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Unter der Oberfläche

"Dunkel lockende Welt" heißt das neue Stück, das der österreichische Autor Händl Klaus im Auftrag der Münchner Kammerspiele geschrieben hat und das in Gesprächen die blank polierte Oberfläche transparent werden lässt - damit aber nicht ganz durchsichtig.

Von Sven Ricklefs | 02.02.2006
    Eigentlich - denkt man - hat man mit "Dunkel lockende Welt" doch ein Kammerspiel gelesen: im pointiert dialogischen Wechselschritt fast banal daherkommend, drei Figuren, drei Szenen, drei Paare, denkt man, Werkraum, denkt man, kleine Bühne, schnelles Stück, schnell vorbei, denkt man. Und dann das: Münchner Kammerspiele, großes Haus, große Bühne, großes Bild, großartiges Theater, großartige Schauspieler, großartiger Erfolg, von wegen Kammerspiel. denkste, denkt man, haste gedacht, denkt man. So ist das bei Händl Klaus.

    " Ein Mensch der so lebendig ... wie meine Mutter, der stirbt ja schwer ... am Ende alles."

    Vom Sterben ist hier schier ununterbrochen die Rede, von Todesriten und leeren Gräbern, vom Sterben oder zumindest vom Verlust, vom Verlustiggehen: da zieht eine aus und übergibt ihre blank geputzte Wohnung dem Vermieter, da erzählt der vom Sterben und Sterben und Sterben der Mutter, da will die, die auszieht, dem Freund hinterher nach Peru, angeblich, wenn der noch lebt überhaupt, denn wieso spricht sie von ihm in der Vergangenheit? Und gehört nicht die kleine Zehe, vielleicht, die sich findet, im Blankgeputzten, gerade ihm, der gar nicht fortfuhr, vielleicht, sondern tot ist, sauber zerlegt, vielleicht, von der Kieferchirurgin. Die flüchtet zur Mutter sich, die im Dunklen sitzt und im ununterbrochenen Monolog der Wissenschaftlerin sinniert, über Photosynthese, die das Leben ausruft und den Tod negiert, indem sie den Grundbass der Natur zur obszön rasanten Welterzählung erhebt.

    Da kehrt diese Mutter von der, die dann doch gar nicht fortfuhr nach Peru, da will diese Mutter irgendwann in die ehemalige Wohnung zurück, weil sie die Zehe sucht, das Beweisstück, vielleicht, einer Tat, wer weiß. Die Tochter sei tot, sagt sie, und erkennt im Vermieter den Vater der Tochter. Vielleicht. Eine Familie, wer weiß. So ist das bei Händl Klaus.

    Joachim: " Ein Mensch, der so lebendig ist wie meine Mutter, stirbt ja schwer."
    Corinna: " Was hat ihr denn gefehlt?"
    Joachim: " Am Ende alles."

    "Immer sind es die anderen, die sterben", steht da auf Französisch und in Schreibschrift auf einer Stufe, der Raum ist hoch und leer vor dem holzgetäfelten Rund und der Mann, der da halb tänzelnd halb schleichend hereinkommt ist irgendeiner bösen Phantasie entsprungen und er nestelt und schnüffelt und sucht und findet, obwohl ja alles schon geputzt ist und sich zudem noch Hände durch die Täfelung drängen, die sich aufschieben lässt, Hände, die mit kratzigen Schwämmen putzen, aber es bleibt wohl immer ein kleiner Rest - von Leben. Auch sie, mit dem ondulierten Kopf und der Sonnenbrille, sie, die wohl geputzt hat, stakst einmal über die Bühne, von rechts nach links, und lässt dabei irgendwann im Schritt die Schuhe stehen, doch er wird in diese Schuhe schlüpfen und dann noch mehr tänzeln /und irgendwann wird er auch mal ihre Handtasche am Arm baumeln haben und auf sonderbar eklige Weise androgyn wirken, und sie, sie wird Blut spucken, wenn sie von ihren Kieferchirurgischen Projekten in Peru erzählt und wird diese Blut dann wegzuwischen versuchen, aus dem Gesicht und von den Zähnen, mit dem kratzigen Schwamm.

    Uraufführungsregisseur Sebastian Nübling hat etwas getan, was selten ist bei Uraufführungen, bei denen Stücke meist mit Samthandschuhen angefasst und schlimmstenfalls vom Blatt gespielt werden. Nübling hat sich gleichsam das Recht der ersten Phantasie genommen, er hat "Dunkel lockende Welt" im wahrsten Sinne des Wortes umgesetzt, er hat das Stück eines Autors, dessen Stücke mehr vom Ungesagten als vom Gesagten leben, mit seinen ebenso wunderbaren wie spielwütigen Schauspielern in kraftvolle Bilder übertragen, in irrsinnig komische, jedoch ohne es zu übermalen und ohne es zu ende zu buchstabieren. Er hat in die gleichsam offene Deutigkeit Linien gezogen ohne in die Eindeutigkeit zu banalisieren, er hat dem Suspense des Stückes etwas Groteskes verliehen und dem Menschlichen den Slapstick und er reicht damit in genau jenen Grund von Welt und Leben und Geheimnis hinunter, in den Händl Klaus mit seinen merkwürdigen und im positiven Sinne unfassbaren Stücken immer wieder hinabsteigt.