen ist.

    Kafka versteht sich als Forum eines interkulturellen Dialogs der mittel- und osteuropäischen Länder untereinander. Ihr kulturpolitischer Auftrag besteht darin, Autoren mit sehr unterschiedlichen politischen, historischen und ästhetischen Erfahrungen zu Wort und miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Die Zeitschrift erscheint in einer Gesamtauflage von 25.000 gleichzeitig in Deutschland, Polen, Tschechien, der slowakischen Republik und in Ungarn. Jedes Heft steht unter einem bestimmten Thema, das von der in Berlin ansässigen Redaktion vorgegeben wird.

    Die Wahl der Themen verdankt sich einer Einschätzung der derzeitigen politischen Situation, aber auch der liegen gebliebenen, tabuisierten Themen der Vergangenheit. Wir versuchen, zu jedem Thema Autoren aus den verschiedenen Ländern einzuladen, und wenn möglich dabei ein Thema zu wählen, von dem wir annehmen können oder aus Erfahrung wissen, daß dieses Thema strittig und kontrovers ist, und daß es Sichtweisen auf dieses Thema gibt, die von sehr unterschiedlichen politischen, historischen Erfahrungen der jüngeren Zeitgeschichte geprägt sind, denn das betrachtet Kafka als eine ihrer Aufgaben, sich diesen Themen in der Diskussion zu nähern, möglicherweise auch gerade durch die Austragung von Kontroversen, mehr Wissen und Verständnis füreinander zu wecken.

    Themen waren bisher Vertreibung, Migration, Generationen, Fremde Heimat, Zukunft der Religionen oder Amerikabilder, um nur einige zu nennen. Allen Heften liegt eine ähnliche Struktur zugrunde: Es gibt zunächst mehrere Essays zu dem vorgegebenen Thema. In jedem Heft wird ein bei uns noch unbekannter Dichter mit einigen Gedichten und in einem essayistischen Porträt vorgestellt. Verbunden werden die Texte durch Fotos oder Graphiken jeweils eines Künstlers, der ebenfalls in einem kleinen Essay porträtiert wird.

    Es folgen ein oder zwei im weitesten Sinne literarische oder literaturhistorische Aufsätze. So schreibt Maria Bodrozic über die österreichische Schriftstellerin Christine Lavant (Heft 8) oder Jiri Kratochvil über seine Leseerfahrung mit Der Fremde von Albert Camus (Heft 9). Doris Liebermann porträtiert den russischen Verleger Maurycy Boleslaw Wolff (ebenfalls Heft 9) oder Birgit Kraatz den deutsch-amerikanischen Verleger Kurt Wolff (Heft 10), in dessen Amerikani-schem Verlag Pantheon Books 1957 Pasternaks Doktor Schivago erschien, als er in der Sowjetunion noch auf dem Index stand. Das zuletzt unter dem Thema "Vertreibung" erschienene Heft vermittelt einen Eindruck von den Schwierigkeiten, über die diversen Zeitbrüche hinweg gegenseitig Verständnis für die Vergangenheit zu entwickeln, das die Voraussetzung für eine neue Kontinuität in Europa ist.

    Die heikelste Frage zum Schluß: Wie wird das Projekt in den mittelosteuropäischen Ländern angenommen, und wie entgeht die Berliner Redaktion dem möglichen Vorwurf einer germanozentristischen Gängelung?

    Natürlich können sie’s auch ohne uns, es gibt ja auch Projekte, die ohne jede deutsche Beteiligung, aber unter verschiedenen mitteleuropäischen Ländern laufen. Es hat auch solche Mutmaßungen am Anfang gegeben, soll jetzt wieder alles, was sich als mitteleuropäisches Forum gibt, von Berlin aus gesteuert werden. Da allerdings kann ich nur sagen, ja, ich glaube, damit eine solche Zs. erst mal zustande kommt, damit sie eine Handschrift kriegt, müssen sie an irgendeiner Stelle so etwas wie eine zentrale Federführung haben. Das schließt eine Kooperation nicht aus. Und wo war diese Federführung? Sie war da, wo das Geld sitzt, in der Tat ist es am Anfang so gewesen, und so muß es nicht immer bleiben.

    Mit der Finanzierung aber hapert es. Das 14. Heft, das dem Thema Antisemitismus gewidmet ist und im September erscheinen wird, könnte das letzte sein. Wie es weitergeht, weiß Ingke Brodersen derzeit nicht. Aus finanziellen Gründen wurde die Erscheinungsweise in diesem Jahr erst einmal von vier auf zwei Hefte gekürzt. Das Goethe-Institut Inter Nationes, das als Herausgeber fungiert, setzt sich für einen Fortbestand der Zeitschrift ein, verweist aber auf das Auswärtige Amt, das die finanziellen Mittel bereitstellt. Von einem Pressereferenten des Auswärtigen Amtes wurde mir auf Anfrage mitgeteilt, derzeit werde geprüft, wie man "den augenblicklichen Herausforderungen Rechnung tragen" könne. Wann der "Entscheidungsprozess" abgeschlossen und eine endgültige Entscheidung getroffen sein wird, ist noch unklar. Es ist zu wünschen, daß Kafka, eine Zeitschrift, die auf allgemeines Interesse stößt und noch längst nicht alle Möglichkeiten ihrer Wirkungsweise ausgereizt hat, nicht im bürokratischen und fiskalischen Schlamm untergeht.